Tragischer Mord wird für rechte Hetze missbraucht

Der Umgang von Medien und Politikern mit dem tragischen Tod der 14-jährigen Susanna Feldmann aus Mainz erinnert an die schlimmste Nazi-Propaganda. Seitdem es einen irakischen Verdächtigen gibt, wird der Fall systematisch für eine üble, rassistische und fremdenfeindliche Kampagne ausgeschlachtet.

Das Mädchen wurde am Mittwoch tot aufgefunden, von einem Unbekannten vergewaltigt und erdrosselt. Seitdem bekannt geworden ist, dass der bisher einzige Tatverdächtige ein 20-jähriger Flüchtling aus dem Irak ist, überschlagen sich die Medien in Schuldzuweisungen an „kriminelle Ausländer“ und Forderungen nach mehr und schnellerer Abschiebung. Die Verantwortung für die Tat wird kollektiv „den Flüchtlingen“ und allen Migranten in die Schuhe geschoben. „Deutschland ist schockiert“, schreibt die Bild-Zeitung.

Obwohl das Verbrechen bisher alles andere als aufgeklärt ist, haben viele Journalisten sehr rasch und in Missachtung der Unschuldsvermutung vom „Täter“ gesprochen, nicht etwa vom „mutmaßlichen Täter“ oder vom „Tatverdächtigen“. Auch Journalisten, die normalerweise als seriös gelten, beteiligen sich an der Hetze. Claus Kleber, Moderator des Heute-Journals, eröffnete seinen Bericht am Donnerstagabend mit dem Ausruf: „Wären die Grenzen doch zu geblieben!“ Die Sendung widmete dem Fall gleich zu Anfang mehr als zehn Minuten ihrer Zeit. Kein Vergleich mit üblichen Mord- und Verbrechensfällen, bei denen Tatverdächtige einen deutschen Pass besitzen.

Beschuldigt wird Ali Bashar, ein 20-Jähriger aus dem Irak. Ein 13-jähriger Junge, der in der gleichen Flüchtlingsunterkunft wie Ali lebt, hat ihn angezeigt. Ein weiterer Tatverdächtiger, ein 35-jähriger Mann aus der Türkei, wurde wieder freigelassen: Er war grundlos beschuldigt worden. Auch gegen Ali Bashar liegt bisher nur die Aussage des Dreizehnjährigen vor. Wie am Freitag bekannt wurde, haben kurdische Sicherheitskräfte Ali Bashar, der Deutschland mit seiner Familie verlassen hatte, auf Antrag der Bundespolizei im Irak festgenommen.

Das Thema wird breit ausgewalzt. Es reiht sich in die allgemeine Hetzkampagne gegen Flüchtlinge ein. Zuvor gab es schon die „Kölner Silvesternacht“, „Ellwangen“ oder die angeblichen „Missstände im Bremer Bamf“ – alles Propagandakampagnen, die sich auf unbewiesene Behauptungen, Halbwahrheiten und offene Lügen stützen.

An diesem üblen Feldzug beteiligen sich alle Bundestagsparteien und die Mainstream-Medien. Er zielt offensichtlich darauf ab, die arbeitende Bevölkerung zu spalten, von Missständen und sozialen Problemen abzulenken und die Verantwortung dafür auf Immigranten und Flüchtlinge abzuwälzen. Auf allerbilligste Weise wird Stimmung gemacht für massenhafte Abschiebungen und für den Aufbau der sogenannten AnKER-Zentren der Regierung.

Breite Bevölkerungsschichten haben die Flüchtlinge in den letzten Jahren mit Sympathie und Mitleid aufgenommen. Sie stehen der außenpolitischen Wende von Regierung und Parteien nach wie vor äußerst skeptisch gegenüber, nicht zuletzt deshalb, weil die Kriege und Zerstörungen in Afghanistan, in Libyen und im Nahen Osten die Ursache sind, warum Millionen Menschen fliehen müssen.

Die überwältigende Ablehnung von Krieg und Rassismus und die nach wie vor vorherrschende Solidarität mit Geflüchteten sind den Herrschenden ein Dorn im Auge. So richtet sich ihre Kampagne nicht nur gegen Eingewanderte, sondern auch gegen all diejenigen, die ihnen Schutz und Hilfe bieten. Das zeigt sich besonders an der ständigen Propaganda gegen „unrechtmäßige Vorgänge“ im Bremer Bamf, die es auf Flüchtlingshelfer, Rechtsanwälte, Übersetzer und unvoreingenommene Beamte abgesehen hat. Seit Wochen wird die Öffentlichkeit diesbezüglich mit verlogenen Stereotypen überschwemmt.

