Immer mehr Details kommen über das Verschwinden des bekannten saudischen Journalisten Jamal Khashoggi ans Licht. Nachdem er am 2. Oktober das saudische Konsulat in Istanbul betreten hatte, ist offenbar ein monströses Verbrechen geschehen, mit weltweit gravierenden Folgen.
Laut Foto- und Videomaterial, das die türkischen Medien veröffentlicht haben, traf am selben Tag am Flughafen Atatürk ein 15-köpfiges saudisches Killerkommando ein. Dazu gehörten zwei Luftwaffenoffiziere, mehrere Geheimdienstagenten und Mitglieder der Elite-Leibgarde der saudischen Monarchie. Nach Angaben der türkischen Behörden war auch ein Forensiker dabei, der laut Berichten eine Knochensäge mit sich führte.
Türkischen Medienberichten ist zu entnehmen, dass Khashoggi eine Woche zuvor das Konsulat besucht hatte, um Dokumente zu erhalten, die er für seine geplante Heirat mit einer Türkin benötigte. Ihm wurde gesagt, er solle am 2. Oktober um 13.00 Uhr wiederkommen. Als die 15 staatlichen Attentäter eintrafen, erhielt das Botschaftspersonal für diesen Nachmittag frei. Wie türkische Sicherheitsleute anonym berichteten, soll Khashoggi aus dem Büro des Konsuls verschleppt und getötet und sein Körper mit der Säge zerstückelt worden sein.
Dieses Verbrechen hat auf der ganzen Welt sowohl durch das offene und brutale Vorgehen der Mörder als auch wegen der Identität des mutmaßlichen Opfers Aufmerksamkeit erregt. Khashoggi war zu Beginn seiner journalistischen Karriere ein Vertrauter der saudischen Regierung mit ausgezeichneten Verbindungen zu mächtigen Beamten und Milliardären des Königreichs. Er war der Berater des langjährigen saudischen Geheimdienstchefs und ehemaligen Botschafters in den USA, Prinz Turki bin Faisal, und diente der Monarchie als diplomatischer Verbindungsmann zu westlichen Medien und Regierungsbeamten.
Im September 2017 leitete Kronprinz Mohammed bin Salman (MBS) eine brutale Säuberungsaktion ein. Der De-facto-Herrscher des Reichs, der weder Mitglieder der Königsfamilie noch prominente Geschäftsleute oder Journalisten verschonte, wurde von westlichen Medien, der Trump-Regierung und der amerikanischen Finanzelite als großer „Reformer“ gefeiert. Die westlichen Medien ignorierten entweder sein hartes Durchgreifen oder unterstützten es. Der unsägliche Außenkolumnist der New York Times, Thomas Friedman, der im Königspalast zu Riad fürstlich verköstigt worden war, schrieb damals, dass „kein einziger Saudi, mit dem ich hier in den letzten drei Tagen gesprochen habe, anders als mit größter Hochachtung von diesem Schritt gegen Korruption gesprochen hat“.
Was Khashoggi betrifft, so zog er der Inhaftierung das selbst auferlegte Exil in den USA vor, wo er eine Kolumne in der Washington Post erhielt und den Antrag auf Einbürgerung stellte. Er nutzte seine Kolumne, um Mohammed bin Salman vom Standpunkt seiner Gegner innerhalb der Königsfamilie selbst zu kritisieren. Zuletzt verurteilte er den Krieg, den das saudische Regime gegen den Jemen führt, und der auf eine Initiative von MBS zurückgeht.
Obwohl Khashoggi ein sehr prominenter Mann ist, hat die Trump-Regierung es eine Woche lang vermieden, eine Erklärung abzugeben und die Aufmerksamkeit auf Khashoggis Verschwinden zu lenken. Trump behauptete am 10. Oktober im Weißen Haus, über das Schicksal des Journalisten wisse er nur, „was alle anderen wissen – nämlich nichts“. Unterdessen gab Außenminister Mike Pompeo eine Erklärung ab, in der er die saudische Monarchie aufforderte, eine „gründliche Untersuchung“ ihrer eigenen Verbrechen aufzunehmen.
Einiges weist jedoch darauf hin, dass die US-Regierung über die saudischen Pläne zur Beseitigung Khashoggis wohl informiert war. So berichtete die Washington Post, dass der US-Geheimdienst vor seinem Verschwinden Gespräche zwischen saudischen Beamten abgefangen habe, die einen Plan zur Entführung des Journalisten enthüllen würden.
In jedem Fall ist die brutale Monarchie Saudi-Arabiens seit langem der Dreh- und Angelpunkt der imperialistischen Herrschaft und politischen Reaktion im gesamten Nahen Osten.
Die Verbindungen zwischen den USA und Saudi-Arabien sind unter demokratisch wie republikanisch geführten Regierung stets eine feste Institution geblieben, während das saudische Regime routinemäßig politische Gegner und Verurteilte enthauptet hat, darunter auch solche, denen keine Gewaltverbrechen zur Last gelegt wurden. Allein im Jahr 2017 wurden 150 Menschen durch das Schwert getötet.
