In Rumänien haben am vergangenen Freitag und Samstag mehrere zehntausend Menschen gegen die sozialdemokratische Regierung protestiert. Am Samstag zogen die Demonstranten vor das Regierungsgebäude in Bukarest. Bereits einen Tag zuvor hatte die Polizei dort Tränengas und Wasserwerfer gegen Demonstranten eingesetzt. Über 400 Personen wurden dabei verletzt und mussten medizinisch behandelt werden.
Laut vielen Berichten waren dem brutalen Polizeieinsatz Provokationen von Demonstrationsteilnehmern vorangegangen, die Flaschen, Steine und Rauchbomben auf Sicherheitskräfte warfen. Nach offiziellen Angaben wurden elf Polizisten bei dem Einsatz verletzt. Auch in anderen Städten des Landes kam es zu Protesten. In Cluj-Napoca beteiligten sich laut Mediafax 10.000, in Sibiu 5000, in Brasov 2000 und in Timisoara 2000. Diese Proteste verliefen weitgehend ohne Zwischenfälle.
Zu den Protesten aufgerufen hatten vor allem Gruppen von Rumänen, die im Ausland leben und arbeiten. Aufgrund der Sommerferien befinden sich derzeit viele von ihnen im Land. Sie sind deutlich besser gestellt als die in Rumänien lebenden Bevölkerung. Über Social Media hatten sie sich zur Demonstration organisiert. Sie kamen vorwiegend aus Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland.
Die Proteste richteten sich gegen Gesetzesvorhaben der rumänischen Regierung, die Ermittlungen gegen hochrangige Politiker erschweren und die Unabhängigkeit der Justiz aushöhlen.
Insbesondere der Vorsitzende der regierenden Sozialdemokratischen Partei (PSD), Parlamentspräsident Liviu Dragnea, ist eine Hassfigur der Demonstranten. Er ist wegen Wahlmanipulationen vorbestraft und wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch verurteilt. Er kann deshalb nicht Ministerpräsident werden. Zuletzt hatte die Regierung, die von Viorica Dăncilă geführt wird, die Leiterin der Nationalen Antikorruptionsbehörde (DNA) Laura Kövesi entlassen, die zahlreiche Politiker der Korruption überführt und vor Gericht gebracht hat.
Die PSD-Regierung ist ohne Zweifel bis über beide Ohren in Korruption verstrickt. Sie hat außerdem in den letzten Jahren eine scharfe Austeritätspolitik verfolgt und breite Schichten der Bevölkerung ins Elend gestoßen. Doch die Gründe für die heftigen Auseinandersetzungen in Rumänien liegen tiefer. Der Vorwurf der Korruption wird in Rumänien und anderen osteuropäischen Ländern seit Langem dazu benutzt, gegen politische Gegner vorzugehen und eine Politik durchzusetzen, für die es in Wahlen keine Mehrheit gibt.
Während sich die Forderungen der Demonstranten auf den Rücktritt der Regierung beschränkten, dominierten rumänische und EU-Fahnen das Bild der Proteste. Die Teilnehmer waren, wie bei früheren Großdemonstrationen, zum großen Teil Anhänger der rechten Opposition, die versuchen, die PSD-Regierung mit Hilfe der Proteste unter Druck zu setzen.
Rumäniens Präsident Klaus Johannis, ein erklärter Gegner der sozialdemokratischen Regierung, stellte sich demonstrativ hinter die Proteste und verurteilte „das brutale Eingreifen der Bereitschaftspolizei“. Auch die rechte Tageszeitung Ziare, ein Sprachrohr von Teilen der Opposition, forderte den „raschen Rücktritt der Regierung von Premierministerin Dăncilă“.
Der EU-Kommission ist die sozialdemokratische Regierung in Bukarest seit Langem ein Dorn im Auge. So ist es kein Zufall, dass EU-Justizkommissarin Vera Jourova sie kurz vor Ausbruch der Proteste heftig angriff. Sie erklärte der deutschen Tageszeitung Die Welt: „Die Gesetzentwürfe der rumänischen Regierung gefährden in ihrer Gesamtheit die Unabhängigkeit der Richter, und sie beschneiden die Kompetenzen der Staatsanwälte. Sie untergraben zudem das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz.“
Tatsächlich geht es weder der EU noch der rechten Opposition in Rumänien um die Aushöhlung des Justizsystems oder den Kampf gegen Korruption, sondern um handfeste innen- und außenpolitische Interessen.
