Bei Protesten gegen die sudanesische Regierung von Präsident Omar al Baschir wurden Ende Dezember mindestens 37 Menschen getötet und weitere 219 verletzt. Hunderte weitere wurden verhaftet, als die Polizei mit brutaler Gewalt Demonstrationen gegen die steigenden Kosten für Grundnahrungsmittel wie Brot niederschlug.
Unter den Verhafteten befanden sich 14 Anführer der Oppositionskoalition National Consensus Forces, darunter auch deren Vorsitzender, der 85-jährige Farouk Abu Issa, der sich in einem schlechten gesundheitlichen Zustand befindet. Weitere Verhaftete sind ein hoher Funktionär der Kommunistischen Partei des Sudan sowie Anführer der pan-arabischen Baath- und der Nasseristischen Partei. Die Behörden haben außerdem soziale Netzwerke gesperrt und Internetdienste unterbrochen, damit die Demonstranten nicht miteinander kommunizieren können.
Am 28. Dezember setzten die Sicherheitskräfte vor einer Moschee in Omdurman, einem Teil der Metropolregion Khartum, Tränengas gegen Hunderte Menschen ein, die an einer Demonstration nach dem Freitagsgebet teilnahmen.
Die Proteste brachen am 19. Dezember wegen der Verdreifachung des Brotpreises und der Benzinknappheit in Atbara im Nordosten des Landes aus. Demonstranten setzten dort die Zentrale der amtierenden Nationalen Kongresspartei in Brand. Atbara, die „Stadt des Stahls und Feuers“, ist wegen ihrer historischen Bedeutung für das Eisenbahnnetz und der militanten Bahnarbeitergewerkschaft bekannt, die während der Militärherrschaft in den 1980er Jahren aufgelöst wurde.
Von Atbara breiteten sich die Proteste schnell auf alle Städte des Landes aus, darunter auch die Hauptstadt Khartum und die Riverain-Region, die als Hochburg des Regimes gilt. In Dongola wurde eine Parteizentrale niedergebrannt. Innerhalb von 24 Stunden entwickelten sich die Proteste zu einem breiten Widerstand gegen die jahrelange Sparpolitik, das wirtschaftliche Elend und die Unterdrückung der grundlegendsten demokratischen Rechte. Für die große Mehrheit der sudanesischen Bevölkerung ist das Leben unerträglich. Das betrifft besonders junge Menschen. In Khartum lag das Durchschnittsalter der Demonstranten zwischen 17 und 23 Jahren.
Nur zwei Tage nach Beginn der Proteste verhängte die Regierung in mehreren Städten Ausgangssperren, rief den Ausnahmezustand aus und mobilisierte im ganzen Land das Militär. Die Polizei wurde angewiesen, gegen große Menschenmengen Tränengas einzusetzen. Aufgrund dieses Befehls wurden Fußballfans mit Tränengas beschossen, als sie nach einem Spiel das Stadion verließen.
Anfang der Woche forderten Tausende friedliche Demonstranten in Khartum den Rücktritt von Präsident Baschir, dessen Regime seit dem Militärputsch 1989 an der Macht ist. Die Kundgebung soll die größte seit Jahren gewesen sein. Sicherheitskräfte setzten scharfe Munition ein, um die Demonstranten vom Präsidentenpalast fernzuhalten. Die Sudanese Professionals Association, der Ärzte und andere Fachkräfte angehören, hatte am letzten Dienstag zu einer Demonstration aufgerufen, um „unsere Stimmen und unsere Stärke zur Absetzung dieses Regimes einzusetzen, das uns ins Elend getrieben und unser Land gespalten hat“.
Die sudanesischen Arbeiter und armen Bauern sind mit einer massiven Erhöhung der Preise konfrontiert. Im September war die Inflation auf fast 70 Prozent gestiegen. Laut einer Reportage von Reuters über die Preise der Marktverkäufer vom letzten Monat sind die Kosten für ein Kilo Mehl um 20 Prozent gestiegen, für Rindfleisch um 30 Prozent und für Kartoffeln um 50 Prozent.
Die ständig steigenden Preise haben zu einer riesigen Nachfrage nach Bargeld geführt, sodass man an den Geldautomaten stundenlang anstehen muss und oft das Geld für die Automaten ausgeht. Zuvor hatte die Regierung im Oktober das Sudanesische Pfund stark abgewertet, die Zentralbank hat die Geldmenge eingeschränkt, um die Währung zu stärken und einen Sturm auf die Banken zu verhindern. Die Folge waren eine Liquiditätsklemme und Bargeldmangel.
Die Menschen sahen sich gezwungen, auf dem Schwarzmarkt zu kaufen, doch da das Sudanesische Pfund allein im letzten Monat im Vergleich zum US-Dollar ein Viertel an Wert verloren hat, sind die Kosten in die Höhe geschossen.
Die Brutalität der Regierung hat die Proteste nur noch weiter angestachelt. Am Donnerstag kündigte der Sudanesische Journalistenverband an, dass seine Mitglieder aus Protest gegen die Unterdrückung des Widerstands durch die Regierung einen dreitägigen Solidaritätsstreik mit den Demonstranten begonnen haben. Journalisten wurden von den Sicherheitskräften regelmäßig verhaftet und misshandelt, außerdem wurden ihre Zeitungen konfisziert, wenn sie über die Demonstrationen berichteten.
