Trotz der Corona-Pandemie verschärfen die USA und ihre Nato-Verbündeten die militärischen Spannungen mit Russland. Anfang Mai inszenierte die US Navy in der Arktis die größte Machtdemonstration seit Jahrzehnten, indem sie Kriegsschiffe in die strategisch wichtige Barentssee nahe Russland entsandte. Zudem gaben die USA bekannt, mit ihren Nato-Partnern das Manöver DEFENDER-Europe 20 wieder aufzunehmen. Das ursprünglich für März geplante Manöver war abgebrochen worden, um Ansteckungen von Soldaten mit Covid-19 zu verhindern.
Nun werden in zwei Wochen 6.000 US-amerikanische und polnische Soldaten mit zehntausenden Kriegsgeräten Boden- und Luftangriffe simulieren. Dabei werden sie bis auf etwa 60 Kilometer an die russische Exklave Kaliningrad herankommen. Laut der US-Regierung zielt DEFENDER-Europe 20 darauf ab, die Fähigkeit zur Reaktion auf „regionale Krisen“ und zur „Grenzsicherung“ zu trainieren. Deutschland spielt in der Operation als erste Etappe bei der Verlegung von Soldaten und Material nach Polen eine wichtige Rolle.
Weitere Militärübungen sind am Schwarzen Meer und auf dem Balkan geplant. Der Kleinstaat Nordmazedonien wurde im März in die Nato aufgenommen. Bei den geplanten Manövern wird Georgien, das im Westen ans Schwarze Meer angrenzt, eine zentrale Rolle spielen. US-Truppen arbeiten daran, das Potential des Landes zu entwickeln, um auf „aggressive“ Energieblockaden, verdeckte Geheimdienstoperationen und „Cyber-Falschinformation“ zu reagieren. Letzteres ist einer der Hauptvorwürfe, die die USA gegen Russland im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erheben.
Am 19. Mai kündigte auch der Oberbefehlshaber der russischen Marine, Michail Jewmenow, Pläne für Übungen an der Ostseeküste an. Daran sollen sechs Kriegsschiffe beteiligt sein, die mit Kurz- und Mittelstreckenwaffen ausgestattet werden können.
Der Kreml bezeichnet DEFENDER-Europe 20 als die größte US-Militärübung auf europäischem Boden seit 25 Jahren. Insgesamt sollen daran 37.000 Soldaten teilnehmen. Moskau hat nachdrücklich gegen die Militärübungen an seiner Grenze protestiert und bezeichnet sie als Teil der andauernden Versuche der Nato, bisher neutrale EU-Staaten wie Schweden und Finnland in eine offen gegen Russland gerichtete Militärkampagne einzubeziehen. Am 19. Mai warnte der Kreml außerdem vor der Verlegung von Nato-Atomwaffen von Deutschland nach Polen.
Die erste Stufe von DEFENDER-Europe 20 wird vom 5. bis zum 19. Juni stattfinden. Der Militärübung geht eine starke Zunahme der amerikanischen Marineaktivitäten im Europäischen Nordmeer und der Barentssee voraus. Anfang Mai hatten US-Zerstörer und Atom-U-Boote sowie eine britische Fregatte Übungen in den Gewässern vor Norwegen durchgeführt, das im äußersten Norden an Russland angrenzt. Kurze Zeit später drangen drei amerikanische Schiffe in die Barentssee ein, wo in der Hafenstadt Murmansk die russische Nordmeerflotte stationiert ist.
Washington bezeichnet sein Vorgehen als Reaktion auf Moskaus Operationen in dem Gebiet. Vor kurzem haben russische Spezialeinheiten dort die erste Fallschirmlandung in der Arktis aus über zehn Kilometern Höhe durchgeführt. Im März unterzeichnete der russische Präsident Wladimir Putin ein Dekret, laut dem die Sicherheitsoperationen in der Arktis verstärkt werden sollen. Auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit Russlands und Chinas in der Region wurde in den letzten Jahren intensiviert, da die Chinesen den Transport von Energieressourcen durch die Arktis finanzieren.
