Am Mittwoch wurden in Libyen bei einem Angriff auf ein Haftlager für Flüchtlinge zahlreiche afrikanische Flüchtlinge, die dort inhaftiert waren, getötet oder verwundet. Das in einem östlichen Vorort der Hauptstadt Tripolis gelegene Lager wurde direkt von einer Bombe getroffen.
Laut libyschen Regierungsvertretern wurden 44 Flüchtlinge getötet und weitere 130 verwundet. Allerdings wird die Zahl der Todesopfer weiter steigen, da weiterhin Leichen aus den Trümmern geborgen werden und viele der Verwundeten schwere Verletzungen erlitten. Am Mittwochnachmittag wurden die überlebenden Flüchtlinge, die sich noch immer nahe des Haftlagers befanden, dabei beobachtet, wie sie zusammengekauert auf dem Boden saßen. Sie befürchteten einen weiteren Anschlag und hatten keine Möglichkeit, sich in Sicherheit zu bringen.
Die Bilder, die von den libyschen Medien veröffentlicht wurden, zeigten schreckliche Szenen. Der Fußboden des Haftlagers, das sich in einer Art Flugzeughangar befand, war mit Leichen, abgetrennten Gliedmaßen, Kleidung, Taschen und Matratzen übersät, die Wände mit Blut bespritzt.
Der Angriff war das blutigste Ereignis in dem seit drei Monaten neu aufgeflammten Bürgerkrieg, der aktuell mindestens 700 Todesopfer gefordert und etwa 90.000 Menschen zur Flucht gezwungen hat.
Die Regierung in Tripolis machte Kampfflugzeuge des libyschen Militärherrschers „Feldmarschall“ Chalifa Haftar für den Vorfall verantwortlich. Haftars Truppen belagern Tripolis seit April, um den von den UN unterstützten Präsidenten Fayiz Sarradsch zu stürzen, dessen schwaches Marionettenregime von der Unterstützung durch eine Ansammlung von islamistischen Milizen abhängig ist.
Haftars Truppen befinden sich vor allem im Osten und Süden Libyens. Sie behaupten, sie würden im Namen einer rivalisierenden Regierung handeln, die im Jahr 2014 in Tobruk durch die Gründung eines Repräsentantenhauses eingesetzt wurde. Sie bestanden darauf, dass der Angriff sich im Zuge von Mörserbeschuss durch die Milizen, die das Regimes in Tripolis unterstützen, ereignet hätte. Haftars Libysche Nationale Armee erklärte im Stil des Pentagon: „Unsere Luftstreitkräfte erfassen ihre Ziele mit größter Sorgfalt und berücksichtigen alle Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung.“
Laut Al Jazeera hat die LNA am Montag angekündigt, sie werde ihre Luftangriffe auf die libysche Hauptstadt intensivieren, da die „traditionellen Mittel“ zur Belagerung der Hauptstadt nicht funktionieren. Sie forderte Zivilisten auf, sich von „Konfrontationsgebieten“ fernzuhalten.
Natürlich hatten die afrikanischen Flüchtlinge, die vom libyschen Regime und mit ihm verbündeten Milizen gegen ihren Willen unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten werden, keinerlei Möglichkeit, diesen Rat zu befolgen. Der Hangar, in dem sie eingesperrt waren, befand sich direkt neben Militäreinrichtungen, die den Milizen aus dem Vorort Tajoura östlich von Tripolis gehörten.
Nachdem vor zwei Monaten das Dach des Gebäudes bei einem Angriff beschädigt wurde, warnte das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR), das Gefängnis befinde sich an einem gefährdeten Ort.
Der Sprecher des UNHCR für das Mittelmeer und Afrika, Charlie Yaxley, erklärte gegenüber Al Jazeera: „Wir haben damals eine schnelle Evakuierung gefordert. Aber die Häftlinge sind dort geblieben und leider mussten die Menschen dafür gestern Abend mit ihrem Leben bezahlen.“
Mit der Eskalation der Luftangriffe reagiert die LNA auf die Eroberung der Stadt Gharyan, etwa 80 Kilometer südlich der Hauptstadt, durch Milizen des Regimes in Tripolis. Die LNA hatte die Stadt im April eingenommen und als Basis für ihre Belagerung von Tripolis eingerichtet.
Im Vorfeld dieses Rückschlags für Haftars Truppen hatte die Türkei ihre Intervention zur Unterstützung von Präsident Sarradsch verstärkt, ihm Waffen geliefert und seine Truppen durch Drohnenangriffe unterstützt, die vom Flughafen Tripolis aus erfolgten. Die LNA behauptet, sie habe drei dieser Drohnen auf dem Rollfeld zerstört.
