Rechtsextremes Netzwerk in NRW-Polizei huldigt Hitler und den Nazis

Die rechtsextremen Netzwerke in der deutschen Polizei sind noch umfassender als bisher bekannt. Am Mittwoch, dem 16. September, wurden in Nordrhein-Westfalen gegen 6 Uhr morgens 34 Dienststellen und Privatwohnungen von Polizeibeamten durchsucht. Über 200 Ermittler durchsuchten Gebäude in Essen, Duisburg, Moers, Mülheim an der Ruhr, Selm und Oberhausen.

Zwei Wochen zuvor, am 3. September, waren Ermittler zufällig auf rassistisches und rechtsextremes Material auf dem Privathandy eines 32-jährigen Polizisten aus Essen gestoßen. Sie ermittelten ursprünglich gegen seinen Kollegen wegen des Verdachts auf Verrat von Dienstgeheimnissen an Journalisten.

Laut Polizeiangaben erfüllt das gefundene rassistische und rechtsextreme Material den Tatbestand des Verwendens von „Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen“ und der „Volksverhetzung“. Es wurden mindestens 126 „strafrelevante“ Bilder sichergestellt, deren Inhalt mit menschenfeindlicher Hetze gegen Flüchtlinge, faschistischem Schmutz und der Verharmlosung der Nazis nur unzureichend beschrieben wird.

Wie Zeit Online berichtet, ist auf einer Bildmontage ein grinsender SS-Soldat zu sehen, der auf einen Knopf mit der Aufschrift „Gas“ drückt. Im Hintergrund sind vor Angst schreiende Flüchtlinge in einer Gaskammer abgebildet. In einer weiteren rassistischen Bildmontage wird ebenfalls die systematische Vernichtung von Menschen anderer Hautfarbe oder Ethnie propagiert. Ein Mann auf einem Fahrrad zielt mit einer Pistole auf einen schwarzen Jungen, der vor ihm zu entkommen versucht. Unter dem Bild steht geschrieben: „Wenn beim Grillen die Kohle abhaut.“

Auf einer weiteren Darstellung ist ein US-amerikanischer Polizist zu sehen. „I like to shoot cans. Pepsicans, Cokecans, Africans“, sagt er. Hier werden Afrikaner mit einem billigen Wortwitz entmenschlicht, zu Objekten erklärt und das Schießen auf sie mit Zielübungen auf Getränkedosen gleichgesetzt. Neben dieser rassistischen Hetze wurden zahlreiche weitere Bilder gefunden, die unter anderem Hitler, den Hitlergruß, Hakenkreuze oder Reichskriegsflaggen zeigen.

Das rechtsextreme Material stammt aus mindestens fünf Chatgruppen. Alle 29 Mitglieder dieser Chatgruppen sind Polizeibeamte aus Nordrhein-Westfalen und zwischen Mitte 20 und Mitte 50. Laut Polizeiangaben wurden Ermittlungen gegen elf Mitglieder der Chatgruppen aufgenommen, da sie alleinig für das Verbreiten der Hetze verantwortlich sein sollen. Alle weiteren Mitglieder wurden lediglich suspendiert, 14 von ihnen sollen aus dem Dienst entfernt werden. 25 der Beamten sind dem Polizeipräsidium Essen unterstellt und verrichteten ihren Dienst in einer Dienstgruppe für die Schutzpolizei Mülheim an der Ruhr, deren Leiter ebenfalls Mitglied der Chatgruppen ist.

Das Netzwerk erstreckt sich allerdings nicht nur auf die Schutzpolizei in Mülheim an der Ruhr, bzw. den Einflussbereich des Polizeipräsidiums Essen. Ein Mitglied arbeitet beim Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen, ein weiteres Mitglied beim Landessamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten (LAFP), und zwei Beamte sind dem Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) in Duisburg unterstellt.

Dass Mitglieder der Chatgruppen in allen drei Landesoberbehörden der Polizei in Nordrhein-Westfalen sitzen, zeigt sehr deutlich die Vernetzung der Rechtsextremen innerhalb der Polizei. Das LAFP NRW ist unter anderem für die Aus- und Weiterbildung von Spezialeinheiten der Polizei in NRW sowie in anderen Bundesländern verantwortlich, und das LZPD NRW unterstützt die Kräfte- und Einsatzkoordinierung bei besonderen Einsatzlagen und mit der dazu erforderlichen Spezialausrüstung. Dadurch hat das Netzwerk Zugriff auf zentrale Organe der Polizei in NRW.