Die PSD hatte die Parlamentswahl 2016 mit fast 45 Prozent der Stimmen sehr deutlich gewonnen. Besonders unter den ärmsten Schichten und in den ländlichen Gebieten konnte die PSD die meisten Stimmen erzielen. Aufgrund von heftigen Auseinandersetzungen musste die Regierung zweimal umgestellt werden. Im Januar trat dann die bisherige Abgeordnete des EU-Parlaments, Dăncilă, das Amt der Regierungschefin an und bildete eine Regierung mit der rechts-liberalen Partei ALDE.
Trotz der andauernden Krise innerhalb der Regierung, ist es der rechten Opposition nicht gelungen, an die Regierung zurückzukehren. Auch für die Europawahl im nächsten Jahr sagen ihr die Umfragen ein katastrophales Abschneiden voraus. Gleichzeitig eskaliert der Konflikt zwischen der PSD/ALDE-Regierung auf der einen und Präsident Johannis und den Oppositionsparteien um die rechte National-Liberale Partei (PNL) auf der anderen Seite.
Anfang Juni drohte Dragnea mit einem Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Johannis, wenn dieser einer umstrittenen Entscheidung des Verfassungsgerichts nicht nachkomme und die Antikorruptions-Staatsanwältin Laura Kövesi entlasse.
Einen Tag zuvor hatten PSD und ALDE eine Großkundgebung mit rund 150.000 Teilnehmern in Bukarest abgehalten, auf der die PSD den sogenannten „parallelen Staat“ angriff. Darunter versteht sie eine Verbindung von Justizinstitutionen und Geheimdiensten, die sich gegen gewählte Politiker richte und von westlichen Staaten unterstützt werde.
Vor diesem Hintergrund befürchtet vor allem die EU, die PSD-Regierung könnte sich Russland annähern. Sowohl Politiker der PSD, die aus der alten stalinistischen Staatspartei Rumäniens hervorgegangen ist, wie der ALDE verfügen über hervorragende Kontakte nach Moskau.
In den letzten Wochen kam es verstärkt zu Konflikten über die Energiepolitik. Hier spielt Rumänien aufgrund der strategischen Lage am Schwarzen Meer eine zentrale Rolle. Seit etwa drei Monaten baut Rumänien die BRUA-Pipeline, die ab 2020 Gas aus Rumänien nach Ungarn liefern soll. Sie soll die Energie-Abhängigkeit von Russland mildern und den Export von Gas ermöglichen, das in Zukunft aus dem Schwarzen Meer gefördert wird.
Bei den Förderbedingungen legte die Regierung drastische Auflagen für die beteiligten Konzerne fest. PDS-Chef Dragnea erklärte im Parlament: „Wir müssen die Energiekonzerne kräftig besteuern. Wir können doch als rumänischer Staat hier nicht leer ausgehen.“
Das Gesetz sieht unter anderem eine progressive Besteuerung der Erdgaseinnahmen vor, die bis zu 50 Prozent des Gewinns betragen kann. Die potenziellen Investoren – der US-Konzern Exxon Mobile und der österreichisch-rumänische Konzern OMV-Petrom – zeigten sich verärgert, auch weil die Auflagen völlig unerwartet und ohne große Parlamentsdebatte beschlossen wurden. Noch ist das Gesetz nicht in Kraft, der Präsident könnte es zur Überarbeitung ans Parlament zurückschicken.
Vertreter von Politik und Wirtschaft sehen das Ziel einer von Russland unabhängigeren europäischen Energiepolitik zunehmend gefährdet. So erklärte die Bukarester Energie-Expertin Otilia Nutu dem Deutschlandfunk: „Unsere unkalkulierbare Politik spielt Russland in die Hände. Was, wenn sich die Investoren in letzter Minute gegen das Projekt entscheiden? Möglicherweise kann sich Moskau einfach darauf verlassen, dass wir aus Dummheit oder wegen Korruption die Investition gegen die Wand fahren lassen.“