Die LNA genoss derweil beträchtliche militärische Unterstützung durch die ägyptische Diktatur von General Abdel Fattah el-Sisi sowie von den Ölmonarchien in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) am Persischen Golf. Sowohl Ägypten als auch die VAE haben Kampfflugzeuge geschickt, die der LNA Luftunterstützung geben. Das Ziel dieser Regimes, die Washingtons engste Verbündete in der arabischen Welt sind, besteht in der Errichtung einer vom Militär dominierten Diktatur nach dem Vorbild des Regimes in Kairo.
Obwohl die USA und die europäischen Mächte formell das Marionettenregime von Präsident Sarradsch in Tripolis unterstützen, hatte US-Präsident Donald Trump im April, nachdem Haftar seine Offensive begonnen hatte, mit diesem telefonisch über das diskutiert, was vom Weißen Haus als ihre „gemeinsame Vision“ für Libyen beschrieben wurde.
Haftar ist ein ehemaliger General der libyschen Armee, der nach seiner Gefangennahme im Zuge des Kriegs zwischen Libyen und dem Tschad in den 1980ern die Seiten wechselte und von der CIA in die USA gebracht wurde. Dort lebte er zwanzig Jahre in der Nähe des CIA-Hauptquartiers in Langley (Virginia), bevor er 2011 wieder nach Libyen geschickt wurde, um sich am Nato-Krieg für einen Regimewechsel zu beteiligen. Dieser endete mit dem Sturz des langjährigen Herrschers Muammar Gaddafi und seiner Ermordung durch einen Lynchmob.
Letzte Woche sollen Milizen, die das Regime in Tripolis unterstützen, einen Stützpunkt der LNA erobert und dabei amerikanische Panzerabwehrraketen vom Typ Javelin erbeutet haben. Diese Raketen befanden sich in Verladekisten, deren Aufschriften darauf hindeuteten, dass sie von Washington aus über die VAE an sie geliefert wurden.
Der UN-Sicherheitsrat kam am Mittwochabend zu einer Sondersitzung über die jüngste Gräueltat in Libyen hinter verschlossenen Türen zusammen. Es gelang ihm jedoch nicht, sich auf eine Erklärung zu einigen, in dem der Angriff verurteilt wird. Der Vertreter der USA weigerte sich, eine solche Erklärung ohne Zustimmung aus Washington zu unterzeichnen, und das unter Bedingungen, in denen mehrere Regierungen und Behörden das Massaker an den Flüchtlingen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt hatten.
Die Heuchelei, die in diesen Verurteilungen zum Ausdruck kommt, ist atemberaubend. Das Massaker außerhalb von Tripolis ist das direkte Ergebnis einer Politik, die alle imperialistischen Mächte in ihrem globalen Krieg gegen Flüchtlinge verfolgt haben, sowie ihrer Versuche, die größten Ölvorkommen Afrikas in Libyen unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Vergewaltigung des Landes durch die USA und die Nato im Jahr 2011, die mit dem Vorwand begonnen wurde, sie geschehe zum Schutz von „Menschenrechten“ und zur Verhinderung eines angeblich drohenden Massakers an Oppositionellen im ostlibyschen Bengasi, forderte zehntausende libysche Todesopfer und hatte die Zerstörung der Infrastruktur und der Institutionen des Landes zur Folge. Sie bildete den Auftakt für acht Jahre ununterbrochener Konflikte und Bürgerkriege.
Gleichzeitig ist das Schicksal der Todesopfer in Tajoura und tausender anderer, die in ganz Libyen in Konzentrationslagern festgehalten werden, das direkte Ergebnis einer reaktionären Kampagne der europäischen Großmächte. Sie haben die sogenannte „libysche Küstenwache“ ausgebildet, bewaffnet und finanziert, damit sie Flüchtlinge abfängt, die vor Krieg, Unterdrückung und Armut über das Mittelmeer fliehen wollen. Diejenigen, die gefangengenommen werden, werden in Konzentrationslager in Libyen gesteckt, wo sie unter Bedingungen festgehalten werden, die als Folter beschrieben wurden. In vielen Fällen wird mit ihnen Lösegeld erpresst, werden sie selbst als Sklaven verkauft oder ermordet.
Eine besonders üble und entscheidende Rolle bei diesem imperialistischen Gemetzel spielte eine ganze Reihe von pseudolinken Organisationen, Politikern und Akademikern in Europa und Amerika. Sie haben die falschen Vorwände der „humanitären“ Intervention, mit denen ein imperialistischer Angriffskrieg gegen eine ehemalige Kolonie gerechtfertigt wurde, lautstark wiederholt und verbreitet.