Die erste Chatgruppe wurde 2012 eingerichtet, die Gruppe mit den meisten Bildern ist seit März 2015 aktiv, und die letzte dokumentierte Nachricht wurde am 27. August 2020 gesendet. Da sich die Ermittlungen und Erkenntnisse bisher lediglich auf die Auswertung eines zufällig gefundenen Handys stützen, handelt es sich bei dem aufgedeckten Netzwerk lediglich um die Spitze des Eisbergs. Bei den Razzien am vergangenen Mittwoch wurden zahlreiche weitere Handys beschlagnahmt.

Die Lüge von den Einzelfällen

Auf einer eilig im Anschluss an die Durchsuchungen einberufenen Pressekonferenz war Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) emsig darum bemüht, von den offensichtlich umfassenden rechtsextremen Strukturen der ihm unterstellten Polizei-Behörde abzulenken. Er sprach von einer „Schande für die NRW-Polizei“ und bedauerte, dass die Vorwürfe „die Polizei bis ins Mark“ träfen. Er sei „schockiert“ und „entsetzt“.

Das ist der Gipfel der Heuchelei. Tatsächlich ist Reul über die rechtsextremen Strukturen in der Polizei bestens informiert und arbeitet systematisch daran, ihr ganzes Ausmaß zu vertuschen. Als Reaktion auf die jüngsten Enthüllungen hat er einen Sonderbeauftragten für rechtsextreme Tendenzen in der nordrhein-westfälischen Polizei installiert. Uwe Reichel-Offermann, zuvor Vize-Chef des Reul unterstehenden Landesverfassungsschutzes, ist Reul nun persönlich unterstellt. Damit hat er die volle Kontrolle über die Ergebnisse der Untersuchung.

Bereits Beginn des Jahres hatte Reul im Anschluss an das Bekanntwerden mehrerer rechtsextremer Vorfälle in der Polizei NRW angeordnet, dezentral Ombudsleute in allen Polizeidirektionen als Ansprechpartner für verfassungsfeindliche Verdachtsmeldungen zu installieren. In Essen übernahm bezeichnenderweise Silvia Richter den Posten, die Ehefrau des Polizeipräsidenten. Reul hatte sich zudem ausdrücklich gegen umfassende Studien zu rechten Tendenzen innerhalb der Polizei ausgesprochen.

Damals wurden, wie der Spiegel berichtete, unter anderem von Beamten der Wache Aachen-West rassistische Bilder und Bilder von Reichsadlern sowie Hakenkreuzen in Chatgruppen verbreitet. Bei einer Demo in Duisburg fiel ein Polizeifahrzeug mit einem Aufkleber der rechtsextremen Identitären Bewegung auf. „Wehr dich! Es ist dein Land!“, stand auf dem Polizeiwagen. Zudem arbeitete Thorsten W., ein mutmaßlicher Helfer der Terrorzelle „Gruppe S.“, für das Verkehrskommissariat Hamm. Dort war seine rechtsextreme Gesinnung hinlänglich unter Kollegen bekannt.

Tatsächlich sind die rechtsextremen Umtriebe in NRW Teil eines umfassenden Neonazi-Netzwerks, das sich innerhalb des Sicherheitsapparats und der Armee formiert hat und zunehmend aggressiver agiert. Laut Tagesspiegel gab es nach offiziellen Angaben in den letzten fünf Jahren über 170 Vorfälle „rassistischer oder rechtsextremer Tendenzen in der Polizei“. Allein in Berlin wurden seit 2017 mehr als 80 Verfahren gegen Polizeibeamte eingeleitet. Allein dieses Jahr wurden zahlreiche neue Fälle bekannt.

In Baden-Württemberg wurden sieben Polizeischüler suspendiert, weil sie durch nationalistische, antisemitische und frauenfeindliche Äußerungen bekannt wurden, wie der Spiegel berichtete. Mehr als 40 aktive und ehemalige Münchener Polizeibeamte tauschten antisemitische Nachrichten in einer Chatgruppe aus.

Im Frankfurter „Itiotentreff“, einer Chatgruppe, der fünf Beamte und eine Kollegin des 1. Reviers angehörten, wurden zahlreiche rechtsextreme Nachrichten und über 100 Bilder verbreitet. Die Mitglieder der Gruppe machten sich über Behinderte, KZ-Häftlinge, Dunkelhäutige, Flüchtlinge und Juden lustig. Besonders menschenverachtend waren Nachrichten, die den syrischen Flüchtlingsjungen Alan Kurdi zeigten, dessen Bild 2015 traurige Berühmtheit erlangte. „Wers findet, darfs behalten“, stand unter dem Bild seines leblosen Körpers, der an einen Strand in der Türkei angespült worden war.

