Corona-Pandemie: Lage für Flüchtlinge in Deutschland spitzt sich zu

Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie spitzt sich die Lage für Flüchtlinge in den Erstaufnahmeeinrichtungen und Ankerzentren dramatisch zu.

Als erstes Ankerzentrum hat das Lager bei Geldersheim in Unterfranken acht bestätigte Corona Fälle bekanntgegeben. Die infizierten Bewohner befinden sich abgesondert von den anderen Flüchtlingen in Quarantänebereichen. Alle Tore sind geschlossen. Aufnahmen und Abschiebungen sind ausgesetzt und kein Bewohner darf das Lager verlassen. Die Ausgangssperre wird streng von der Security kontrolliert. Die Flüchtlingsunterkünfte werden jetzt im wahrsten Sinne des Wortes zu Gefängnissen.

Die Abriegelung des Lagers in Geldersheim hat nichts mit einer medizinisch notwendigen Quarantäne zu tun. Das Infektionsrisiko im Lager bleibt unvermindert hoch, da das Virus nicht durch einen Neuzugang in die Einrichtung kam, sondern durch einen seit Monaten untergebrachten Bewohner, der schon vor dem Ausbruch der Krankheit ansteckend war. Mitarbeiter des Ankerzentrums betreten das Lager nur noch, soweit es unbedingt nötig ist, und sind dabei verpflichtet, Masken zu Tragen. Die Flüchtlinge hingegen bleiben ungetestet und ohne jeden Schutz auf engstem Raum zusammengepfercht, was das Risiko weiterer Infektionen erhöht.

Katharina Grote vom Flüchtlingsrat Bayern berichtete uns am Telefon von den katastrophalen Zuständen in den bayrischen Ankerzentren. Ehrenämter und Sozialteams hätten keinen normalen Zugang mehr zu den Lagern, was den Informationsfluss in und aus dem Lager noch weiter erschweren würde. Hilfestellung bekämen die Flüchtlinge jetzt nur noch über Whatsapp und Telefon. Zudem gebe es momentan kaum strukturierte mehrsprachige Informationen über die Epidemie und ihre Konsequenzen.

Die Security ist angehalten, die gesetzlichen Auflagen innerhalb der Lager durchzusetzen und mögliche Ansammlungen zu trennen. Außerdem soll sie den Sicherheitsabstand von 1,5 Metern zwischen den Flüchtlingen sicherstellen. Betrachtet man die gemeinschaftlichen Sanitäranlagen, in denen häufig nicht einmal das notwendige gründliche Händewaschen möglich ist, weil die Seife fehlt oder die Warmwasserversorgung nicht gegeben ist, wird klar, dass die verschärfte Präsenz der Security vor allem auf die Unterdrückung der Flüchtlinge abzielt.

Erst vor wenigen Tagen hat die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen einen Großeinsatz der Polizei mit Panzerwagen, Wasserwerfern und zwei Hundertschaften Bereitschaftspolizei in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Suhl organisiert. Dort hatten Flüchtlinge gegen die kollektive Lagerhaft von über 500 Asylsuchenden und die unsäglichen hygienischen und medizinischen Bedingungen nach einem Corona-Fall im Lager protestiert. Die Flüchtlinge hatten sich auch darüber beklagt, keine Informationen über Covid-19 und die notwendigen Hygiene- und Quarantänemaßnahmen zu bekommen.

Die Ausgangsbeschränkungen treffen Flüchtlinge besonders hart, da es in den Lagern keine privaten Rückzugsorte gibt. Das verschärft nicht nur die hygienischen Bedingungen der Unterkünfte, sondern auch die psychischen Probleme, mit denen viele Flüchtlinge zu kämpfen haben. Da das Internet in den Unterkünften schon im Normalfall an seine Grenzen stößt, haben Kinder Schwierigkeiten, ihre Hausaufgaben herunter- oder hochzuladen. Kurse und Hilfsangebote fallen auf Grund der nicht vorhandenen Online-Infrastruktur aus.