Die Sudanese Professionals Association begann am letzten Montag einen landesweiten Streik. Sie erklärte, die Arbeitsniederlegungen sollten die Regierung „lahmlegen“ und ihr die dringend benötigten Einnahmen vorenthalten.
Die Kommunistische Partei rief die Oppositionsgruppen in einer Stellungnahme auf, die Proteste fortzusetzen: „Wir rufen die sudanesische Bevölkerung auf, ihre Demonstrationen fortzusetzen, bis sie erfolgreich das Regime gestürzt haben.“
Auch die beiden größten Parteien des Landes, die Umma Party und die Democratic Unionist Party, fordern Baschirs Rücktritt.
Baschir äußerte sich letzten Montag erstmals öffentlich zu der Krise. Er versuchte, die Proteste ausschließlich als Ergebnis der Frustration über wirtschaftliche Missstände darzustellen, lehnte aber eine Erhöhung der Brotsubventionen ab und erklärte, er werde „nicht vor unseren Feinden kapitulieren“. Er behauptete, dass „einige Söldner im Auftrag unserer äußeren Feinde“ den Mangel an bestimmten Gütern ausnutzen, um „unser Land zu sabotieren“ und ermahnte die Bevölkerung, alle „Versuche, Frustration zu schüren“, zu ignorieren.
Sein Assistent und Stellvertreter in der Regierungspartei Faisal Hassan Ibrahim erklärte, die Proteste seien „koordiniert und organisiert“. Zwei der Todesopfer bei den Demonstrationen in al-Qadarif sollen aus dem Militär stammen. Deshalb wurde im ganzen Land das Militär mobilisiert.
Dass die herrschende Elite des Sudan auf die Demonstrationen mit solcher Brutalität reagiert, zeigt das Ausmaß der wirtschaftlichen und politischen Krise. Das mehr als 40 Millionen Einwohner starke Land hat sich nie von der Abspaltung des Südsudan im Jahr 2011 erholt. Diese Abspaltung nach fast 30 Jahren Bürgerkrieg wurde vor allem von den USA vorangetrieben, um Chinas wachsenden wirtschaftlichen Einfluss am Horn von Afrika zu unterbinden. In Folge der Sezession verlor der Sudan drei Viertel seiner Ölförderung, die eine wichtige Quelle für Deviseneinnahmen war.
In den 1990er Jahren hatten die USA dem Sudan vorgeworfen, es würde den internationalen Terrorismus unterstützen, und harte Sanktionen gegen das Land verhängt. Dennoch haben sich die Beziehungen zwischen den USA und dem Sudan mittlerweile etwas verbessert. Letztes Jahr hatte die Trump-Regierung die Sanktionen aufgehoben, größtenteils auf Druck der Golfmonarchien, darunter Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, nachdem der Sudan etwa eintausend Soldaten zur Unterstützung der saudischen Koalition im Jemen geschickt hatte. Nachdem der Sudan im Januar 2016 die diplomatischen Beziehungen mit dem Iran einstellte, versprach Saudi-Arabien Investitionen im Sudan.
Dennoch hat Washington Bedingungen für eine vollständige Normalisierung der Beziehungen gestellt. Deshalb hat sich die Wirtschaftslage im Sudan nur wenig gebessert und es kam zu Konflikten zwischen unterschiedlichen Fraktionen der herrschenden Clique.
Im letzten Januar führte die Regierung Sparmaßnahmen ein, darunter Kürzungen der Subventionen für Weizen, Strom und andere Güter. Die Folgen waren steigende Preise und zunehmende Proteste, die die Regierung nur durch die Verhaftung von hunderten Demonstranten unterdrücken konnte.
Letzten April wurde Außenminister Ibrahim Ghandour entlassen, weil er das Ausmaß der Wirtschaftskrise angedeutet hat, vor der die Regierung steht. Berichten zufolge war seine Entlassung eine Bedingung seitens der USA. Er erklärte im Parlament, sein Ministerium sei mit einer Finanzkrise konfrontiert und brauche weitere 30 Millionen Dollar, um seine Kosten zu decken. Weiter erklärte er: „Die sudanesischen Diplomaten haben ihre Gehälter noch nicht erhalten, auch die Zahlung der Mieten für diplomatische Missionen wurde verzögert.“
Baschir kann sich auf die Unterstützung der Diktatoren in der Region verlassen, da diese allesamt selbst um ihre instabilen Regimes fürchten. Ägypten erklärte sich schnell solidarisch, Katar bat dem Sudan „alles Notwendige“ an, um ihm zu helfen, „dieses Problem zu bewältigen“. Katar und die Golfstaaten, die seit der Abspaltung des Südsudan eine wichtige Geldquelle für den Sudan waren, sowie die Türkei wetteifern um Machteinfluss am Horn von Afrika.
Anfang Dezember wurde Baschir von Saudi-Arabien und den Emiraten nach Damaskus entsandt, um die Fühler nach dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad auszustrecken. Die Reise diente dem Ziel, Teherans Einfluss in dem kriegsversehrten Land zu verringern. Die Golfstaaten haben bereits in der Levante, dem Libanon, in Syrien und dem Irak an Einfluss verloren.
Die USA, Großbritannien, Norwegen und Kanada haben in einer gemeinsamen Erklärung ihre Sorge über den Einsatz von scharfer Munition gegen Demonstranten geäußert und alle Parteien aufgefordert, Gewalt oder Zerstörung von Eigentum zu vermeiden. Gleichzeitig bekräftigten sie das Recht der sudanesischen Bevölkerung, friedlich „legitimen Unmut“ zu äußern.