Um Migranten von Europa fernzuhalten, arbeitet die EU eng mit afrikanischen Regierungen zusammen, darunter auch mit blutigen Diktaturen, die sie sonst wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilt. Dabei verschiebt sie die EU-Außengrenze immer weiter ins Innere Afrikas.
Vergangene Woche empfing Angela Merkel (CDU) den Präsidenten des Niger, Mahamadou Issoufou, in Meseberg. Die deutsche Kanzlerin versprach dem Niger deutsche und europäische Hilfe, falls er sich noch stärker an der „Eindämmung der illegalen Migration“ beteilige.
Die Vereinbarung mit Niger ist einer von mehreren schmutziger Deals, die die EU und ihre führenden Mitgliedstaaten, vor allem Deutschland und Frankreich, seit drei Jahren mit afrikanischen Regierungen abschließen. Im imperialistischen Wettlauf um Afrika verstärken sie ihre eigene militärische Präsenz in der Sahel-Region und bezahlen und bewaffnen lokale Machthaber, damit sie Flüchtlinge stoppen und die eigene Bevölkerung in Schach halten.
Die Dokumentation „Türsteher Europas“, die kürzlich im ZDF lief, vermittelt einen Eindruck, was sich in diesem Teil Afrikas abspielt. In wochenlangen Recherchen haben die Autoren Jan Schäfer und Simone Schlindwein nachgeforscht, wie die EU afrikanische Regierungen mit Geld, Technologie und Knowhow ausrüstet, damit sie Migranten von Europa fernhalten.
Im Niger bildet die EU seit 2012 Grenzschützer und Polizisten aus. Sie hat der Regierung von Mahamadou Issoufou bis 2020 eine Milliarde Euro Entwicklungshilfe versprochen, von der ein großer Teil in Waffen und Sicherheitstechnik fließt. Wie die Dokumentation zeigt, geht die Regierung des Niger als Gegenleistung mit ungeheurer Brutalität gegen Flüchtlinge vor.
Grenzschützer riegeln nicht nur die Kontrollposten in Richtung Libyen ab, sondern besetzen sogar die Wasserstellen auf dem Weg durch die Wüste. Das hat dazu geführt, dass die Migranten versuchen, diese Checkpoints und Oasen über weite Umwege zu umgehen. Der Fahrer des ZDF-Filmteams, ein Tuareg, erklärt, dass die Zahl der Toten in diesem Teil der Sahara deshalb ständig wächst. „Die Migranten umfahren auch die Wasserstellen, weil diese jetzt mit Hilfe der EU überwacht werden.“ Oft überlassen Schleuser, aus Angst entdeckt zu werden, Migranten in der Wüste ihrem Schicksal, wo sie elend verdursten.
Um die Region effektiver zu kontrollieren, hat die Polizei des Niger über 200 Fahrzeuge aus Deutschland erhalten. Ein wichtiger Knotenpunkt der Migrationsrouten ist die Stadt Agadez, jahrhundertelang ein Handelszentrum der Karawanen. Hier sprechen die Filmemacher mit dem Chefredakteur eines Radiosenders, der ihnen Fotos von Leichen von Migranten in der Wüste zeigt: „Die Sahara ist jetzt ein Friedhof unter freiem Himmel.“
Mittlerweile sterben mehr Menschen in der Wüste als im Mittelmer; das hat auch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR vor kurzem bestätigt.
Im Osten der Sahel-Zone liegt der Sudan. Gegen sein Staatsoberhaupt, Umar al-Baschir, hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag einen Haftbefehl wegen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen im Darfur-Konflikt erlassen.
Das hindert die EU nicht daran, eine rege Zusammenarbeit mit dem Sudan zu entwickeln. Eine berüchtigte Miliz, die im Bürgerkrieg in Darfur ethnische Säuberungen durchführte, macht heute Jagd auf Migranten aus Eritrea, Äthiopien und Somalia. Der Kommandant dieser blutigen Truppe, General Mohammed Hamdan Daglo, erklärt im Film: „Ich sage deutlich: Diese Menschen wollen nach Europa. Wir arbeiten also stellvertretend für Europa.“
Ausführlich zu Wort kommt auch der Grenzschutz-Chef im sudanesischen Innenministerium, Awad Al-Neel Dahiya. Er bestätigt die enge Zusammenarbeit, die zwischen Deutschland und dem Sudan besteht. Er berichtet über Verbindungen zur deutschen Bundespolizei und zur deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), welche die sudanesischen Sicherheitskräfte trainiert.
