Moskau macht Israel für Abschuss von russischem Flugzeug nahe Syrien verantwortlich

Nach dem Abschuss eines russischen Militärflugzeugs bleibt die Lage in Syrien angespannt. Am Montagabend war während eines israelischen Luftangriffs auf die syrische Hafenstadt Latakia ein russisches Aufklärungsflugzeug vom Typ Il-20 abgeschossen worden. Dabei kamen alle fünfzehn Besatzungsmitglieder ums Leben.

Der israelische Angriff auf Latakia, einer Hochburg der syrischen Regierung und der Standort der wichtigsten russischen Militärbasis im Land, ist eine gefährliche Eskalation des Kriegs in Syrien, die mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Washington abgesprochen wurde.

Tel Aviv rechtfertigte seinen Angriff mit Geheimdienstdaten, die belegen sollen, dass in Latakia Waffen gelagert werden, die vom Iran an die libanesische Schiitenbewegung Hisbollah weitergeleitet werden. Aber die eigentliche Ursache für den Militärschlag ist, dass der US-Imperialismus und seine Verbündeten Israel und die Nato-Mächte frustriert sind, dass die von Russland unterstützte syrische Regierung unter Präsident Baschar al-Assad ihre Kontrolle über das Land zunehmend festigt und dass die al-Qaida-nahen Milizen, die sie in ihrem Stellvertreterkrieg zum Regimewechsel unterstützt haben, gescheitert sind.

Das russische Verteidigungsministerium gab zu, dass das abgeschossene Flugzeug von Luftabwehrwaffen der syrischen Regierungstruppen getroffen wurde. Die Schuld an dem Vorfall gab es jedoch eindeutig Israel, dem es eine „Provokation“ und einen „feindlichen Akt“ vorwarf.

Das russische Turboprop-Flugzeug kehrte gerade zum russischen Luftwaffenstützpunkt bei Hmeimim zurück, als es mitten in einem Angriff von vier israelischen Kampfjets vom Typ F-16 auf syrische Rüstungsindustrie-Anlagen in Latakia vom Radar verschwand.

Der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums Igor Konaschenkow erklärte am Dienstag: „Die israelischen Piloten haben das russische Flugzeug als Schutzschild benutzt und es in die Schusslinie der syrischen Verteidigung gedrängt.“

Die russische Nachrichtenagentur Interfax zitierte Aussagen von Konaschenkow, in denen er den israelischen Militärschlag als „feindlichen Akt“ und „Provokation“ bezeichnete und warnte: „Wir behalten uns das Recht vor, darauf entsprechend zu reagieren.“

Dieser Aussage schloss sich auch der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu an. Er erklärte, die „Verantwortung für den Abschuss des russischen Flugzeuges und für den Tod seiner Besatzung liegt eindeutig bei Israel. ... Das Vorgehen des israelischen Militärs entsprach nicht dem Geist der russisch-israelischen Partnerschaft. Deshalb behalten wir uns das Recht vor, darauf zu reagieren.“

Später am Tag distanzierte sich der russische Präsident Wladimir Putin demonstrativ von dieser heftigen Reaktion und den impliziten Drohungen mit militärischer Vergeltung.

Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem ungarischen Premierminister Viktor Orban in Moskau machte Putin eine klare Unterscheidung zwischen Latakia und dem Zwischenfall im Jahr 2015. Damals hatte Moskau schwere Sanktionen gegen Ankara verhängt, nachdem ein türkisches Kampfflugzeug einen russischen Jet vom Typ Su-24 abgeschossen hatte.

Putin erklärte, das türkische Militär habe das russische Flugzeug „vorsätzlich abgeschossen“, der Vorfall in Latakia wirke jedoch wie „eine Verkettung tragischer Umstände, weil das israelische Flugzeug unseren Jet nicht abgeschossen hat“.

Später führte Putin ein Telefonat mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Berichten zufolge sprach dieser sein Beileid über den Tod der russischen Besatzungsmitglieder aus, bekräftigte jedoch gleichzeitig Tel Avivs Entschlossenheit zu weiteren Angriffen auf Ziele in Syrien, die seiner Meinung nach in Verbindung zum Iran und zur Hisbollah stehen.

Israelische Regierungsvertreter schoben die Verantwortung für den Abschuss des Flugzeugs ausschließlich dem Iran und der Hisbollah zu und erklärten, die unmittelbare Ursache sei „extensives und ungenaues Feuer von syrischen Flugabwehrraketen“ gewesen.

Laut der russischen Abschrift des Telefonats hat Putin eine etwas härtere Haltung eingenommen. Er soll zu Netanjahu gesagt haben, dass israelische Operationen wie diejenige in Latakia einen „Verstoß gegen die Souveränität Syriens“ und gegen „Abkommen“ darstellen, „die gefährliche Zwischenfälle verhindern sollen“. Der Kreml fügte hinzu: „Der Präsident Russlands drängte die israelische Seite dazu, solche Situationen in Zukunft zu vermeiden.“

Anfang des Monats hatte Israel bekanntgegeben, dass es in den letzten 18 Monaten mindestens 200 Luftangriffe auf Syrien geflogen und 800 Bomben und Raketen auf Ziele im ganzen Land abgefeuert hat. Mit jedem einzelnen dieser Angriffe hat es die „Souveränität“ Syriens verletzt. Sie wurden jedoch mit stillschweigender Erlaubnis von Moskau durchgeführt, das im Vorfeld über eine vor drei Jahren eingerichtete Hotline zur „Konfliktvermeidung“ über diese Angriffe informiert wurde. Bisher hat Russland davon Abstand genommen, seine in Syrien stationierten hochmodernen Luftabwehrsysteme gegen israelische Kampfflugzeuge einzusetzen.

