Am Mittwoch besuchte US-Präsident Donald Trump überraschend einen amerikanischen Luftwaffenstützpunkt im Westirak. Dabei handelte es sich offenbar um den Versuch, die heftige Kritik aus dem Militär- und Geheimdienstapparat wegen seiner Entscheidung, die Truppen aus Syrien abzuziehen, zu beschwichtigen und außerdem deutlich zu machen, dass er für eine Fortsetzung der US-Militäroperationen im Nahen Osten steht.
Trump hatte am 19. Dezember angekündigt, er werde die mehr als 2.000 US-Soldaten abziehen, die illegal in Syrien operieren. Das Pentagon bestätigte am Sonntag, dass ein „Ausführungsbefehl“ für den Rückzug vorliegt. Das Weiße Haus hat außerdem angekündigt, es plane den Abzug der Hälfte der derzeit in Afghanistan stationierten US-Truppen.
Verteidigungsminister James Mattis hatte wegen Trumps Entscheidung zu Syrien seinen Rücktritt angekündigt und einen Brief veröffentlicht, in dem er Kritik an Trumps Politik andeutete. Nach Mattis trat auch der Sonderberater des Präsidenten für den Krieg in Syrien, Brett McGurk, zurück.
Der Besuch im Irak war Trumps erster Besuch bei US-Militärpersonal in einem aktiven Kriegsgebiet, seit er vor fast zwei Jahren sein Amt antrat. Er war deshalb schon seit geraumer Zeit in die öffentliche Kritik geraten. Zuletzt kritisierte die New York Times am 16. Dezember in einem Leitartikel mit dem Titel „Lassen Sie die Golfschläger stehen und besuchen Sie die Truppen“ öffentlich dieses Versäumnis.
Die Krise um Trumps Beziehung zum Militär hat sich seit Bekanntgabe des Rückzugs aus Syrien beträchtlich verschärft. Berichten zufolge herrscht Streit an der Spitze des Offizierskorps. Teile der Medien und der Demokratischen Partei haben offen an diese Unzufriedenheit innerhalb des amerikanischen Oberkommandos appelliert. Einige Stimmen gehen soweit, ein Vorgehen gegen Trump vorzuschlagen.
Trump verbrachte kaum drei Stunden im Irak. Er verbreitete vor den US-Soldaten seine „America First“-Rhetorik und erklärte: „Die Vereinigten Staaten können nicht länger der Weltpolizist sein. Es ist nicht fair, wenn die ganze Last auf uns, den USA, liegt... Wir sind über die ganze Welt verteilt. Wir stehen in Ländern, von denen die meisten Menschen noch nicht einmal etwas gehört haben. Ehrlich gesagt, es ist lächerlich.“ Trump fügte hinzu: „Wir sind nicht mehr länger die Deppen, Leute.“
Trump erklärte vor den Soldaten, „die Generäle“ hätten mehrere sechsmonatige Verlängerungen gefordert, um die Vernichtung des Islamischen Staates im Irak und Syrien zu vollenden: „Erst vor kurzem haben sie wieder gesagt: ,Können wir mehr Zeit haben?‘ Und ich habe ihnen geantwortet: ‚Nein, ihr könnt nicht noch mehr Zeit haben. Ihr hattet genug Zeit. Wir haben sie besiegt. Wir haben sie fertig gemacht.‘“
Er fügte hinzu, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan habe zugestimmt, „die Reste [des IS] auszuschalten“.
Hinter dieser populistischen und nationalistischen Demagogie verbarg sich jedoch die klare Botschaft, dass die Trump-Regierung keinerlei Absicht hegt, ihr Hegemoniestreben im ölreichen Nahen Osten aufzugeben. Er betonte, er habe „keinerlei Pläne“, die rund 6.000 US-Soldaten aus dem Irak abzuziehen.
Auf dem Weg in den Irak erklärte Trump gegenüber Reportern an Bord der Air Force One, die USA würden nach dem Rückzug der US-Truppen aus Syrien möglicherweise den Irak als Sprungbrett für Angriffe und Überfälle auf Syrien benutzen.
