Das Verteidigungsministeriums plant die Rekrutierung zehntausender EU-Ausländer in die Bundeswehr. Die Pläne dafür seien „konkreter als bisher bekannt“, berichtete der Spiegel am Donnerstag. Laut einem vertraulichen Ministeriumskonzept, das dem Nachrichtenmagazin vorliege, wolle die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) vor allem Polen, Italiener und Rumänen für die deutsche Armee anwerben. Aus diesen Ländern gebe es unter jungen Männern „ein quantitatives Potential“ für die Bundeswehr, so das Papier.
Dem Spiegel zufolge hat das Ministerium „das Potential“ bereits „genauer berechnet“. Demnach leben in Deutschland etwa 255.000 Polen, 185.000 Italiener und 155.000 Rumänen, die zwischen 18 und 40 Jahren alt sind. Zusammen stelle diese Gruppe etwa die Hälfte aller EU-Ausländer in Deutschland dar. Wäre man zumindest bei zehn Prozent der Zielpersonen in der Lage, das Interesse an der deutschen Armee zu wecken, käme die Bundeswehr auf „mehr als 50.000 mögliche neue Bewerber für die Truppe“.
Mit Eberhard Zorn bestätigte auch der ranghöchste deutsche Militär die Pläne. Die Anwerbung von EU-Bürgern für spezielle Tätigkeiten sei „eine Option“, die geprüft werde, sagte der Generalinspekteur der Bundeswehr den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Man rede „hier beispielsweise von Ärzten oder IT-Spezialisten“. In Zeiten des Fachkräftemangels müsse die Bundeswehr „in alle Richtungen blicken und sich um den passenden Nachwuchs bemühen“.
Die Pläne des Verteidigungsministeriums und die offizielle Debatte darüber zeigen, wie aggressiv der deutsche Imperialismus und Militarismus trotz seiner historischen Verbrechen in zwei Weltkriegen wieder auftritt. Nachdem die Bundesregierung mit ihrem Spardiktat vor allem in Süd- und Osteuropa eine soziale Katastrophe angerichtet hat, nutzt sie nun die Perspektivlosigkeit und schiere Verzweiflung junger Menschen, um Kanonenfutter für die deutsche Kriegspolitik zu rekrutieren.
Seit führende Vertreter der Regierung auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 offiziell die Rückkehr des deutschen Militarismus verkündet haben, arbeiten Regierung und Verteidigungsministerium daran, die Truppenstärke der Bundeswehr zu erhöhen. Bislang allerdings mit eher mäßigem Erfolg. Seit Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) am 10. Mai 2016 in einem Tagesbefehl die sogenannte „Trendwende Personal“ verkündet hat, konnte die Bundeswehr trotz aggressiver Werbekampagnen kaum nennenswerte Zuwächse verzeichnen. Im November umfasste die Bundeswehr offiziell 180.997 aktive Soldaten und damit nur knapp eintausend mehr als 2015 (179.633) .
Die Pläne des Verteidigungsministeriums wurden seit längerem hinter dem Rücken der Bevölkerung ausgearbeitet. Bereits im Weißbuch 2016 hieß es: „Nicht zuletzt böte die Öffnung der Bundeswehr für Bürgerinnen und Bürger der EU nicht nur ein weitreichendes Integrations- und Regenerationspotenzial für die personelle Robustheit der Bundeswehr, sondern wäre auch ein starkes Signal für eine europäische Perspektive.“ Im August habe dann der für das Bundeswehr-Personal zuständige Staatsekretär Gerd Hoofe das Konzept abgezeichnet, schreibt der Spiegel.
Die deutsche Initiative verschärft die Spannungen innerhalb der europäischen Union. Polens Außenminister Jacek Czaputowicz sei „überrascht von dem Vorstoß“, schreibt der Spiegel. Für seine Regierung dränge er „auf schnelle Klärung in Brüssel“. Die Öffnung der Bundeswehr ohne Beratungen in der EU zu ändern, „wäre kein angemessenes Verhalten“, zitiert der Spiegel Czaputowicz. „Sollte Deutschland ein solches Gesetz einführen, ohne Polen vorher zu konsultieren, wäre das nicht gut. Denn natürlich hat Deutschland Arbeitern und wahrscheinlich auch Soldaten mehr zu bieten.“
In Bulgarien, Italien, Rumänien und Griechenland gebe es ähnliche Bedenken. So habe etwa die bulgarische Regierung in Gesprächen mit deutschen Militärattachés deutlich gemacht, dass schon heute 20 Prozent der Dienstposten in den eigenen Streitkräften wegen Personalnot nicht besetzt werden könnten. Öffne Deutschland nun seine Armee mit deutlich höheren Gehältern, hätte dies „katastrophale Folgen“.