Noch ist unklar, ob und wie lange Russland Israel jetzt das grüne Licht für Luftangriffe in Syrien verweigern wird.

Der Wechsel im Tonfall bei der Reaktion Moskaus auf den Tod seiner Soldaten könnte darauf hindeuten, dass es innerhalb des Kreml oder zwischen Putins Regierung und der russischen Militärführung Differenzen gibt. Sicherlich drückt sich darin auch die Furcht Russlands aus, dass sich die Lage in Syrien schnell zu einer größeren militärischen Konfrontation entwickeln könnte, an der neben den beiden größten Atommächten der Welt – Russland und USA – auch Israel, die einzige Nuklearmacht in der Region, beteiligt wäre. Washington würde mit hoher Wahrscheinlichkeit mit militärischen Mitteln reagieren, wenn Russland Vergeltungsmaßnahmen gegen das israelische Vorgehen in Latakia einleitet.

Putins Regierung repräsentiert die Interessen der russischen Oligarchen, die nach der Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie ihre Macht festigen konnten. Sie versucht, die russischen Interessen im ölreichen Nahen Osten voranzubringen, indem sie nicht nur gemeinsam mit dem Iran die Assad-Regierung gegen die vom Westen als Stellvertretergruppen genutzten islamistischen Milizen unterstützt, sondern auch enge Militär-, Handels- und Wirtschaftsverbindungen zu Israel knüpft.

In dieses komplexe und widersprüchliche Beziehungsgeflecht gehören auch die Versuche Moskaus, engere Beziehungen zur Türkei aufzubauen. Ankara hat einerseits mehrere islamistische Milizen in Syrien unterstützt und andererseits an den Verhandlungen mit Moskau und Teheran in Astana für eine Waffenruhe im Syrienkonflikt teilgenommen.

Nur wenige Stunden vor dem Angriff auf Latakia erklärten Putin und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, sie hätten sich im russischen Ferienort Sotschi am Schwarzen Meer auf die Einrichtung einer gemeinsam überwachten „entmilitarisierten Zone“ zwischen den syrischen Regierungstruppen und den vom Westen unterstützten „Rebellen“ geeinigt, die in der nordwestsyrischen Provinz Idlib konzentriert sind.

In den letzten Wochen wurde immer wieder prognostiziert, die syrischen Regierungstruppen würden kurz davorstehen, mit russischer Unterstützung eine Offensive gegen Idlib zu beginnen. Gleichzeitig drohten Washington und seine Verbündeten, darunter Großbritannien, Frankreich und Deutschland, mit umfassenden militärischen Vergeltungsmaßnahmen, falls auf die letzte nennenswerte Zuflucht der al-Qaida-nahen „Rebellen“ vorgerückt werden würde.

Das Abkommen zwischen Moskau und Ankara sieht vor, dass die entmilitarisierte Zone zwischen den syrischen Regierungstruppen und den islamistischen Milizen aus einer 15 bis 20 Kilometer langen Pufferzone in der Provinz Idlib bestehen soll. Alle „radikalen“, d. h. al-Qaida-nahen Milizen sollen sich aus dem Gebiet zurückziehen.

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu erklärte am Dienstag vor der Presse, Ankara werde in den kommenden Tagen zusätzliche Soldaten nach Idlib entsenden, um das Grenzgebiet zu überwachen. Türkische Panzer und andere Militärfahrzeuge wurden bereits in den Süden der Provinz geschickt, wo russische und syrische Flugzeuge bereits Angriffe geflogen hatten.

Auf die Frage, wo die al-Qaida-nahen Milizen hin sollten, erklärte Çavuşoğlu, Ankara und Moskau arbeiteten noch an einer Lösung für das Problem.

Die USA haben angekündigt, dass die mehr als 2.000 derzeit in Syrien stationierten US-Soldaten auf unbestimmte Zeit dort bleiben werden. Sie sollen nicht nur ihre angebliche Mission – die Bekämpfung des Islamischen Staats im Irak und Syrien (IS) – erfüllen, sondern auch den Einfluss des Iran und Russlands in Syrien und der Region zurückdrängen. Zudem sollen sie Damaskus den Zugang zu den wirtschaftlich wichtigen Ölfeldern verweigern, die derzeit von den USA kontrolliert werden.

Washington hat kein Interesse daran, dass Moskau und Ankara ihr Idlib-Abkommen umsetzen. Bei einem Treffen des UN-Sicherheitsrats am Dienstag forderte der UN-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura, eine schnelle Umsetzung des russisch-türkischen Abkommens. Der amerikanische Sonderbeauftragte für den Syrien-Einsatz, James Jeffrey, betonte jedoch: „Der einzige Ausweg ist eine echte und integrierende politische Lösung“ – Washingtons Euphemismus für „Regimewechsel“. Deshalb sind die USA und ihre Verbündeten, vor allem Israel, dazu bereit, das Land und die Region in einen Krieg zu stürzen, der katastrophale Folgen für die ganze Welt haben könnte.

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