Düsseldorf: 20.000 demonstrieren gegen Polizeistaat

Am vergangenen Samstag zogen 20.000 Arbeiter und Jugendliche vom Düsseldorfer Hauptbahnhof zum nordrhein-westfälischen Landtag, um gegen das von der Landesregierung geplante neue Polizeigesetz zu demonstrieren. Der Protestzug richtete sich gegen drastische Einschnitte in grundlegende demokratische Rechte. Mit der Novelle des Polizeigesetzes hebelt die Landesregierung von CDU und FDP persönliche Freiheitsrechte wie das Selbstbestimmungsrecht über eigene Daten, das Recht auf Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit und das Streik- und Versammlungsrecht aus und öffnet polizeilicher Willkür Tür und Tor.

Der bunte Protestzug war von rund 200 Gruppen und Einzelpersonen organisiert worden, darunter auch Fangruppierungen von verschiedenen Fußballvereinen. Auf den vielen selbst gebastelten Plakaten und Bannern brachten Teilnehmer ihre Beunruhigung zum Ausdruck, dass Polizeistaatsmaßnahmen eines diktatorischen Staates eingeführt werden, die an die dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte erinnern.

So trugen beispielsweise zwei Teilnehmer ein Bild von Sophie Scholl mit der Überschrift „Habt ihr schon vergessen?“ Sophie Scholl war eine Widerstandskämpferin gegen das Nazi-Regime und wurde dafür hingerichtet. Andere Plakate erinnerten an die Dystopie eines totalitären Überwachungsstaates „1984“ von George Orwell und schrieben „1984 sollte eine Warnung sein, keine Gebrauchsanleitung“.

Zu den Mitorganisatoren des Protestzuges gehört auch das Bündnis „Seebrücke“, das als Reaktion auf die von den europäischen Behörden im Mittelmeer erzwungene Irrfahrt des Rettungsschiffes „Lifeline“ mit 234 Flüchtlingen an Bord gegründet worden ist. Zahlreiche Teilnehmer machten auf das Massensterben im Mittelmeer aufmerksam, wo europäische Polizeibehörden die Retter von in Seenot geratenen Flüchtlingen kriminalisieren und deren Schiffe beschlagnahmen. Mit der Internierung von Flüchtlingen in Lagern und der menschenrechtswidrigen Zurückweisung von geretteten Flüchtlingen, existieren auch auf Druck der deutschen Bundesregierung bereits in Europa rechtsfreie Räume, die als Vorbild für die neuen Polizeigesetze dienen.

Der Protestzug wäre dabei beinahe selbst zum Opfer polizeilicher Willkür geworden. Die Düsseldorfer Polizeibehörde wollte ihn nur unter strengen Auflagen genehmigen. Es sollten nur zwei Lautsprecherwagen am Anfang und am Ende des Zuges erlaubt werden, auch Überkopf-Transparente sollten verboten werden. In dem Auflagenbescheid der Polizei wurde als Begründung für diese drastischen Einschnitte in die Versammlungsfreiheit angegeben, dass der Protest gegen Polizeiwillkür und Polizeistaatsmaßnahmen „eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit sich“ bringt, „da diese als Protest gegen vermeintliche Polizeigewalt bzw. Polizeihoheit genutzt werden könnte“. Mit anderen Worten wird Kritik an Polizei und Staatsgewalt als Gefahr der öffentlichen Sicherheit und Ordnung betrachtet, weshalb Grundrechte polizeilich eingeschränkt oder entzogen werden. Erst durch einen Eilantrag beim Oberverwaltungsgericht Münster konnten die Auflagen weitgehend entschärft werden.

Cedric und Patrick sind für die Demonstration aus Gelsenkirchen nach Düsseldorf gekommen, weil sie „nicht zulassen wollen, dass unsere Grundrechte noch mehr eingeschränkt werden, als sie ohnehin schon sind. Die Kriminalitätsrate ist in Deutschland und NRW zurückgegangen. Da macht so ein Gesetz doch gar keinen Sinn.“ Das Polizeigesetz diene „nur dazu, uns noch mehr unter Kontrolle zu haben. Wir sollen ständig in der Angst leben, bloß nichts Falsches zu tun und uns in die Gesellschaft so wie ist einfügen und bloß nichts anderes tun oder denken.“ Weiter sagten sie: „Das Problem ist, auf uns wird nicht mehr gehört, unsere Bedürfnisse werden von der Politik nicht mehr geachtet.“

Die Demonstration war von einem offensichtlichem Widerspruch geprägt. Während viele Teilnehmer ihre tiefe Besorgnis über die Entwicklungen hin zu einem autoritären Staat zum Ausdruck brachten, wurde die Demonstration von Parteien mitorganisiert, die selbst die Staatsaufrüstung vorantreiben. Zur Demonstration aufgerufen hatten unter anderem auch die Nordrhein-westfälischen Landesverbände der Grünen und der Linkspartei sowie die Jugendorganisation der SPD (Jusos).

Während Vertreter dieser Parteien in Reden auf der Auftakt- und Abschlusskundgebung ihre Solidarität mit den Demonstranten heuchelten, arbeiten Linkspartei, SPD und Grüne in anderen Bundesländern selbst ähnlich weitgehende Polizeigesetze aus. Die von den Grünen geführte Regierung in Baden-Württemberg hat bereits im November 2017 das Polizeigesetz verschärft und u.a. Aufenthalts- und Kontaktverbote und den Einsatz elektronischer Fußfesseln für sogenannte „Gefährder“ eingeführt. Auch in Brandenburg, wo SPD und Linkspartei die Regierung bilden, ist ein schärferes Polizeigesetzes geplant, das den Einsatz von elektronischen Fußfesseln sowie die flächenmäßige Videoüberwachung vorsieht.

