Im Londoner Schauprozess gegen den WikiLeaks-Gründer Julian Assange vertagte die Vorsitzende Richterin Vanessa Baraitser schon am Donnerstag das Auslieferungsverfahren auf Mitte Mai. Derweil gingen auf der ganzen Welt Menschen für Julian Assange auf die Straße. Neben den großen Kundgebungen und Versammlungen in London gab es in den letzten Tagen unter anderem Protestaktionen in den australischen Städten Sydney, Melbourne und Brisbane, in Sri Lanka, in Neuseeland, im kanadischen Montreal, wie auch erstmals in New York. In Deutschland und in der Schweiz gingen Unterstützer für Assange in Berlin, Köln, Düsseldorf und Frankfurt am Main, sowie in Basel, Zürich und Bern auf die Straße.
In Bern fand am Montag, dem 24. Februar, eine Mahnwache auf dem Helvetiaplatz statt, an der etwa 90 Personen teilnahmen. Initiator war eine Gruppe um den Physiker Stefan Wolf, Professor für Cryptography und Quantum Information an der Universität Lugano. Eine Delegation reichte anschließend bei der britischen Botschaft eine Petition ein, um die Auslieferung von Julian Assange an die USA zu verhindern. Die Berner Polizei, die alle Kundgebungen vor der Botschaft untersagt hatte, erlaubte nur höchstens vier Personen, an der Delegation teilzunehmen.
In einer Ansprache an die Teilnehmer der Mahnwache wies Wolf auf den Skandal um die Schweizer Firma Crypto AG hin und sagte: „Dass die reputierte ‚Crypto‘ seit Jahrzehnten im Besitz der CIA und des BND war, das klingt wie ein schlechter Witz.“ Aber weder würden die Geheimdienste einer stärkeren Kontrolle unterzogen, noch würden die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen. „Stattdessen werden die Berichterstatter – Edward Snowden, Julian Assange, Chelsea Manning, Glenn Greenwald – diffamiert und ihre Tätigkeit kriminalisiert.“ Unter Beifall forderte Wolf, Assange nicht an die USA auszuliefern, sondern ihn sofort aus der Haft zu entlassen.
An der Mahnwache nahm auch Brenda, eine Krankenschwester aus Basel, teil, die sich seit Assanges Verhaftung am 11. April 2019 aktiv für ihn engagiert. „Ich war schockiert, wie sie ihn behandeln“, sagte sie der World Socialist Web Site. „Es war offensichtlich, dass da eine bereits kranke Person wirklich schlecht behandelt wurde. Ich wusste zwar schon vorher ungefähr, wer Assange war, aber erst da begann ich, Infos über ihn zu sammeln.“
Brenda brachte die allgemeine Stimmung mit den Worten auf den Punkt: „Je mehr ich erfahre, desto entsetzter bin ich.“ Der ganze Vorgang sei „schockierend und völlig undemokratisch, aber zum Glück beginnen immer mehr Menschen, sich selbst zu informieren“.
Susanne Beyme hatte erst dieses Jahr begonnen, Unterschriften für eine Petition zu sammeln, die Asyl für Julian Assange in der Schweiz verlangt. Davor hatte sie abschlägige Antworten von der Schweizer Regierung und dem staatlichen Radio- und Fernsehsender SRF erhalten, wie sie der WSWS an der Berner Mahnwache erklärte. Weder die Regierung, noch die Medien seien offenbar bereit, für Assange auch nur einen Finger zu rühren.
„Als das Schweizer Fernsehen SRF die Verhaftung nur kurz im Zusammenhang mit einer Anklage wegen Vergewaltigung in Schweden erwähnte, schrieb ich denen einen Brief mit der Frage, ob sie denn nicht sagen wollten, worum es wirklich gehe, und was Assange repräsentiere. Doch sie unternahmen nichts“, berichtete Susanne.
Als im Herbst die ersten Infos von Nils Melzer bekannt wurden, „war ich erst recht entsetzt. Erneut schrieb ich dem SRF, warum sie das wichtigste Thema unserer Zeit totschwiegen? Ihre Antwort war: Ob das ein wichtiges Thema sei oder nicht, das bleibe dahingestellt.“
Das EDA [Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten] habe sich in seiner Antwort hinter eine Anfrage der Regierung von 2017 gestellt, in der es heißt, dass Assange „nicht die Absicht gehabt habe, Menschenrechtsverstöße zu fördern und zu schützen“.