Am 23. Juli veröffentlichte Zeit online unter dem Titel, „Soldaten, die den Umsturz planen“, Auszüge aus der bundesweiten rechtsradikalen Telegram-Gruppe #WIR. Unter den zeitweise über 240 Mitgliedern der Chatgruppe befänden sich „mehrere Soldaten, Reservisten und Veteranen“ der Bundeswehr, darunter zahlreiche Rechtsextremisten und Neonazis, schreibt der Autor und Rechtsextremismus-Experte Christian Fuchs.

Die Rechtsextremisten sind bundesweit vernetzt, planen die Ermordung von Linken und die Errichtung eines faschistischen Regimes in Deutschland an einem „Tag X“. Im Fall der Gruppe S. horten sie Waffen und Munition für eine konzertierte „Kommando“-Aktion gegen Moscheen und Muslime.

In mehreren Bundesländern wurden Daten von Polizeicomputern abgerufen und die abgerufenen Personen erhielt im Anschluss rechtsradikale Drohmails. Im bekanntesten Fall wurde die geheime Anschrift von Seda Basay-Yildiz über einen hessischen Polizeicomputer im 1. Revier in Frankfurt abgerufen. Die Anwältin, die unter anderem Angehörige der Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) verteidigt hatte, erhielt wenige Tage später einen mit „NSU 2.0“ unterschriebenen Drohbrief.

Die Förderung rechtsextremer Strukturen im Staatsapparat

Die Neonazis können deshalb so provokativ auftreten, weil ihnen im gesamten politischen Establishment – unter den Parteien, den Ermittlungsbehörden und der Justiz – niemand ernsthaft entgegentritt. Im Gegenteil: die Ausbreitung der rechtsextremen Terrornetzwerke in Armee, Polizei und den Geheimdiensten ist Bestandteil der scharfen Rechtswende der herrschenden Klasse insgesamt.

Das zeigt sich nicht nur im Bund, wo die Große Koalition in allen zentralen Fragen die Politik und das Programm der faschistischen AfD übernimmt, sondern auch auf Landesebene. In NRW stehen Reul und die schwarz-gelbe Landesregierung für einen scharfen „Law-and-Order“ Kurs und stärken systematisch die rechtsextremen Strukturen im Staatsapparat, um gegen die wachsende linke Opposition vorzugehen.

Unter Reuls Führung wurde in der Essener Polizei ein Regime der „Null Toleranz“ aufgebaut. Er hatte in der Ruhrmetropole, wie Zeit Online berichtet, die Devise ausgegeben, mit „aller Härte gegen die kriminellen Machenschaften einiger libanesischer Großfamilien vorzugehen“. Seitdem stehen zum Beispiel Shisha-Bars unter Dauerbeobachtung. Diese Politik fördert bewusst rassistische und rechtsextreme Tendenzen innerhalb und außerhalb der Polizeibehörden. Im Februar verübte ein rechtsextremer Terrorist ein Massaker in zwei Shisha-Bars in Hanau und erschoss neun Personen.

Während die herrschende Klasse die rechtsextremen Netzwerke trotz des blutigen Terrors schützt und gewähren lässt, führt sie einen Krieg gegen links. Im November 2018 stellte Reul ein Strategiepapier mit dem Titel „Verfassungsschutz der Zukunft“ vor. Darin fordert er, so die Süddeutsche Zeitung, „statt einer ‚Verengung des Blicks auf gewaltorientierte extremistische Akteure‘ müsse der Verfassungsschutz wieder stärker auch nicht gewalttätige Gruppen überwachen“.

NRW-Polizei geht gegen Protestierende im Hambacher Forst vor (AP Photo/Martin Meissner)

Er begründet es damit, dass Organisationen, die selbst nicht gewalttätig sind, das „Umfeld von politischer Gewalt“ bilden, „den politischen Nährboden, die sogenannte Sympathisantenszene“. Er beruft sich dabei auf die Proteste im Hambacher Forst, wo sich Umweltschützer gegen großflächige Rodungen zugunsten des Braunkohle-Tagebaus zur Wehr setzen. Reul hatte das Protestcamp im September 2018 unter Einsatz massiver Polizeigewalt räumen lassen. Die Anschuldigung, politische Opposition gefährde den Staat und schaffe den Nährboden für politische Gewalt, gehört zum Standardrepertoire jeder totalitären Diktatur.

Wie die gesamte herrschende Klasse fürchtet Reul, dass die wachsende Empörung über soziale Ungleichheit, Militarismus und Staatsaufrüstung mit einem antikapitalistischen, sozialistischen Programm zusammenkommt. Deshalb will er, dass der Verfassungsschutz seinen Blick nicht auf gewaltorientierte Akteure (die oft vom Geheimdienst unterwandert sind) „verengt“, sondern legale politische Organisationen überwacht, einschüchtert und unterdrückt. Die rechtsradikalen Terrornetzwerke spielen in dieser Strategie eine zentrale Rolle.

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