Die Forderungen der Landesflüchtlingsräte und bundesweiten Medibüros/Medinetzen nach einem Abschiebestopp, einer flächendeckende Gesundheitsversorgung und der sofortigen Auflösung aller Massenunterbringungen in Gemeinschaftsunterkünften, Erstaufnahmeeinrichtungen und Ankerzentren schlagen die Regierungen auf Bundes- und Landesebene in den Wind. Stattdessen verwandeln sie die Lager zunehmend in rechtsfreie Räume, in denen Flüchtlinge nicht einmal mehr ihr Grundrecht auf Asyl einklagen können.

Viele Flüchtlinge sind auf Unterstützung angewiesen, um die behördlichen Schreiben zu entschlüsseln und zu verstehen. Da die ehrenamtlichen Berater jedoch nicht mehr vor Ort sind und auch die Rechtsantragssteller der Verwaltungsgerichte ihre Außenstellen in den Ankerzentren geschlossen haben, sind die meisten Flüchtlinge nicht mehr in der Lage, gegen einen Ablehnungsbescheid zu klagen.

Schon vor der Corona-Krise war die rechtliche, soziale und medizinische Situation für die meisten Flüchtlinge dramatisch. Viele sind unter desolaten Bedingungen untergebracht, und in den Unterkünften herrscht generell ein hohes Infektionsrisiko. Kinder und Erwachsene sind häufiger krank und die ärztliche Versorgung wird durch behördliche Schikanen erschwert. Flüchtlingsorganisationen warnen seit langem vor der Enge der Unterkünfte und kritisieren, dass es Flüchtlingen untersagt ist, selbst zu kochen. Stattdessen müssen sie die Lagerkantinen aufsuchen, die in der jetzigen Krisensituation zu Hotspots der Ausbreitung werden können.

Als WSWS-Reporter im Sommer 2018 mit Flüchtlingen im Ankerzentrum Manching (Oberbayern) sprachen, klagten sie schon damals über die „sklaven- und tierähnliche“ Unterbringung. Sie berichteten von gefängnisähnlichen Zuständen und dem oft gewalttätigen Vorgehen der Security im Lager. Die Anwendung physischer und psychischer Gewalt sei dabei keine Ausnahme, sondern habe System.

"Unser einziges Verbrechen ist Asyl zu suchen." Interviews mit Flüchtlingen (ANKER-Zentrum Manching)

Es wird immer klarer, dass die herrschende Klasse die Corona-Krise als Möglichkeit sieht, die brutale Unterdrückung und Ausbeutung der Flüchtlinge und aller Arbeiter zu verschärfen. Anfang der Woche forderte die Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) den Einsatz von Asylbewerbern auf den Äckern, da auf Grund der Corona-Pandemie die Erntehelfer aus Osteuropa fehlten. Asylbewerber könnten die Lücken füllen und „mit anpacken“, erklärte sie gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Flüchtlinge mit einem Beschäftigungsverbot sollten dazu eine vorübergehende Arbeitserlaubnis in der Landwirtschaft erhalten.

Der Plan der Bundesregierung zeigt einmal mehr den im Kern faschistischen Charakter der deutschen Bourgeoisie. Zunächst sollen zehntausende Flüchtlinge vorübergehend die „Erlaubnis“ erhalten, auf den Feldern zu schuften. Nachdem sie dann nicht mehr gebraucht werden, wird ihnen die Arbeitserlaubnis wieder entzogen, um sie möglichst schnell abschieben zu können.

Der Vorschlag wird auch von den Grünen unterstützt. „Die Landwirtschaft ist systemrelevant für unsere Grundversorgung“, erklärte die frühere Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast. Klöckners Vorschlag, für viele helfende Hände zu sorgen, sei deshalb richtig. Die rechtsextreme AfD fordert, „zur Not auch Schüler ab der 10. Klasse und Studenten bei der Ernte“ einzusetzen.

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