Die Protestes der „Gelbwesten“ in Frankreich haben den arbeiterfeindlichen Charakter der Linkspartei entlarvt. Die Parteiführung und die parteinahen Medien hatten auf die ersten Massendemonstrationen Ende November in Paris und anderen französischen Städten mit offener Feindschaft reagiert.
„Sprache der Gewalt“ titelte etwa das Neue Deutschland (ND) am 26. November. Und das Hausorgan der Linkspartei meinte damit nicht etwa das brutale Vorgehen der Polizei und der Sicherheitskräfte, sondern die überwiegend friedlichen Demonstranten, die gegen höhere Benzinsteuern und für höhere Löhne und mehr soziale Gerechtigkeit auf die Straße gingen. „Die von der Polizei nicht genehmigten Demonstrationen der ‚Gelben Westen‘“ seien „in Gewalt ausgeartet“ und die Polizei habe Stunden gebraucht, „um die Ruhe wiederherzustellen“.
Auch die Parteiführung sah in einer der größten sozialen Bewegung in Frankreich seit dem Generalstreik 1968, die sich außerhalb der Kontrolle der Gewerkschaften und der offiziellen Parteien entwickelte, nur eine rechte Verschwörung. Anfang Dezember denunzierte der Co-Vorsitzende der Partei, Bernd Riexinger, die Gelbwesten gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) mit den Worten: „Das Potenzial Ultrarechter in den Reihen der Bewegung ist besorgniserregend.“ In Deutschland sei „eine solche Verbrüderung linker und rechter Gesinnung nicht denkbar“.
Mitte Dezember änderte die Linkspartei dann ihre offizielle Rhetorik. In einer Erklärung des Parteivorstands hieß es, die Proteste der „Gelbwesten“ seien berechtigt. Man sehe „in der Breite des sozialen Widerstands auch eine Ermutigung für Deutschland“.
Kurz vor Weihnachten posierte die Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht in einer gelben Weste vor dem Kanzleramt und heuchelte Unterstützung für die Proteste. In einer Videobotschaft, die am 23. Dezember auf Youtube sowie der offiziellen Webseite der „Aufstehen“-Bewegung veröffentlicht wurde, erklärte sie: „In Frankreich haben mit der Bewegung der Gelbwesten die Menschen ihre Stimme erhoben, die schon seit vielen Jahren von der Politik nicht mehr gehört werden. Sie gehen auf die Straße gegen einen Präsidenten der Reichen und haben ihm immerhin erste Zugeständnisse abgetrotzt.“
Das Video könnte kaum zynischer sein.
Die Zugeständnisse, auf die sich Wagenknecht bezieht, sind reine Augenwischerei und längst wieder kassiert. In Wirklichkeit hält Macron unter Einsatz autoritärer Methoden eisern an seinem Kurs fest. Polizisten schießen mit Tränengasgranaten und Hartgummi-Geschossen auf die Köpfe von Demonstranten, prügeln wild um sich und schikanieren Journalisten, die versuchen, die Gewaltexzesse zu filmen.
Anfang des Jahres gab Premierminister Edouard Philippe auf TF1 einen neuen Gesetzesentwurf bekannt, der u.a. ein Demonstrationsverbot für identifizierte „Randalierer“ und dafür ein Register von Demonstrationsteilnehmern vorsieht. Jeden Samstag mobilisiert die französische Regierung zehntausende schwerbewaffnete Polizisten, um die „Gelbwesten“ brutal zu attackieren.
Wagenknechts Versuch, sich plötzlich als Kritiker oder gar Gegner von Macron und seiner „Regierung der Reichen“ darzustellen, ist ein Hohn. Überall wo die Linkspartei mitregiert, kürzt sie genauso drastisch wie die französische Regierung selbst, schiebt brutal ab und vertritt eine Politik der inneren Aufrüstung. In Brandenburg plant sie neue, verschärfte Polizeigesetze, die u.a. den Einsatz von Handgranaten und weitgehende Grundrechtseinschränkungen vorsehen. In Berlin hat die Linke als Regierungspartei eine soziale Katastrophe angerichtet, und in Griechenland setzt ihre Schwesterpartei Syriza das Spardiktat der Europäischen Union um und zerstört das Leben von Millionen Menschen.
Auch Macron betrachtet die Linkspartei auf europäischer Ebene als Bündnispartner. „Eins müssen wir zur Kenntnis nehmen: hier gibt es jemanden, der zum Gespräch, zur Auseinandersetzung um die Perspektive Europas aufruft, für den Europa als Friedensunion ganz weit oben steht“, erklärte Dietmar Bartsch, der Fraktionsvorsitzende der Linken, im vergangenen November nach einer Europarede Macrons im Deutschen Bundestag. Das sei „etwas, was wir als Linke ausdrücklich begrüßen“.