Bevor Khashoggi verschwand, waren schätzungsweise 30 saudische Journalisten bereits inhaftiert oder verschwunden. Die westlichen Regierungen, allen voran die USA, die Milliarden von Dollar an Waffen an das Königreich verkaufen und von dessen Ölreichtum profitieren, legten keinerlei Protest ein.
Die Verbindung zwischen den USA und Saudi-Arabien ist unter der Trump-Regierung nur noch enger geworden. Diese ist bemüht, eine Achse gegen den Iran zu schmieden, die sich auf Saudi-Arabien und Israel stützt. Gleichzeitig unterstützt die US-Regierung auch weiterhin den Krieg gegen die Bevölkerung des Jemen, der an Völkermord grenzt, und weitet die Unterstützung sogar noch aus.
Diese Verbindungen, die einmal mehr durch die offizielle Reaktion Washingtons auf das Verschwinden von Khashoggi unterstrichen werden, zeigen den grenzenlosen Zynismus des US-Imperialismus und entlarven die „Menschenrechts“-Heuchelei sowie die gespielte Empörung Washingtons über angebliche Verbrechen von Regierungen, die sie als strategische Rivalen ansieht oder die sie zu stürzen versucht – von Russland und China über den Iran und Syrien bis zu Venezuela.
Die Khashoggi-Affäre hat eine weitaus größere internationale Bedeutung. Sie ist symptomatisch für einen unheilvollen Wandel in der Weltpolitik, bei dem solche abscheulichen Verbrechen immer häufiger vorkommen und akzeptiert werden. Sie erinnert an jene Bedingungen, die in den dunkelsten Tagen der 1930er Jahre herrschten, als faschistische und stalinistische Todesschwadronen Sozialisten und andere Gegner Hitlers und Stalins in ganz Europa verfolgten und ermordeten.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Journalisten erleiden die Folgen dieses Wandels in der Weltpolitik: Wie das Komitee zum Schutz von Journalisten berichtete, wurden in diesem Jahr 48 Menschen getötet, womit die Zahl schon jetzt um 50 Prozent gegenüber dem gesamten Jahr 2017 gestiegen ist. Weitere 60 „verschwanden“ auf der ganzen Welt.
Gezielte Attentate, die von den Israelis zu einem zentralen Werkzeug der Staatspolitik entwickelt wurden, führte Washington in seinem sogenannten „globalen Krieg gegen den Terror“ im industriellen Maßstab ein. Die Morde, Folterungen und „außerordentlichen Überstellungen“, die unter der Bush-Administration begannen und für die niemand jemals bestraft wurde – ganz zu schweigen von der Leiterin eines Foltergefängnisses, die zur CIA-Chefin ernannt wurde –, wurden unter Obama zur festen Institution erhoben. Das Weiße Haus führte unter seiner Präsidentschaft den sogenannten „Terror Tuesday“ ein, bei dem der Präsident und seine Berater wöchentlich Ziele für Attentate aus Akten und Fotos auswählten.
Die Aggressionskriege der USA mit Millionen Todesopfern, die routinemäßige Ermordung angeblicher „Terroristen“ sowie die pauschale Zurückweisung des Völkerrechts als inakzeptable Einschränkung der amerikanischen Interessen haben ein verseuchtes politisches Klima auf der ganzen Welt geschaffen, in dem Verbrechen wie die gegen Khashoggi nicht nur möglich, sondern unvermeidlich sind.
Angesichts wachsender sozialer Spannungen und sich verschärfender Klassenkämpfe, deren Ursache die Krise des globalen kapitalistischen Systems ist, erfolgte in der bürgerlichen Politik eine scharfe Rechtswende mit Kurs auf autoritäre Herrschaftsformen – vom Aufstieg Trumps in den USA über das Wachstum rechtsextremer Kräfte in Europa bis hin zum beinahe Wahlsieg eines faschistischen ehemaligen Armee-Hauptmanns in Brasilien. Unter diesen Bedingungen werden die Methoden der Ermordung und des „Verschwindenlassens“ als Mittel beim Umgang mit Gegnern der bestehenden Regierungen und Gesellschaftsordnung mehr und mehr vorherrschen.
Das Schicksal von Jamal Khashoggi, dessen hochrangige Verbindungen offenbar nicht in der Lage waren, ihn zu schützen, ist als ernste Warnung zu werten. In praktisch jedem Land können sich diejenigen, die sich in die Hände des Staates begeben, nicht darauf verlassen, dass sie unbeschadet wieder aus ihnen hervorgehen werden.
Die einzige Antwort auf diese Bedrohung – und die eines weltweiten Rückfalls in Faschismus und Krieg – liegt im Aufbau einer revolutionären sozialistischen Massenbewegung, die die internationale Arbeiterklasse im Kampf gegen soziale Ungleichheit, Diktatur und Krieg vereint.