„Früh krümmt sich, was ein Haken werden will“, sagt der Volksmund und formuliert damit recht treffend die zynische Rolle von Juso-Chef Kevin Kühnert. Der verfolgt seine politische Karriere im SPD-Apparat als linker Schwätzer und Feigenblatt der SPD-Rechten.
Vor zwei Jahren war Kühnert als Wortführer der Gegner der Großen Koalition aufgetreten. Jetzt, nachdem die Koalition eine extrem rechte Politik verwirklicht hat und unter Arbeitern verhasster ist denn je zuvor, verteidigt Kühnert die Große Koalition.
In einem langen Interview mit der Rheinischen Post warnt er „vor den Folgen eines vorschnellen Ausstiegs“. „Wer eine Koalition verlässt, gibt einen Teil der Kontrolle aus der Hand“, doziert der Juso-Chef und lobt die Arbeit der Regierung. Wörtlich sagt er: „Auch Kritiker wie ich können nicht bestreiten, dass die inhaltliche Arbeit klar von der SPD dominiert wurde.“
Er wolle auch den Koalitionsvertrag nicht neu verhandeln, sagt Kühnert und behauptet: „Niemand hat das je gefordert.“ Es gebe im Koalitionsvertrag aber eine Revisionsklausel, in der festgeschrieben sei, dass bei veränderten Rahmenbedingungen neue Vorhaben vereinbart werden könnten. „Auf diese Klausel berufen wir uns“, so Kühnert.
Kühnerts Aufruf zur Verteidigung der Großen Koalition ist eine Reaktion auf die Wahl von Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken zu neuen Vorsitzenden der SPD und den SPD-Parteitag am kommenden Wochenende.
Das Duo Walter-Borjans/Esken hatte sich in einem Mitgliederentscheid überraschend gegen den vom Parteiestablishment favorisierten amtierenden Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz durchgesetzt, der gemeinsam mit der brandenburgischen Landtagsabgeordneten Klara Geywitz angetreten war. Es wurde von Kühnert und den Jusos unterstützt, die es als „linke Alternative“ und „Groko-Gegner“ darstellten. Vor allem Esken hatte im Wahlkampf immer wieder versprochen, sie werde den Koalitionsvertrag neu verhandeln und die Koalition beenden, falls CDU und CSU keine Zugeständnisse machten.
Seit Bekanntwerden des Wahlergebnisses rudern Esken und Walter-Borjans nach Kräften zurück. Im Leitantrag für den Parteitag ist von Neuverhandlungen oder einem möglichen Bruch der Koalition keine Rede mehr. Stattdessen heißt es nur noch, man wolle mit CDU und CSU „sprechen“, ohne dass irgendwelche Bedingungen gestellt werden.
Sowohl die Minister in der Bundes- und in diversen Landesregierungen wie die Bundestagsabgeordneten haben deutlich gemacht, dass sie auf keinen Fall ein vorzeitiges Ende der Koalition und Neuwahlen riskieren wollen. Trotzdem herrscht in den Medien große Nervosität, dass auf dem Parteitag etwas schief laufen und die Regierung, die soeben einen weiteren Sparhaushalt und eine massive Steigerung des Militärhaushalts beschlossen hat, vorzeitig zu Fall kommen könnte. Nun hat ihnen auch Kühnert versichert, dass von den Jusos kein Ärger zu erwarten sei und sie loyal zur Großen Koalition stünden.
Auf die Interview-Frage, ob er es im Nachhinein bereue, dass er nicht selbst für den Parteivorsitz kandidiert habe, antwortete Kühnert, es sei nicht um den „Vorsitz in einem Anglerverein“ gegangen, sondern um die Leitung der „ältesten demokratischen Partei in Deutschland“. Er habe zwar auf die unmittelbare Kandidatur verzichtet, sei deshalb aber „nicht aus der Welt.“ Die SPD finde „auch hinter den beiden Vorsitzenden statt.“
Soll heißen: Das Parteiestablishment – die Riege der Bundes- und Landesminister, die Abgeordneten-Fraktionen, Parteivorstand und Präsidium – ist das politische Machtzentrum und bestimmt Programm und Politik der Partei.
Und genau dort strebt Kevin Kühnert nun hin. Im selben Interview kündigte er an, auf dem kommenden SPD-Bundesparteitag für den Posten des stellvertretenden Parteivorsitzenden zu kandidieren. Er kennt seine Rolle in dem verlogenen Spiel, der SPD ein pseudolinkes Mäntelchen umzuhängen.
Der tiefere Grund, weshalb die SPD trotz katastrophaler Umfragewerte hinter der Großen Koalition die Reihen schließt, sind die heraufziehenden Klassenkämpfe in Deutschland und ganz Europa. In Frankreich findet am heutigen Donnerstag der größte Generalstreik seit vielen Jahren gegen die Rentenpläne der Regierung Macron statt.
In Deutschland brodelt es im öffentlichen Dienst; in den Krankenhäusern, in den Schulen und im Öffentlichen Nahverkehr herrschen unerträgliche Arbeitsbedingungen. Die großen Autokonzerne und die Zulieferfirmen haben in den vergangenen Tagen den Abbau zehntausender Arbeitsplätze bekannt gegeben. Den Gewerkschaften fällt es immer schwerer, die Wut und Empörung unter Kontrolle zu halten.
Unter diesen Bedingungen steht die SPD loyal zum Staat, zu den Konzernen und zu den Gewerkschaften, die gemeinsam den Sozial- und Arbeitsplatzabbau durchsetzen und den Klassenkampf unterdrücken. Der wahre Charakter dieser Partei wird immer offensichtlicher. Es ist eine rechte Staatspartei, die uneingeschränkt die Interessen der Banken, der Großkonzerne, der Geheimdienste und der Armee vertritt.
Das gilt auch für die Jusos und Kevin Kühnert. Wir hatten bereits vor zwei Jahren aufgezeigt, dass die damalige NoGroKo-Kampagne der Jusos vor allem ihrer „Angst vor dem Untergang der SPD und dem damit verbundenen Verlust von Ämtern und Pfründen“ entsprang.
„Kühnert und den Jusos geht es nicht darum, einen politischen Kampf gegen die Große Koalition zu organisieren, geschweige denn Arbeiter und Jugendliche auf der Grundlage eines sozialistischen Programms für Neuwahlen zu mobilisieren“, schrieben wir. „Ihr Ziel ist es, den Zusammenbruch der SPD in einer Neuauflage der Großen Koalition aufzuhalten und zu verhindern, dass sich die wachsende Opposition in der Bevölkerung außerhalb des offiziellen Parteienspektrums Bahn bricht.“
Die SPD reagiert auf die Krise des Kapitalismus, den wachsenden Handelskrieg und vor allem den zunehmenden Widerstand von Seiten der Arbeiterklasse mit einem scharfen Rechtsruck. In vielen politischen Bereichen bildet sie den rechten Flügel der Großen Koalition. So greift sie Merkel und die Unionsparteien in der Außenpolitik von rechts an und betont, dass sie die Großmachtinteressen des deutschen Imperialismus besser und konsequenter durchsetzen könne. Angesichts schlechter Umfragewerte stützt sie sich immer direkter auf den staatlichen Unterdrückungsapparat und strebt diktatorische Herrschaftsformen an.
Kühnerts Aufruf zur Verteidigung der Großen Koalition ist Ausdruck dieser Rechtsentwicklung, die den Parteitag am kommenden Wochenende dominieren wird.