Wagenknechts Sammelbewegung: Eine rechte, nationalistische Offensive

Zwei Dinge stachen ins Auge, als Sahra Wagenknecht am Dienstag gemeinsam mit ihren engsten Unterstützern die Sammelbewegung „Aufstehen“ vorstellte. Mehrmals betonte die Fraktionschefin der Linkspartei in ihrem kurzen Pressestatement, es handle sich um eine Bewegung von unten, um eine sogenannte Basis-Bewegung.

Doch der offizielle Start dieser angeblichen „Bewegung von unten“ erfolgte ganz oben, im Saal der Bundespressekonferenz in Berlin. Zu diesem erlauchten Gremium haben nur ausgewählte Journalisten Zutritt. Ein normaler Presseausweis reicht nicht aus, und wer das Recht hat, Fragen zu stellen, entscheidet die Vorsitzende der Bundespressekonferenz. Normalerweise finden hier, in Laufnähe zum Kanzleramt, die Regierungspressekonferenzen der Kanzlerin oder ihrer Sprecher statt.

Als Wagenknecht am Dienstag die Gründung ihrer Sammelbewegung bekannt gab, herrschte großer Medienandrang. Alle großen Nachrichtensender und Hauptstadt-Journalisten hatten sich versammelt.

Auch auf der Bühne saß niemand „von unten“, sondern abgetakelte Politiker, die über die großen Stimmenverluste und den Niedergang ihrer Parteien lamentierten. Wagenknecht selbst klagte darüber, dass die Linkspartei nicht in der Lage gewesen sei, die Stimmen- und Mitgliederverluste der SPD aufzufangen. Zwei Plätze weiter saß die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange, die auf dem letzte SPD-Parteitag für den Parteivorsitz kandidiert hatte, und erklärte, dass der Einflussverlust der SPD ihr große Sorgen mache.

Neben ihr verkündete Ludger Volmer, dass er als Gründungsmitglied der Grünen den „Anpassungsprozess“ seiner Partei an den politischen Mainstream missbillige. Volmer selbst war Staatsminister im Auswärtigen Amt unter Joschka Fischer, wo er trotz seiner früheren pazifistischen Positionen die deutsche Kriegsbeteiligung in Kosovo und Afghanistan befürwortete.

Unterstützt wurden diese Vertreter von Rot-Rot-Grün von Pof. Dr. Bernd Stegemann und dem Hamburger Kommunikationsexperten Hans Albers. Der Dramaturg Stegemann bezeichnet sich hochtrabend und ungeniert als Spiritus rector dieser „Bewegung von unten“.

Das zweite Augenfällige an dieser Inszenierung war die unmittelbare zeitliche Nähe zu den Ereignissen in Chemnitz. Nachdem dort in der vergangenen Woche rechtsradikale und faschistische Horden durch die Straßen gezogen waren und unter den Augen der Polizei Jagd auf Ausländer gemacht hatten, versammelten sich am Montag 70.000 zu einer machtvollen Manifestation gegen den rechten Aufmarsch.

Auch wenn Wagenknechts Pressekonferenz schon lange vorher angekündigt war, wirkte sie am Dienstagvormittag wie eine Gegenbewegung zu diesem wachsenden Widerstand gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit, der sich in vielen Städten unter Jugendlichen und Arbeitern entwickelt und die Form einer wirklichen Bewegung von unten annimmt.

Dieser Eindruck ist kein Zufall. Liest man den fünfseitigen Aufruf, der auf der Pressekonferenz verteilt wurde, wird klar, dass es sich nicht um eine linke, gegen den Kapitalismus gerichtete Initiative handelt, sondern um eine rechte nationalistische Offensive, die sich gegen Ausländer wendet.