Berichten zufolge sollte sich Trump während seines Kurzbesuchs im Irak auch mit dem irakischen Ministerpräsidenten Adel Abdul Mahdi treffen. Dieser erschien jedoch nicht. Sein Büro nannte als Grund „Differenzen hinsichtlich der Auslegung von Abkommen.“ In Bagdad rief der Vorsitzende eines der größten Blöcke im irakischen Parlament zu einer Krisensitzung der Legislative auf, um Trumps unangekündigten Besuch zu diskutieren. Er bezeichnete diesen als „offene Verletzung der Souveränität des Irak.“
Der Abgeordnete Sabah al-Saidi erklärte: „Die amerikanische Besetzung des Irak ist vorbei“. Weiter erklärte er, man dürfe Trump nicht länger erlauben, sich so zu verhalten, als „sei der Irak ein US-Bundesstaat“.
Die Pressesprecherin des Weißen Hauses Sarah Sanders erklärte, Trump habe sich auch mit hochrangigen Offizieren im Irak getroffen, und behauptete: „Die Generäle und Präsident Trump haben einen starken Plan ausgearbeitet, der es uns ermöglichen wird, den Weg zum vollständigen Sieg fortzusetzen.“
Obwohl sich bereits abzeichnet, dass der Rückzug der US-Truppen – falls er tatsächlich stattfinden wird – ein neues und noch gefährlicheres Stadium in dem langen und blutigen Krieg für einen Regimewechsel einläuten wird, der 2011 mit Unterstützung durch die USA in Syrien begann, ist noch immer völlig unklar, wie ein solcher Weg im Falle Syriens aussehen soll.
Am 25. Dezember verschärfte Israel seine Intervention in Syrien drastisch durch eine Reihe von Luftangriffen gegen Ziele im Umland von Damaskus. Es waren die heftigsten israelischen Angriffe seit dem Angriff auf Latakia im September, bei dem ein russisches Flugzeug vom Typ IL-20 abgeschossen wurde. Moskau warf dem israelischen Militär vor, es habe das Flugzeug als „Deckung“ für seine Angriffe benutzt, was den Abschuss der Militärmaschine durch eine syrische Luftabwehrrakete zur Folge gehabt habe.
Moskau protestierte formell gegen die jüngsten israelischen Luftangriffe und erklärte, sie hätten zwei zivile Passagierflugzeuge unmittelbar in Gefahr gebracht und stellten einen „groben Verstoß gegen die Souveränität Syriens“ dar.
Ein Vertreter des russischen Verteidigungsministeriums erklärte, die beiden Flugzeuge hätten sich im Landeanflug auf Flughäfen in Damaskus und Beirut befunden, als die israelischen Angriffe erfolgten. Eines der Flugzeuge habe auf den russischen Luftwaffenstützpunkt Hmeimim in Syrien ausweichen müssen.
Ministeriumssprecher Igor Konaschenkow erklärte: „Das provokative Vorgehen der israelischen Luftwaffe... hat zwei Passagierflugzeuge unmittelbar in Gefahr gebracht.“ Weiter erklärte er, die Anwesenheit der beiden zivilen Flugzeuge habe die syrische Regierung daran gehindert, ihre Luftabwehrsysteme einzusetzen.
Zudem könnte das Gebiet im Nordosten Syriens, wo der Großteil der US-Truppen stationiert ist, schon bald zu einem neuen Krisenherd werden. Trump hat angedeutet, dass die Erdogan-Regierung die Aufgabe übernehmen werde, die in diesem Gebiet noch aktiven Restverbände des IS zu zerschlagen.