Die Landesregierung in Düsseldorf hatte ursprünglich geplant, die Änderung des Polizeigesetzes noch vor der Sommerpause durchs Landesparlament zu peitschen. Doch bei einer Expertenanhörung im Innenausschuss des Landtags äußerten selbst die bestellten Rechtsexperten ernste Bedenken, dass der Gesetzesentwurf gegen die Verfassung verstoße und möglicherweise vom Bundesverfassungsgericht gekippt werden könnte.

Innenminister Herbert Reul (CDU) verkündete daraufhin, den Gesetzestext noch einmal zu überarbeiten und erst im September in den Landtag einzubringen. In einem Interview mit der Kölnischen Rundschau Ende Juni stellte er aber bereits klar, dass die Eckpunkte des Gesetzes bestehen blieben und nur „kosmetische“ Änderungen in Betracht kämen.

Kern des neuen Polizeigesetzes ist der Paragraf 8. In ihm wird der Rechtsbegriff einer „drohenden Gefahr“ eingeführt, die so weit ausgedehnt wird, dass unter dem Deckmantel einer angeblichen Vorbereitung einer „Straftat von erheblicher Bedeutung“, die Polizei schon weit im Vorfeld einer tatsächlichen Tat Eingriffsbefugnisse in die persönliche Freiheit jedes Einzelnen bekommt. Gleichzeitig wird die „drohende terroristische Gefahr“ so breit ausgelegt, dass darunter auch politische Proteste gegen den Staat und die herrschende Elite fallen, was der Polizei ausdrücklich die Gesinnungsschnüffelei erlaubt.

Das Gesetz ermöglicht es der Polizei, geheimdienstlich tätig zu werden, und alle Daten über Personen zu sammeln, derer sie habhaft werden kann. Ein vager Verdacht der Polizei oder eines Informanten genügt dann, um eine richterliche Bestätigung einzuholen, mit der Telefongespräche, Chat- und Internetverläufe abgehört, aufgezeichnet und gespeichert werden können. Dazu wird der Polizei nicht nur die Nutzung eines so genannten „Staatstrojaners“ erlaubt, sondern Internet- und Mobilfunkprovider sollen aktiv Systemschwachstellen benennen, um der Polizei ihre geheimdienstliche Schnüffelei zu erleichtern.

Personen, die als „Gefährder“ eingestuft werden, dürfen nach dem Willen der Landesregierung bis zu 30 Tage in „Unterbindungsgewahrsam“ genommen werden, ohne dass ihnen eine konkrete Straftat vorgeworfen werden muss. Welch reaktionärem, rassistischem Gedankengut das neue Polizeigesetz entspringt, wird dadurch deutlich, dass die Landesregierung die Unschuldsvermutung aushebelt und als „Gefährder“ vor allem Migranten betrachtet. Die 30-Tage-Frist für den Unterbindungsgewahrsam brachte der Minister für Familie, Kinder, Flüchtlinge und Integration Joachim Stamp (FDP) mit den Worten ins Spiel, „man müsse Gefährder 30 Tage wegsperren, um sie danach abschieben zu können“.

Reul droht sogar damit, den Gesetzestext noch zu verschärfen, indem eine „Unendlichkeitshaft“ nach Vorbild des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes eingeführt wird, ohne dass eine konkrete Straftat begangen worden sein muss. Im Nazi-Regime nannte man diese Form des Wegsperrens ohne Anklage und Gerichtsurteil „Schutzhaft“.

Neben dem Unterbindungsgewahrsam sieht das neue Polizeigesetz auch die massive Ausweitung von Aufenthaltsverboten und Aufenthaltsgeboten vor. So sollen Personen von denen laut Polizei eine „drohende Gefahr“ ausgeht, mittels einer elektronischen Fußfessel überwacht werden. Nahezu willkürlich kann die Polizei dadurch Menschen zwingen, einen bestimmten Ort nicht mehr zu verlassen. Das widerspricht nicht nur dem Recht auf Fortbewegungsfreiheit, sondern ist auch ein massiver Angriff auf die Privatsphäre, da die Bewegungsprofile der betroffenen Personen gespeichert werden.

Außerdem soll die Polizei ermächtigt werden, mittels der „strategischen Fahndung“ ohne hinreichenden Grund verdachtsunabhängige Kontrollen im großen Stil durchzuführen. Das ermöglicht nicht nur das sogenannte „racial profiling“, also diskriminierende Polizeikontrollen alleine aufgrund der Hautfarbe, sondern auch die Schaffung eines engen Überwachungsnetzes über die ganze Bevölkerung.

Schließlich soll die Polizei mit Elektroschockpistolen oder Tasern bewaffnet werden. Da Taser von der Polizei und Regierung als „nicht tödliche Waffe“ eingestuft werden, ist die Hemmschwelle zum Einsatz dieser Waffe niedriger als bei Schusswaffen. Er ist aber oft tödlich. Allein in den USA sind in den letzten 15 Jahren mehr als 800 Menschen infolge eines Taserseinsatzes durch Polizisten zu Tode gekommen. Die meisten Opfer waren unbewaffnet und stellten keine unmittelbare Drohung dar.

Die Hochrüstung der Sicherheitskräfte und die gravierende Ausweitung der Polizeibefugnisse haben mitnichten die Bekämpfung von Alltagskriminalität zum Ziel, zu diesem Zweck sind die neuen Polizeigesetze auch nicht geschaffen worden. In Wirklichkeit dient der Aufbau eines regelrechten Polizeistaats in Deutschland dazu, die große Opposition unter Arbeitern und Jugendlichen gegen soziale Ungleichheit, Militarismus und Krieg zu kontrollieren und notfalls brutal zu unterdrücken.

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