Schon im Mai hatte Wagenknecht in einem ersten Aufruf die Flüchtlinge für die soziale Misere verantwortlich gemacht. Durch die vielen Flüchtlinge seien öffentliche Verwaltung, Städte und Gemeinden überfordert, schrieb sie damals. Der „Mangel an Sozialwohnungen, überforderte Schulen oder fehlende Kita-Plätze“ hätten sich durch den unkontrollierten Zuzug von Flüchtlingen weiter verschärft – zum Leidwesen der „ohnehin Benachteiligten“. Es folgte der Satz: „Wenn die Politik dann noch zuschaut, wie Hassprediger eines radikalisierten Islam schon 5-jährigen Kindern ein Weltbild vermitteln, das Integration nahezu unmöglich macht, wird das gesellschaftliche Klima vergiftet.“

Zwar wurde im neuen Aufruf der islamistische Hassprediger und Kinderverführer weggelassen, aber die politische Linie ist gleich geblieben. Nach wie vor werden die Flüchtlinge für die wachsende soziale Not verantwortlich gemacht. Im neuen Text werden die gravierendsten sozialen Probleme aufgelistet. Unter anderem heißt es, die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland habe heute ein geringeres Realeinkommen als Ende der neunziger Jahre. Dann folgt der Satz: „Viele von ihnen sehen in Freizügigkeit und Zuwanderung vor allem eine verschärfte Konkurrenz um schlecht bezahlte Arbeitsplätze.“

Zwei Absätze weiter wird dieser ausländerfeindliche Standpunkt wiederholt. Die Zerstörung des sozialen Zusammenhalts, wachsende Unzufriedenheit und empfundene Ohnmacht schüfen einen Nährboden für Hass und Intoleranz. Zwar seien die Hauptgründe für Zukunftsängste die Krise des Sozialstaats und globale Instabilität. Aber: „Die Flüchtlingsentwicklung hat zu zusätzlicher Verunsicherung geführt.“

Merkels Umgang mit der Zuwanderung sei unverantwortlich. „Städte, Gemeinden und ehrenamtliche Helfer“ würden alleine gelassen, und die „vielen bereits vorhandenen Probleme“ würden durch die Zuwanderung deutlich verschärft.

Der Forderungskatalog mit den Parolen „Für eine neue Friedenspolitik“, „Sichere Jobs, gute Löhne, anständige Renten“, „Privatisierungen stoppen“, „Tier- und Pflanzenwelt schützen“ und „Demokratie retten“ liest sich wie ein schwacher Aufguss aller gescheiterten Reformversprechen der vergangenen Jahrzehnte.

Überall dort, wo die Forderungen ansatzweise konkret werden, zeigt sich ihr völlig reaktionärer Inhalt. So steht im Zentrum der „neuen Friedenspolitik“ der Aufbau der Bundeswehr als „Teil einer europäischen Sicherheitsgemeinschaft“, was exakt der Militärpolitik der Bundesregierung entspricht.

In Bezug auf Europa propagiert der Aufruf ein „europäisches Deutschland in einem geeinten Europa souveräner Demokratien“. Zwar wurde der Zusatz: „bei Wahrung kultureller Eigenständigkeit und mit Respekt vor Tradition und Identität“ – wie er noch im Mai-Aufruf stand – jetzt weggelassen, weil er zu offensichtlich an die AfD erinnert. Doch dieses „ Europa souveräner Demokratien“ gleicht nach wie vor der abgedroschenen Forderung nach einem „Europa der Vaterländer“, die in den 1960er Jahren vom französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle vertreten und von zahlreichen rechten, nationalistischen Parteien aufgegriffen wurde.

Der Aufruf ist durch und durch nationalistisch und verteidigt den Kapitalismus. Die Begriffe „Sozialismus“ und „sozialistisch“ kommen darin nicht vor. Der Kritik am „globalen Finanzkapitalismus“ wird die Stärkung des „deutschen Binnenmarkts“ sowie des staatlichen Unterdrückungsapparats entgegengestellt. Polizei und Justiz sollen mehr Personal erhalten und besser ausgestattet werden.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass AfD-Chef Alexander Gauland sich voll des Lobes über die neue Sammlungsbewegung äußert. Die Initiative habe „die Chance, parteipolitische Schützengräben zu überwinden und könnte damit im politischen Diskurs auch von linker Seite endlich wieder Impulse in der sachlichen Auseinandersetzung liefern“, sagte Gauland am Dienstag laut einer AfD-Mitteilung. Zugleich lobte er Sahra Wagenknecht als Politikerin, die in der Lage sei, „die linken Scheuklappen abzulegen und jenseits von Pathos und Ideologie die tatsächlichen Sorgen und Nöte breiter Schichten des Volkes zu identifizieren“.