„Wie sich zeigt, haben all diese Regierungen, die sich demokratisch nennen, mit der CIA im Geheimen zusammengearbeitet, sowohl Schweden als auch die Schweiz, wie man jetzt auch an dem Crypto-Skandal sehen kann“, so Susanne.
Auf die Frage nach den Ursachen antwortete sie: „Dahinter steckt das große Geld“. Extreme soziale Polarisierung zwischen Reich und Arm habe sich „noch nie mit Demokratie vertragen. Das erklärt auch, warum sogar angeblich demokratische Länder wie Schweden und die Schweiz sich nicht anders verhalten.“ Sie sagte weiter: „Wenn ich mich heute auf der Welt umschaue, habe ich allerdings das Gefühl, dass etwas in Bewegung kommt.“
Mehrere Teilnehmer sagten, sie hätten schon eine ganze Zeit lang das dumpfe Gefühl gehabt, dass der Umgang mit Julian Assange nicht in Ordnung sei, doch besonders durch die klaren Worte von Nils Melzer, dem UN-Sonderbeauftragten für Folter, sei ihnen klargeworden, dass es höchste Zeit sei, aktiv zu werden.
So hatte die deutsche Krankenschwester Ulrike schon vor zehn Jahren erkannt, dass Julian Assange „etwas ganz besonderes“ sei, und sein Schicksal seither „aus der Ferne“ beobachtet. Sie sagte: „Wenn man sich das heute vorstellt: Vor seiner Gefangennahme war Julian Assange schon sieben Jahre lang in der Botschaft in einem winzigen Raum Tag und Nacht eingesperrt …“
Ulrike erinnerte daran, dass Julian auch eingegriffen hatte, als Edward Snowden 2013 von Hongkong aus den weltweiten NSA-Lauschangriff enthüllt hatte, und dass Assange dafür sorgte, dass Snowden vor den Verfolgern in Sicherheit gebracht wurde. Sie fand es „wirklich bemerkenswert, wie er damals Ed Snowden geholfen hat“.
Auch in Frankfurt am Main werden die Mahnwachen jedes Mal größer. Hier geht das Free Assange Committee am heutigen Samstag, dem 29. Februar, mit einer Demonstration auf die Straße. „Die Teilnehmerzahlen sind in die Höhe geschossen“, sagte Moritz, seit fünf Monaten ein Administrator des Free Assange Committee Frankfurt. „Auch wenn wir offensichtlich noch keine unüberschaubare Menge an Leuten sind, werden es immer mehr.“
Assange sei reiner Willkür ausgesetzt, aber die unabhängige Unterstützung habe für ihn große Bedeutung. Moritz betonte, wie wichtig das für Assange jetzt sei, und schilderte als Beispiel die Situation, als Julian Assange im Polizeiwagen zur Anhörung vor dem Gericht an- und abtransportiert worden sei: „Wie üblich stehen dann viele Unterstützer um den Wagen herum und rufen ihm Botschaften mit massiver Unterstützung zu: ‚Wir lassen es nicht zu, Julian, wie sie dich behandeln! Wir kämpfen für dich, we will fight for you!‘ Stellt euch den Unterschied vor, den es im Kopf eines jeden Menschen macht, diese ermutigenden Worte zu hören.“
Auf die Bedeutung der unabhängigen Organisation wies auch Alexandra hin, die „treibende Kraft“ hinter dem Frankfurter Komitee. Sie sagte den Teilnehmern einer Mahnwache auf der Frankfurter Zeil: „Julian Assange hat durch WikiLeaks in erheblichem Maße dazu beigetragen, dass Geheimpapiere von großem allgemeinem Interesse an die Öffentlichkeit kamen … Dank WikiLeaks wurde zudem deutlich, welchen großen Wert Whistleblower für unabhängigen Journalismus haben, und wie wichtig demzufolge auch ich Schutz ist.“
Der Journalismus müsse als „vierte Gewalt“ gewährleisten, dass es „eine kritische Berichterstattung über die gesellschaftlichen Zustände und das Handeln der Mächtigen gibt … Dafür bedarf es neuer Strukturen, die nicht die Nähe zur Macht suchen, sondern der Allgemeinheit verpflichtet sind.“
„Assange hat den Mut gehabt, aufzustehen und Unrecht beim Namen zu nennen“, so Alexandra. „Ihm gebühren Preise und Auszeichnungen für seine Aufklärungsarbeit, aber nicht Gefängnis und Folter!“