Im Sudan protestierten letzte Woche Tausende von Arbeitern und Studierenden gegen die rasant steigenden Lebensmittel- und Spritpreise. Die Lebensmittelpreise sind im Vergleich zum Vorjahr um 100 bis 200 Prozent gestiegen und die Inflation liegt bei 250 Prozent.
In der Hauptstadt Khartum wurden letzte Woche Tränengas und Blendgranaten gegen Demonstranten eingesetzt, die sich dem Präsidentenpalast bis auf 200 Meter genähert hatten.
Im Vorfeld der Massenproteste war im letzten Monat der Wert des sudanesischen Pfunds stark gesunken, weil die Militärjunta ihre Politik der festen Wechselkurse beendet hatte. Zeitgleich streiken in Atbara Lehrkräfte und Bahnarbeiter gegen extrem niedrige Löhne.
Laut dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen wird aufgrund des Militärputsches gegen Premierminister Abdalla im Oktober letzten Jahres (in dessen Folge internationale Finanzinstitute wichtige Finanzhilfen in Höhe von mehreren Milliarden Dollar aussetzten), des Kriegs in der Ukraine und der Sanktionen gegen Russland fast die Hälfte der 44 Millionen Einwohner des Sudan in diesem Jahr unter Hunger leiden.
Das Welternährungsprogramm erklärt, dass dieses Jahr etwa 20 Millionen Menschen unter akuter Ernährungsunsicherheit auf „Notfall“- oder „Krisenniveau“ leiden werden. Das sind doppelt so viele wie im Jahr 2021. Aufgrund der steigenden Getreidepreise, dem Mangel an Devisen und der Dürre in einigen Teilen des Landes hat sich die Situation dramatisch verschlechtert. Die Entwicklungen treiben die wachsende Protestbewegung für ein Ende der Militärherrschaft an.
Wie viele andere Länder Afrikas hat auch der Sudan etwa 35 Prozent seiner Weizenimporte aus Russland und der Ukraine bezogen. Jetzt muss er einen anderen Anbieter finden, der deutlich höhere Preise fordert. Letztes Jahr entfielen auf Russland und die Ukraine fast ein Drittel der weltweiten Getreideexporte, ein Fünftel des Maishandels und fast 80 Prozent der Produktion von Sonnenblumenöl. Laut dem US-Landwirtschaftsministerium werden die weltweiten Weizenbestände knapp werden, da die Exporte aus Russland und der Ukraine vermutlich sieben Millionen Tonnen geringer ausfallen werden als vor dem Krieg.
Seit Beginn des von den USA und der Nato provozierten Kriegs sind die Exporte aus Russland und der Ukraine nahezu zum Erliegen gekommen. Die Ursache dafür sind zum einen die von Washington und den europäischen Mächten verhängten Sanktionen gegen die russischen Banken, Reedereien und Fluggesellschaften, zum anderen das ukrainische Exportverbot von Getreide und anderen Lebensmitteln, mit dem eine innere humanitäre Krise verhindert werden soll. Die nördlichen Schwarzmeerhäfen, wo einige der verheerendsten Kämpfe stattfinden und über die ein Großteil der russischen und ukrainischen Getreideexporte abgewickelt werden, sind geschlossen. Frachtflugzeuge können den russischen Luftraum aufgrund von Flugverboten nicht nutzen. Diese Situation hat die Lebensmittelpreise in die Höhe getrieben, die schon zuvor wegen der Pandemie und den daraus resultierenden Problemen bei den Lieferketten gestiegen waren. Die Armut greift um sich.
Aus der nördlichen Schwarzmeerregion werden mindestens 12 Prozent der weltweit gehandelten Nahrungskalorien exportiert. Da die Ukraine über ein Drittel der fruchtbarsten Böden der Welt verfügt, sind 45 Prozent ihrer Exporte Landwirtschaftsprodukte. Da ein Teil der ukrainischen Exporte als Tierfutter dienen, wird das Exportverbot und die Beeinträchtigungen durch den Krieg vermutlich Folgen für den Viehbestand haben. Zudem wird die Anbausaison durch die Flucht von Bauern und die Zerstörung der Infrastruktur und von landwirtschaftlichen Geräten gefährdet.
Laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ist der Weizenpreis zwischen April 2020 und Dezember 2021 aufgrund der Pandemie um 80 Prozent gestiegen. Damit haben die Lebensmittelpreise den höchsten Stand seit den 1970ern erreicht. Im Jahr 2022 sind die Weizenpreise bereits um 37 Prozent und die Preise für Mais um 21 Prozent gestiegen. Termingeschäfte mit Weizen haben im Vergleich zum Zeitraum vor sechs Monaten um 80 Prozent zugelegt, die mit Mais um 58 Prozent.
Dreiundzwanzig der 54 Staaten Afrikas beziehen mehr als die Hälfte ihrer importierten Grundnahrungsmittel aus Russland und der Ukraine. Einige Länder sind noch abhängiger: Der Sudan, Ägypten, Tansania, Eritrea und Benin importieren 80 Prozent ihres Weizens und Algerien, der Sudan sowie Tunesien mehr als 95 Prozent ihres Sonnenblumenöls aus Russland und der Ukraine. Auch in diesen Ländern steigen sämtliche Preise und verschärfen die Hungersnot. Gleichzeitig verfügen die meisten afrikanischen Staaten über keinerlei soziales Sicherungsnetz.