Trump twitterte: „Präsident @RT_Erdogan der Türkei hat mir eindeutig mitgeteilt, dass er auslöschen wird, was auch immer in Syrien noch vom IS übrig ist... und er ist einer, der das kann. Außerdem ist die Türkei ,gleich nebenan‘. Unsere Soldaten kommen nach Hause!“
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Erdogans Regierung hat jedoch schon vor langer Zeit deutlich gemacht, dass sie nicht den IS als Hauptfeind betrachtet, sondern die syrische Kurdenmiliz YPG. Diese war bisher Washingtons wichtigste Stellvertreterstreitmacht in Syrien. Sie hat eng mit amerikanischen Spezialeinheiten zusammengearbeitet und wurde von der US-Luftwaffe unterstützt. Ankara betrachtet die YPG als syrischen Ableger der türkisch-kurdischen PKK, gegen die die türkische Regierung seit Jahrzehnten eine Antiterror-Operation führt.
Die türkischen Medien zeigten Bilder von Zügen voller Panzer und Truppentransporter, die eilig an die türkisch-syrische Grenze verlegt werden. Dort wird eine Offensive vorbereitet, deren Hauptziel darin bestehen wird, die YPG aus dem Grenzgebiet zu vertreiben. Der Mittelpunkt dieser Offensive ist die nordsyrische Stadt Manbidsch westlich des Euphrat, die gemeinsam von der YPG und US-Truppen kontrolliert wird. Ankara hat sich mit Washington darauf geeinigt, dass die YPG aus der Stadt abgezogen wird, was jedoch noch nicht geschehen ist.
Berichten zufolge wurden islamistische Milizen der „Freien Syrischen Armee“, die von der Türkei unterstützt und von dort geleitet werden, für eine Offensive auf die Stadt mobilisiert, die von türkischer Artillerie und Panzern unterstützt werden soll.
In der Zwischenzeit gab es zudem Berichte, dass die syrisch-kurdische Führung sowohl mit der Regierung von Präsident Baschar al-Assad, dessen Streitkräfte ebenfalls auf Manbidsch vorgerückt sind, als auch mit der russischen Regierung in Verhandlungen steht.
Die türkische Regierung hat signalisiert, dass sie auch dann zu einer Intervention bereit wäre, wenn die YPG mit der syrischen Regierung ein Abkommen aushandelt, das Damaskus die Kontrolle über das Grenzgebiet übergibt.
Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu erklärte am 25. Dezember in Ankara: „Wir werden niemals zögern, Terroristen an unserer Grenze auszuschalten, auch wenn sich die YPG mit dem syrischen Regime einigt und diese das Gebiet gemeinsam kontrollieren.“ Er fügte hinzu: „Es ist unsere Pflicht, diese Bedrohung unserer nationalen Sicherheit zu eliminieren, egal von wem diese Terrororganisation kontrolliert wird.“
Das russische Außenministerium gab am Mittwoch eine Erklärung heraus, die praktisch die Erwartung Moskaus darlegt, dass die von US-Truppen kontrollierten Gebiete Kräften auf der Seite der syrischen Regierung übergeben werden, wie es das internationale Recht vorsieht.
Das ist jedoch keineswegs Washingtons Absicht. Das Ziel der US-Intervention bestand von Anfang an nicht so sehr darin, den IS zu besiegen, sondern die Kontrolle über jenen Teil Syriens zu erlangen, in dem sich die wichtigsten Öl- und Gasvorkommen des Landes befinden. Diese Ressourcen sind von entscheidender Bedeutung für den Wiederaufbau des vom Krieg zerstörten Landes.
Die Türkei könnte nun in das Gebiet vordringen, Washingtons ehemalige Stellvertreterkräfte, die syrischen Kurden, ausschalten und gleichzeitig Damaskus die Kontrolle über die wichtigsten Ressourcen des Landes verwehren.
Unterdessen mehren sich Berichte, dass Offiziere aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten in die Region geschickt wurden, um die sunnitischen Milizen gegen die Versuche der syrischen Regierung, die Kontrolle zurückzugewinnen, zu mobilisieren. Dadurch könnte die mörderische Operation mit dem Ziel eines Regimewechsels in Syrien wieder von neuem anfangen. Der IS, das angebliche Ziel der US-Militäroperationen, könnte in „syrische Rebellen“ umbenannt werden, die die Hilfe und Unterstützung der USA verdienen.