Doch ganz gleich, welche taktischen Kapazitäten und welche Erfahrung das russische Militär auch in der Arktis haben mag – die USA, ihre Nato-Verbündeten und die nordischen Staaten stellen sie mit ihrer gemeinsamen militärischen Stärke weit in den Schatten. Die skandinavischen Staaten werden seit 2018 immer stärker in die von den USA geführten Übungen eingebunden, deren Ziel es ist, die Vormachtstellung über die nördlichen Gewässer gegen Russland und China zu sichern. Einer kürzlichen Umfrage zufolge, würde jedoch nur in drei Nato-Staaten (Großbritannien, Niederlande und Litauen) die Mehrheit der Bevölkerung eine Nato-Reaktion auf einen russischen Angriff befürworten.
Gleichzeitig forciert Washington die Annullierung aller militärischen Abkommen mit Moskau. Vermutlich werden sich die USA bald aus dem Open Skies-Abkommen von 2002 zurückziehen. Die 35 Unterzeichner dieses Vertrags, zu denen auch Russland gehört, erlauben Mitgliedsstaaten unbemannte Überflüge mit dem Ziel, die militärischen Einrichtungen zu überwachen. Letztes Jahr sind die USA aus dem INF-Vertrag mit Russland ausgetreten und haben sofort begonnen, bisher verbotene Waffen zu testen.
Der letzte verbliebene Vertrag zur Atomwaffenabrüstung zwischen den USA und Russland, der New START (Strategic Arms Reduction Treaty) von 2010, soll nächstes Jahr auslaufen. Vertreter der Trump-Regierung haben keine Andeutungen gemacht, dass die USA ihn erneuern werden.
Die USA eskalieren die Spannungen gegenüber Russland in einer Situation, in der die beiden Länder bei den Corona-Infektionen weltweit die ersten beiden Plätze einnehmen. In den USA gibt es mehr als 1,5 Millionen Fälle, in Russland über 300.000. Während auf die USA fast ein Drittel der weltweiten Todesopfer entfallen, meldet Russland offiziell weiterhin eine bemerkenswert niedrige und höchst fragwürdige Zahl von Todesopfern.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Die US-Medien nutzen Covid-19, um die Stimmungsmache gegen Russland weiter zu verschärfen. Viele Medien machen Russland für Falschinformationen über das Coronavirus verantwortlich, die es angeblich verbreite, um die bevorstehende Präsidentschaftswahl zu beeinflussen. Moskau wird außerdem vorgeworfen, es würde internationale Spaltungen fördern und die innenpolitischen Krisen in anderen Ländern verschärfen.
Wie in Europa, wütet das Coronavirus auch in den USA verheerend in den Alten- und Pflegeheimen. Die Staaten auf beiden Seiten des Atlantik kämpfen verzweifelt um dringend benötigte medizinische Güter. Gleichzeitig hat Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg Russland vorgeworfen, von der Lage zu profitieren, um „die Nato-Verbündeten so darzustellen, als wären wir beispielsweise nicht in der Lage, unsere Alten zu schützen, oder unfähig zur Zusammenarbeit“.
Viele Kommentatoren prangern die auffallend niedrige Zahl an Corona-Toten in Russland als Beispiel für die schändlichen Methoden an, mit denen der Kreml Informationen unterdrücke. Dabei gehen sie mit keinem Wort darauf ein, dass die USA und alle anderen Länder auf ähnliche Weise versuchen, die Auswirkungen der Krankheit zu beschönigen und die politische Verkommenheit der sozialen Systeme zu verbergen, welche die Ausbreitung des tödlichen Virus massiv begünstigt hat.
In den USA sind die Demokraten die treibende Kraft für anti-russische Hysterie, doch tatsächlich unterstützen beide Parteien den gefährlichen Kriegskurs. Sie betrachten ihn als unverzichtbar für eine weltweite Machtdemonstration der USA.
Am 8. Mai, dem 75. Jahrestag des Siegs über Hitler-Deutschland, lobte US-Präsident Donald Trump die USA und Großbritannien auf Twitter für ihren „Sieg über die Nazis“. Der russische Außenminister Sergei Lawrow kritisierte diese Erklärung, welche die entscheidende Rolle der Sowjetunion völlig weggelassen hatte. Tatsächlich hatten sowjetische Truppen den Großteil der Kämpfe in Europa geführt und Millionen Todesopfer – mehr als jedes andere Land – erlitten.