Die Lebenshaltungskosten werden rapide steigen, vor allem in Ländern wie Nigeria, Kenia, Ghana, Ruanda und Ägypten, die einen Großteil ihrer Lebensmittel importieren. Hier sind auch die wirtschaftlichen Folgen von Covid-19 am stärksten spürbar. Die Zahl der vom Hunger bedrohten Menschen in Afrika wird sich vermutlich auf mehr als 500 Millionen von insgesamt 1,2 Milliarden Einwohnern des Kontinents verdoppeln.
In Ägypten sind die Gefahren besonders akut, da das Land der weltweit größte Importeur von Weizen ist und auf Russland und die Ukraine 80 Prozent der Gesamtimporte entfallen. Von den 104 Millionen Einwohnern Ägyptens leben etwa 30 Millionen von weniger als 1,50 Dollar pro Tag. Mehr als 70 Millionen sind abhängig von staatlich subventionierten Importen von Brot und pflanzlichem Öl.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Die Regierung hat den Export von Weizen, Mehl und anderen Grundnahrungsmitteln verboten, was zu einem scharfen Anstieg der Preise führen wird. Besonders betroffen werden Länder wie der Jemen sein, wo schon jetzt die größte humanitäre Krise der Welt herrscht. Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi kündigte letztes Jahr eine Erhöhung der subventionierten Brotpreise an. Da die ägyptischen Brotsubventionen bereits 3,2 Milliarden Dollar pro Jahr kosten, rechnet das Finanzministerium für 2021–22 mit Mehrkosten von 763 Millionen Dollar.
Letzten Juli hatte die Regierung die Subventionen für Sonnenblumen- und Sojaöl um 20 Prozent gekürzt, für unvermischtes Pflanzenöl um 23,5 Prozent. Diese Woche erhöhte Premierminister Moustafa Madbouly den Preis für nicht-subventioniertes Brot um ein Viertel auf 11,5 ägyptische Pfund, während die Währung angesichts des Kriegs in der Ukraine im Vergleich zum Dollar um 14 Prozent an Wert verlor.
In Libyen, das mehr als 40 Prozent seines Weizens aus der Ukraine importiert, sind die Preise für Weizen und Mehl um bis zu 30 Prozent gestiegen. Laut dem Welternährungsprogramm hingen im Jahr 2022, bereits vor dem russischen Überfall auf die Ukraine, 12 Prozent der Bevölkerung bzw. 511.000 Menschen von Nahrungsmittelhilfen ab. Dazu kommen 635.051 Migranten, Asylsuchende und Flüchtlinge, von denen ein Viertel unter mittlerer oder hoher Ernährungsunsicherheit leiden. Diese schrecklichen Zahlen verdeutlichen, wie stark der Nato-Krieg von 2011 das Land zerstört hat, das zuvor zu den Ländern mit mittlerem Einkommen gehörte.
Im Südsudan, der seit seiner Unabhängigkeitserklärung im Jahr 2011 unter einem Bürgerkrieg und Konflikten zwischen rivalisierenden Cliquen um die Ölvorkommen leidet, sind in der kommenden Trockenzeit vermutlich 8,9 Millionen der 12 Millionen Einwohnern von Hunger bedroht; 680.000 davon waren seit Mai 2021 von Überschwemmungen betroffen.
In Äthiopien wurden durch die Kämpfe in und um die nördliche Provinz Tigray mehr als zwei Millionen Menschen zu Binnenflüchtlingen. Ein Großteil der verbliebenen vier Millionen Einwohner haben nicht genug Nahrung und überleben, indem sie ihre Ernährung reduzieren, Agrarprodukte verkaufen, um ihre Schulden zu bezahlen, oder betteln. 454.000 Kinder sind unterernährt, davon mehr als ein Viertel schwer. Hinzu kommen 120.000 unterernährte schwangere oder stillende Frauen. Die Situation wird noch verschlimmert, weil die UN seit Mitte Dezember nicht in der Lage ist, Tigray mit Notfall-Lieferungen von Lebensmitteln zu versorgen.
Laut dem Welternährungsprogramm stehen weltweit 44 Millionen Menschen am Rande der Hungersnot und weitere 232 Millionen sind nur einen Schritt davon entfernt. Das Welternährungsprogramm wurde stark in Mitleidenschaft gezogen, weil die Hälfte des Weizens, den die Organisation in humanitären Krisen verteilt, aus der Ukraine stammt. Deshalb muss sie den Weizen von anderen Anbietern zu höheren Preisen beziehen. Gleichzeitig ist die Nachfrage aus Ländern, die von US-geführten oder -provozierten Kriegen betroffen sind – wie Afghanistan, Syrien, Jemen, Äthiopien und der Sudan – massiv gestiegen und die Finanzierung durch die Industriestaaten bricht zusammen, weil diese ihre Gelder an den Krieg in der Ukraine umverteilen.
Die führenden Politiker und Analysten der Welt wissen, dass der steigende Hunger zu sozialer Instabilität, Migration und politischen Unruhen führen wird, ähnlich wie im Jahr 2011 die steigenden Lebenshaltungskosten zum Arabischen Frühling führten. Letztes Jahr kam es in Westafrika zu fünf Staatsstreichen. Nur 22 Prozent der 1,2 Milliarden Einwohner des Kontinents wurden gegen Covid-19 geimpft, und die von den Industrienationen versprochenen Hilfsgelder zum Kampf gegen die Pandemie in Höhe von 100 Milliarden Dollar wurden noch nicht bereitgestellt. Etwa 20 Länder sind massiv verschuldet und stehen kurz davor, ihre internationalen Kredite nicht mehr zurückzahlen zu können.