Die deutschen Bemühungen, die eigenen Streitkräfte durch ausländische Söldner aufzustocken, gehen Hand in Hand mit den Plänen der Bundesregierung, eine „echte europäische Armee“ (Angela Merkel) zu schaffen. Mit beidem verfolgt der deutsche Imperialismus das Ziel, seine Dominanz in Europa auszubauen und seine geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen im Wettstreit mit den anderen Großmächten weltweit durchzusetzen. Dabei knüpft die herrschende Klasse immer offener an die deutsch-europäische Großmachtpolitik des Kaiserreichs und Hitlers an.
„Deutschlands Bestimmung: Europa führen, um die Welt zu führen“, lautete bereits vor vier Jahren der Titel eines Aufsatzes auf einer offiziellen Seite des deutschen Außenministeriums. Seit der Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, die US-Truppen aus Syrien abzuziehen und „nicht länger der Weltpolizist zu sein“, überschlagen sich führende deutsche Außenpolitiker mit Rufen nach mehr deutscher Führung in Europa und weltweit.
„Wir müssen nun vor unserer Haustür kehren und selber zu mehr bereit sein – in unseren und für unsere eigenen Interessen“, forderte Norbert Röttgen (CDU), der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, in den Tagesthemen am Donnerstag. Man müsse nun „die Fortschritte, die wir im Verteidigungsetat gemacht haben, verstetigen, das heißt jedes Jahr zulegen, damit die Bundeswehr wieder voll einsatzfähig wird und ihren Beitrag erbringt“. Deutschland sei „gefordert“, denn „ohne Deutschland geht auch nichts, auch das ist Teil unserer Verantwortung, zumindest in Europa“.
Ähnlich äußerte sich der sozialdemokratische Außenminister Heiko Maas in einem Interview mit der dpa. „Unsere Verantwortung wächst. Die Erwartungen an uns sind so groß wie wohl noch nie“, erklärte er. Deutschland nehme zwar schon jetzt „massiv Verantwortung wahr… aber umso mehr sich alte Partner aus der internationalen Zusammenarbeit zurückziehen, desto mehr richten sich die Augen auch auf uns.“
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Maas deutete an, dass die herrschende Klasse im kommenden Jahr eine massive Eskalation ihrer Kriegs- und Großmachtoffensive vorbereitet. Mit der am 1. Januar beginnenden Mitgliedschaft im Sicherheitsrat rücke Deutschland „politisch noch näher an die Krisen und Konflikte heran. Unsere Stimme wird im Sicherheitsrat noch mehr Gewicht bekommen. Wir werden uns auch vor schwierigen Entscheidungen nicht wegducken können,“ so der Außenminister.
Besondere Sorge mache ihm „die Situation im Nahen und Mittleren Osten, mit Syrien, dem Jemen und dem Ringen um eine Nahostfriedenslösung“. Deutschland werde sich dort „noch mehr engagieren, als wir es ohnehin schon getan haben“, und müsse dabei auch „militärische Verantwortung übernehmen“.
Die Rückkehr des deutschen Militarismus wird auch von der Linkspartei und den Grünen unterstützt. Ihr gegenwärtiges Schweigen zu den Rekrutierungsplänen der Bundeswehr kann man nur als Zustimmung werten. Erst jüngst forderte Dietmar Bartsch, der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, die Bundesregierung auf, über die Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron hinsichtlich des Aufbaus einer europäischen Armee „nicht nur zu reden“, sondern dafür zu sorgen, „dass es auch wirklich zum Handeln kommt“. Und Grünen-Chefin Annalena Baerbock verlangte in einem Interview: „Die EU muss in einer dramatisch veränderten Situation in der Lage sein, Weltpolitik zu machen.“
Wenn es Kritik am Vorstoß des Verteidigungsministeriums gibt, kommt sie von rechts. Die Rekrutierung von EU-Ausländern sei „keine Lösung für unser Personalproblem“, sagte der CDU-Verteidigungspolitiker Henning Otte der Westfälischen Rundschau. „Wenn wir Schwierigkeiten haben, Deutsche für den Dienst in der eigenen Truppe zu gewinnen, muss die Attraktivität der Bundeswehr weiter erhöht werden.“
Der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Rüdiger Lucassen, stieß ins gleich Horn. Die „deutsche Staatsangehörigkeit“ sei die „Grundvoraussetzung für den Dienst als Soldat“ und die „Identifikation mit unserer deutschen Kultur, unseren Werten und Normen“. Er bedauerte, dass es von der Leyen „trotz diverser Attraktivitätsprogramme nicht vermocht“ habe, „die Streitkräfte personell aufzufüllen“.