Dass Macron unter einer „Friedensunion“ den Aufbau einer europäischen Armee versteht, hat die volle Unterstützung der Linkspartei. Er glaube, „dass die deutsche Bundesregierung hier viel zu lange gezögert hat und dass es dringend notwendig ist, dass Europa seine Verantwortung in der Welt in einer anderen Weise wahrnimmt“, erklärte Bartsch. Nun komme es darauf an, „darüber nicht nur [zu] reden, sondern dass es auch wirklich zum Handeln kommt“. Er erwarte, „dass die Bundesregierung diese Aufforderung […] annehmen wird.“
Wagenknechts Ehemann und Gründervater der Linkspartei, Oskar Lafontaine, stellte sich ebenfalls in einem Post auf seiner Facebook-Seite hinter Macron und machte deutlich, was die Linke von ihm und der Bundesregierung erwartet. Der französische Präsident habe „etwas Richtiges erkannt: Wenn Europa in Frieden leben will, muss es zusammen mit anderen Ländern den US-Imperialismus zurückdrängen, der die Welt beherrschen und rücksichtslos seine Interessen durchsetzen will“, schrieb Lafontaine. „Wir müssen uns selbst verteidigen, mit Blick auf China, Russland und sogar die Vereinigten Staaten von Amerika“, habe der französische Präsident gesagt.
„Aufstehen“ und die Linkspartei umarmen die „Gelbwesten“ nicht deshalb plötzlich, weil sie wie diese die Politik des Sozialabbaus ablehnen, sondern weil sie die wachsende Opposition unter Arbeitern und Jugendlichen auch in Deutschland fürchten und diese kontrollieren und in eine reaktionäre Richtung lenken wollen. Dieses Ziel verfolgt Wagenknecht, wenn sie erklärt: „Wir brauchen auch hier viele Menschen, die bereit sind auf die Straße zu gehen. Das will ‚Aufstehen‘ erreichen und das machen wir im nächsten Jahr. Lasst uns gemeinsam Druck machen gegen eine Regierung der Reichen, gegen eine Politik der Reichen, dafür, dass unser Land sozial gerecht gestaltet wird.“
Arbeiter und Jugendliche in Deutschland, die große Sympathien mit den „Gelbwesten“ in Frankreich hegen, haben Wagenknechts Aufruf weitgehend ignoriert. Zu einer ersten Kundgebung von „Aufstehen“ vor dem Brandenburger Tor kamen den Veranstaltern zu Folge nicht mehr als 1000 Teilnehmer. Und das ist gut so! „Aufstehen“ ist keine linke, gegen den Kapitalismus gerichtete Bewegung, mit der Arbeiter gegen „eine Politik der Reichen“ und „für soziale Gerechtigkeit“ kämpfen können, sondern eine rechte nationalistische Initiative, die sich explizit gegen ausländische Arbeiter richtet und für kapitalistische Regierungsbündnisse eintritt.
Der Gründungsaufruf von „Aufstehen“ macht Flüchtlinge in bester AfD-Manier für die sozialen Probleme verantwortlich und kritisiert die Flüchtlingspolitik der Großen Koalition von rechts. „Auch wenn der Hauptgrund für Zukunftsängste die Krise des Sozialstaats und globale Instabilitäten und Gefahren sind: Die Flüchtlingsentwicklung hat zu zusätzlicher Verunsicherung geführt“, heißt es dort. „Die Art und Weise, wie die Regierung Merkel mit den Herausforderungen der Zuwanderung umgeht“, sei „unverantwortlich“. Politisch fungiert „Aufstehen“ als Frontorganisation der etablierten Parteien. „Wir gehören unterschiedlichen Parteien an“ und man sei „eine überparteiliche Sammlungsbewegung, in die jede und jeder sich einbringen kann“, so der Gründungsaufruf.
Wie die Linkspartei und ihre politischen Verbündeten in Frankreich – allen voran Jean-Luc Mélenchon, der Führer von La France Insoumise (LFI) – repräsentiert auch „Aufstehen“ nicht die Interessen der Arbeiter, sondern die des Staats und wohlhabender Mittelschichten, die in einem unabhängigen Kampf gegen die reaktionäre Politik der herrschenden Klasse eine Bedrohung für ihre eigenen Privilegien sehen.
Sehr deutlich wurde das bereits bei der Unteilbar-Demonstration im vergangenen Oktober. Als in Berlin mehr als eine Viertelmillion Menschen durch Berlin zogen, um gegen Rassismus, den Aufstieg der AfD und die rechte Politik der Bundesregierung zu protestieren, lehnte Wagenknecht die Proteste ab. Das Motto der Demo „offene Grenzen für alle“ sei eine Forderung, „die die meisten Menschen als irreal und völlig weltfremd empfinden“ und die Welt „nicht besser“ mache, erklärte Wagenknecht zynisch. Dafür wurde sie anschließend vom Vorsitzenden der rechtsextremen AfD, Alexander Gauland, als „Stimme der Vernunft“ gelobt.
Der extrem nationalistische Charakter von „Aufstehen“ und der Linkspartei bestätigt den Standpunkt der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) und ihrer Schwesterpartei in ganz Europa: Der Kampf gegen soziale Ungleichheit, Militarismus und Diktatur erfordert die Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms und den Aufbau der Vierten Internationale, die in unversöhnlicher Opposition zur Linkspartei und anderen kleinbürgerlichen und pseudolinken Organisationen steht.