Die griechische Bereitschaftspolizei attackierte vor einer Woche Hunderte Flüchtlinge nahe der griechisch-mazedonischen Grenze, darunter Frauen und Kinder. Drei Tage lang ging sie mit Tränengas und Blendgranaten auf die hilflosen Menschen los, die die Grenze in der Nähe des Ortes Diavata überqueren wollten. Bei dem brutalen Angriff entstanden sogar Brände, entfacht von explodierenden Blendgranaten.
Rund 900 Flüchtlinge, vor allem aus Syrien, Irak und Afghanistan, hatten am 4. April in Diavata, neben dem offiziellen Flüchtlingslager im Dorf, ein provisorisches Lager mit rund 100 Zelten eingerichtet. Zuvor kursierte in den sozialen Medien die Falschmeldung, dass die Grenze nun für Flüchtlinge offen sei, um ihre Weiterreise nach Nordeuropa fortzusetzen. Innerhalb von drei Tagen wurde das Gebiet von den etwa 60 verbliebenen Migranten geräumt, die in die Lager zurückgeschickt wurden, in denen sie zuvor festsaßen. Wer keinen gültigen Ausweis vorweisen konnte, wurde verhaftet.
Dutzende Flüchtlinge besetzten am 5. April auch den Athener Hauptbahnhof Larisa. Sie forderten die Öffnung der Grenzen und wollten Richtung Norden fahren. Aufgrund des Protests fielen die planmäßigen nationalen und regionalen Zugverbindungen aus, bis der Bahnhof bis zum Nachmittag geräumt wurde.
Laut einem Nachrichtenbericht des griechischen Fernsehsenders Ant1 kam der Social-Media-Post angeblich von einer NGO namens „Caravan of Hope“. Darin stand, dass Griechenland die Grenze zu Nordmazedonien am 5. April um 12 Uhr öffnen würde. Der Fernsehsender zeigte auch den Handybildschirm eines Flüchtlings, auf dem die gleiche Social-Media-Nachricht auf Arabisch zu sehen war.
Drei Männer, die im Zuge der Ereignisse verhaftet wurden, – ein Palästinenser und ein Iraker, beide 28 Jahre alt, sowie ein 32-jähriger Syrer – mussten vor einer Woche vor Gericht in Thessaloniki erscheinen. Sie wurden angeklagt und zu zwölf Monaten Gefängnis verurteilt, weil sie sich gegen ihre Verhaftung gewehrt haben sollen. Alle drei erklärten vor Gericht, dass sie irregeführt wurden. Der palästinensische Flüchtling sagte aus: „Uns wurde erzählt, dass uns das Rote Kreuz und andere NGOs aus dem Land bringen würden. Ich glaube, wir wurden getäuscht.“
Ohne Belege zu liefern, behaupteten einige Medien, dass hinter dem Schwindel Schleuser-Netzwerke stehen würden, die ein persönliches Interesse an der Öffnung der Grenze hätten. Doch die Lüge scheint eher eine rechte Initiative gewesen zu sein, die darauf abzielte, Spannungen zwischen Griechenland und Nordmazedonien zu schüren.
Die griechische Landgrenze zu Mazedonien ist seit Anfang 2016 für Flüchtlinge gesperrt. Zur gleichen Zeit hatte die Europäische Union ein unmenschliches Abkommen mit der Türkei ausgehandelt, das vorsieht, alle Flüchtlinge, die aus der Türkei nach Griechenland kommen, solange zu internieren, bis ihr Fall bearbeitet ist und sie wieder in die Türkei abgeschoben werden können.
Wer auch immer die Falschmeldung in die Welt gesetzt hat, sie warf erneut ein Schlaglicht auf die Verzweiflung der über 70.000 Flüchtlinge, die in überfüllten Lagern auf griechischen Inseln und dem Festland festgehalten werden.