Auch die rechtsextreme Postille Junge Freiheit feiert Wagenknecht als Vertreterin eines neuen Nationalismus. Die jüngste Ausgabe erschien mit einem Titelbild von Wagenknecht und der Schlagzeile: „Zurück zur Nation?“.

Mit ihrem Bekenntnis zum Nationalstaat versuche Wagenknecht „eine verschüttete linke Tradition wiederzubeleben“, heißt es in der Überschrift. In einem Seite-Eins-Kommentar schreibt der Gründer und Chef-Kommentator des rechten Blattes, Dieter Stein, die von Wagenknecht angestoßene Sammlungsbewegung treibe „die Debatte um eine Rückkehr zum Nationalstaat“ mit Macht voran, und das sei zu begrüßen. Denn „ohne eine breite gesellschaftliche Debatte über die massiven Probleme unkontrollierter Migration“ und deren sozialen Folgen werde es zu schlimmen politischen Verwerfungen kommen.

Dann betont Stein, dass Wagenknechts Initiative auch dann von großer Bedeutung sei, wenn sie „durch bald aufbrechende innere Widersprüche, Spaltungen und Gegenwehr von kurzer Dauer sein sollte“. Denn Wagenknecht setze nicht nur die Linke, „sondern auch die Mitte und Konservative unter Zugzwang. Und das ist gut so.“

In einem zweiten Artikel in derselben Ausgabe der JF lobt Karlheinz Weißmann Wagenknechts Initiative. Weißmann ist ein Hauptvertreter der Neuen Rechten. Gemeinsam mit Götz Kubischek hat er den rechten Thinktank „Institut für Staatspolitik“ (IfS) gegründet und setzt sich dafür ein, die rechten Theorien von Ernst Jünger, Carl Schmitt, Arthur Moeller van den Bruck und anderen Vertretern der „Konservativen Revolution“ zu verbreiten und zu erneuern.

Weißmann weist darauf hin, dass die rechten nationalistischen Standpunkte von Wagenknecht und ihrem Ehemann Oskar Lafontaine nicht neu sind. Schon vor 13 Jahren habe Lafontaine bei einer Kundgebung in Chemnitz die „skandalträchtige Äußerung gemacht“, dass Familienväter und Frauen arbeitslos würden, „weil Fremdarbeiter zu niedrigen Löhnen ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen“.

Dann lobt er Wagenknecht, weil sie offen erkläre, dass für sie „das Fassungsvermögen Deutschlands in Hinblick auf Zuwanderung erschöpft“ sei und Grenzsicherung für sie „zu den selbstverständlichen Befugnissen des Staates“ gehöre. Es gebe im Grunde nur einen Versuch, der dem von Wagenknecht ähnele: „die Bewegung ‚La France inoumise‘, die Jean-Luc Mélenchon im Vorfeld der Präsidentschaftswahl 2017 gegründet hat“. Allerdings könne sich Mélenchon in Frankreich auf die Tradition eines nationalen Jakobinismus stützen, die dort nie ganz erloschen sei, es hierzulande aber nicht gebe.

Es ist nur allzu gut bekannt, welche Tradition des Nationalismus es in Deutschland gibt. Die Kombination von sozialer Demagogie und Nationalismus hat eine unerbittliche politische Logik und führt unvermeidbar in rechtsextreme, faschistische Richtung. Arbeiter und Jugendliche müssen dieser rechten Offensive mit Abscheu und Feindschaft entgegentreten.

Wagenknechts Bemühen, eine rechte Sammlungsbewegung aufzubauen, bestätigt den Standpunkt der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP): Der Kampf gegen soziale Ungleichheit, Krieg und Diktatur erfordert den Aufbau einer internationalen sozialistischen Arbeiterpartei, die in unversöhnlicher Opposition zur Linkspartei und ihren pseudolinken Unterstützern steht.

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