An der Grenze des Sudans zu Eritrea gelingt es den Reportern, ein Flüchtlingslager für 40.000 Menschen zu besuchen. Dieses Lager stellt für die EU offenbar eine große Chance dar, ihre Beschlüsse über ein „Hotspot“-Lagersystem außerhalb Europas in die Tat umzusetzen. Die Reporter befragen den EU-Generaldirektor für Internationale Zusammenarbeit, Stefano Manservisi, der ganz offen erklärt: „Im Sudan sind schon Flüchtlingslager vorhanden. Helfen wir doch dort!“
Bis 2020 will die EU mehr als acht Milliarden Euro in diese Art „Entwicklungshilfe“ auf dem afrikanischen Kontinent investieren. Auf die Frage des ZDF-Teams nach den vielen Toten in der Wüste antwortet Manservisi verächtlich: „Natürlich kann das passieren… Wir sind nicht vor Fehlern gefeit.“
Sowohl im Sudan als auch in Eritrea, wo ebenfalls eine Diktatur herrscht, will die EU ein Ausbildungsprogramm für Grenzschützer einrichten. Ähnlich wie in Libyen finanzieren die europäischen Regierungen in diesen Ländern Haft- und Folterlager islamistischer Milizen. Seit März 2016 arbeitet die EU im Sudan und in Eritrea mit Kräften zusammen, die für Folter, Haft und staatlichen Mord verantwortlich sind.
Der Film geht auf das lukrative, verdeckte Schleusergeschäft ein, das sudanesische und eritreische Politiker gemeinsam betreiben. Die Politologin Miriam van Reisen, die zum Schleusergeschäft dieser Diktaturen forscht, erklärt in der ZDF-Dokumentation: „Was wir [die EU] hier unterstützen, sind mafiöse Organisationen, die die Bevölkerung in Schach halten.“
Die Autoren des Dokumentarfilms haben in insgesamt zwölf Ländern recherchiert, auf welche Weise Europa „seine Außengrenzen in den afrikanischen Kontinent verschiebt“. Während die EU in Afrika immer mehr Geld für Militarisierung, Grenzsicherung und „Migrations-Management“ ausgibt, haben afrikanische Länder, die bisher aus Europa Geld für Nahrungsmittel, Gesundheit und Bildung erhielten, das Nachsehen.
Vor allem Migranten haben darunter zu leiden, von denen 85 Prozent in andere afrikanische Ländern gegangen sind. So leben heute allein in Uganda 1,4 Millionen Flüchtlinge. Infolge der Kürzung der EU-Hilfe sind in Uganda nur noch 35 Prozent des Bedarfs gedeckt, was dazu führt, dass die geflüchteten Menschen dort hungern.
Massiv finanziert und ausgebaut wird dagegen die europäische Grenzschutzagentur Frontex. Betrug das Frontex-Budget bei ihrer Gründung im Jahr 2005 6,5 Millionen Euro, wächst es bis 2020 um mehr als das Fünfzigfache auf 345 Millionen Euro. Das Personal wird gerade um 10.000 Mann aufgestockt und für den Einsatz in künftigen EU-„Hotspots“ in Afrika aufgerüstet. Frontex arbeitet heute mit über 20 afrikanischen Partnerstaaten zusammen, von denen zwei Drittel autoritäre Regimes sind.
Die Abschottung und Jagd auf Migranten schafft auch eine Goldgrube für die Rüstungsindustrie. Wie der Film dokumentiert, ist das Geschäft mit der Grenztechnologie ein gewaltiger Absatzmarkt für europäische Sicherheits- und Rüstungskonzerne. Afrikanische Regierungen kaufen Technologie „Made in Europe“ und bezahlen sie mit Hilfe der Milliardenspenden aus der EU.
Dazu lassen die Filmemacher den ehemaligen deutschen Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) zu Wort kommen, der jetzt als Berater für den Rüstungskonzern Rheinmetall tätig ist. Im Gespräch mit dem ZDF-Filmteam verteidigt Niebel das Vorgehen der EU vehement: Es müsse „im europäischen oder deutschen Interesse sein, erstens diese Maßnahmen gegebenenfalls zu finanzieren und zweitens die Menschen, die damit arbeiten müssen, so zu qualifizieren, dass sie damit auch umgehen können“.
Europäische und deutsche Politiker arbeiten mit Diktatoren, Folterknechten und Menschenhändlern zusammen und nehmen tausende Tote in Kauf. Das gilt nicht nur für notorisch rechte Politiker wie Matteo Salvini, Sebastian Kurz oder Horst Seehofer, sondern auch für Sozialdemokraten und Vertreter der Grünen und der Linken. So tragen die entsprechenden EU-Beschlüsse die Unterschriften aller europäischen Regierungen – auch der griechischen Syriza-Regierung und der sozialdemokratischen Regierungen in Spanien und Malta.
Die Wirtschaftshilfe und Zusammenarbeit der EU-Regierungen mit afrikanischen Diktatoren geht mit der Ausweitung der militärischen Präsenz Europas in Afrika einher. Wie die Kanzlerin am 15. August in Meseberg ankündigte, soll die gesamte Sahel-Region eine „robuste internationale Mandatierung“ erhalten, was auf Deutsch heißt, dass die europäischen, deutschen und französischen Militärkontingente in der Region ausgeweitet und die regionalen Armeen massiv mit Waffen und Gerät aufgerüstet werden.
Bundeswehr-Soldaten sind mittlerweile nicht nur in Mali, sondern auch in Marokko sowie im Sudan, im Südsudan, in Dschibuti und am Horn von Afrika stationiert. Gemeinsam mit dem französischen und italienischen Militär beteiligen sie sich an Missionen im Niger, in Mauretanien und im Tschad sowie (inoffiziell) in Libyen.