Der massive Rückstand bei Asylanträgen führt zu endlosen Wartezeiten und komplizierten Verfahren, die nur wenige Flüchtlinge verstehen. Die Ungewissheit treibt sie an den Rand der Verzweiflung – und darunter sind viele, die bereits von den brutalen Kriegserfahrungen in ihren Heimatländern traumatisiert sind. Einige müssen jahrelang in den Höllenlagern ausharren, bevor sie überhaupt in einer offiziellen Anhörung zu ihrem Asylantrag befragt werden. Shapour Karimi, ein 43-jähriger iranischer Vater, sagte in Diavata gegenüber Associated Press: „Ich bin vor anderthalb Jahren angekommen und sie haben meine Anhörung zum Asylantrag auf den Dezember 2021 angesetzt.“ Er fügte hinzu: „Was werde ich die ganze Zeit tun? Es muss eine Lösung gefunden werden, damit wir weiterreisen können.“
Bilal Jaf, eine Asylbewerberin, die im Lager bei Diavata war, bevor die Bereitschaftspolizei angriff, sprach mit der BBC über die Ereignisse. Die 25-jährige kurdische Migrantin aus dem Irak sagte: „Wir haben Angst, dass die Polizei versuchen wird, unser provisorisches Lager zu räumen... Ich lebe seit elf Monaten in Griechenland und warte auf die Prüfung meines Asylantrags. Ich weiß nicht, wie lange ich darauf warten soll.“
In einem Interview im staatlichen Radio ERA1 lobte Dimitris Vitsas, Minister für Migrationspolitik der Syriza-Regierung, das Verhalten der Polizei in Diavata und erklärte: „Sie machen ihre Arbeit, so gut sie können.“
In einem anderen Interview bei Open TV zeigte Vitsas, mit welcher abgestumpften Verachtung die Regierung der Notlage der Flüchtlinge begegnet. Er erklärte, dass die „erste Pflicht eines Flüchtlings darin besteht, die Gesetze des Staates zu respektieren, der ihn mit großer Anstrengung als Gast aufnimmt. Das muss verstanden werden.“
Er verleumdete die Flüchtlinge in Diavata und sagte, dass einige von ihnen „hart sein wollen und wenn sie nach einiger Zeit nicht das bekommen, was sie wollen, werden sie anfangen, andere Methoden zu nutzen, zum Beispiel die Polizei angreifen. Ich fordere sie auf, ihre Kinder nicht vor sich zu stellen, denn das ist nicht sehr mutig.“
Die Ministerin für öffentliche Ordnung, Olga Gerovassili, erklärte, dass „die Grenzen in andere Länder nicht geöffnet werden“, und warnte die Flüchtlinge, „die Privilegien, die sie haben, nicht zu riskieren und ihre Kinder nicht als menschliche Schutzschilde zu benutzen, weil einige Menschenhändler ihnen falsche Hoffnungen machen“.
Syriza übernahm im Januar 2015 die Macht und spielte eine zentrale Rolle bei der Fortsetzung und Vertiefung der Sparpolitik, die Millionen Griechen ins Elend gestürzt hat. Sie ist ein zuverlässiger Partner der NATO. Premierminister Alexis Tsipras hat damit geworben, dass Griechenland unter seiner Regierung ein Anker der Stabilität „sowohl auf dem Balkan als auch in der instabilen Region Südosteuropas“ sei.
Syrizas gewaltsames Vorgehen gegen Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten ist Bestandteil ihrer bürgerlichen, proimperialistischen Agenda.
Die Äußerungen ihrer Minister unterscheiden sich kaum von der faschistoiden und ausländerfeindlichen Rhetorik der rechtsextremen Kräfte in ganz Europa und international. In dem Maße, wie die herrschenden Eliten Europas immer offener die rechtsextreme Politik übernehmen und faschistische Bewegungen ermutigen, ist Syriza nur allzu gerne bereit, ihre Dienste zur Verfügung zu stellen. Sie setzt die Anti-Immigrationspolitik der EU an der Südgrenze des Kontinents durch und agiert bereitwillig als Gefängniswärter aller Flüchtlinge, die in Griechenland festsitzen.
Was Vitsas als „Gast aufnehmen“ bezeichnet, entpuppt sich als Lüge und steht im Widerspruch zu zahlreichen Berichten über die schrecklichen Zustände in den griechischen Flüchtlingslagern, die im Grunde Konzentrationslager sind. Das Lager Diavata ist eine von drei temporären Einrichtungen auf dem griechischen Festland mit einer offiziellen Kapazität für 936 Personen. Im Januar berichtete die Website Infomigrants über die katastrophalen Bedingungen im Lager, in dem viele Flüchtlinge unter eisigen Temperaturen während eines Kälteeinbruchs ums Überleben kämpften.
In dem Bericht heißt es: „Das Lager ist mit rund 800 registrierten Asylbewerbern voll ausgelastet. Darüber hinaus leben zwischen 500 und 650 Menschen am Standort, ohne von den Migrationsbehörden registriert worden zu sein.“ Die Seite zitiert Mike Bonke, den Landesdirektor des Arbeiter-Samariter-Bunds, der Diavata unterstützt: „Die meisten von ihnen haben ihre eigenen provisorischen Unterkünfte und Zelte gebaut, die ihnen nicht den nötigen Schutz bieten.... Sie haben keine (sicheren) Heizungs-, Wasch-, Sanitär- und Kochgelegenheiten.“
Emmanuel Goué, Landeskoordinator von Ärzte ohne Grenzen in Griechenland, erklärte letzten Monat: „Griechenland ist zu einem Abladeplatz für Frauen, Männer und Kinder geworden, für deren Schutz die EU nicht sorgt.“ Er fügte hinzu: „Was als Flüchtlingsnotlage ausgerufen wurde, hat in der Folge auf den griechischen Inseln und auf dem griechischen Festland zu einem nicht entschuldbaren Ausmaß an menschlichem Leid geführt. Die EU und die griechischen Behörden rauben den Menschen ihre Würde und ihre Gesundheit; wie es scheint, um andere davon abzuhalten, nachzukommen. Diese Politik ist grausam, unmenschlich und zynisch – und sie muss beendet werden.“
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