Die Hetzkampagne in Politik und Medien hat bereits dazu geführt, dass die Hilfsbereitschaft für Geflüchtete zurückgeht. Einen „enormen Spendeneinbruch“ beklagt der Flüchtlingsrat Berlin in einem Aufruf, in dem es heißt: „Wir verzeichnen seit Beginn des Jahres 86% weniger Spenden als im Vorjahr.“ Weiter heißt es dort: „[N]ie zuvor in der 37-jährigen Geschichte des Berliner Flüchtlingsrats wurden Geflüchtete und ihre Unterstützer*innen durch Politiker*innen und Medien so diffamiert und kriminalisiert wie zur Zeit.“

Die jüngste Kampagne weckt ungute Erinnerungen an die Propagandamethoden der Nazis. Wie der Autor Victor Klemperer in seinem Werk „Lingua Tertii Imperii [Sprache des Dritten Reichs]“ nachgewiesen hat, gelang es den Nationalsozialisten, Menschen durch die stereotype Wiederholung der immer gleichen Begriffe und Floskeln zu beeinflussen. Solche Begriffe lauteten damals: „Rassenschande“ oder „jüdisch-bolschewistische Verschwörung“. Heute lauten sie: „Ausländerkriminalität“, „Riesenskandal im Bamf“, „islamistische Gefährder“, „Identitätsverweigerer“ oder Abschiebung.

Im März 2017 hat der Presserat, das Organ der freiwilligen Selbstkontrolle der deutschen Medien, seinen Pressekodex geändert und die Regeln neu gefasst, nach denen Journalisten die Herkunft von Straftätern behandeln sollen. Bis dahin besagte die gültige Regel, dass es „unwichtig“ sei, ob ein Täter „zu einer religiösen, ethnischen oder anderen Minderheit“ gehöre. Es gab nur eine Ausnahme: Die Zugehörigkeit sollte dann erwähnt werden, wenn „für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug“ bestehe. Hinzugefügt wurde ausdrücklich die Warnung: „Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“

Die neue Regel besagt, dass das „öffentliche Interesse“ ausschlaggebend dafür sei, ob die Zugehörigkeit von Tätern oder Tatverdächtigen genannt werde. Die Problematik dieser neuen Regel stößt heute vielen Wissenschaftlern und Journalisten übel auf. In einem offenen Brief haben sie sich an den Presserat gewandt, weil sie befürchten, dass die Medien auf diese Weise Vorurteile verstärken könnten. Das „öffentliche Interesse“, heißt es dort, werde oftmals „durch Vorurteile hergestellt“, welche durch die Berichterstattung der Medien erst entstanden seien. „Das sollte man vermeiden.“

Zahlreiche Studien haben nachgewiesen, dass Flüchtlinge keineswegs krimineller sind als die deutsche Bevölkerung. Hinzu kommt, dass die Polizei ausländische Jugendliche von vorneherein eher als Tatverdächtigte bei einer Straftat in Betracht zieht, und sie werden von möglichen Opfern nachweislich auch öfter angezeigt.

Klar ist auch, dass sehr viele Geflüchtete einer extremen Situation ausgesetzt sind. Dazu gehört das Gefangensein in dichtgedrängten Massenlagern unter lauter Fremden, getrennt von der eigenen Familie, ohne Zukunft und mit bedrohtem Aufenthaltsstatus, ohne Hoffnung infolge abgelehnter Asylanträge und ohne Mittel, aus eigener Kraft etwas daran zu ändern. Verzweiflung kann begreiflicherweise auch Gewalttaten, sowohl gegen andere als auch gegen sich selbst, begünstigen. Der Tatverdächtige Ali Bashar war im Oktober 2015 mit seiner Familie aus dem Nordirak in die BRD gekommen. Der Zwanzigjährige hatte im Land seiner Herkunft sein ganzes Leben lang nichts als Krieg erlebt, und in Deutschland wurde sein Asylantrag abgelehnt.

All diese Aspekte werden kaum je von einem Journalisten aufgegriffen und erläutert. Ausgeblendet wird außerdem auch die Tatsache, dass Asylsuchende und Migranten viel öfter Opfer von Gewalttaten werden als andere. Im letzten Jahr gab es 1713 offiziell bestätigte Gewalttaten gegen Geflüchtete, wie Pro Asyl berichtet hat, das sind im Schnitt 4,7 Gewalttaten an jedem Tag.

Fast täglich verschärft die Bundesregierung ihre Flüchtlingspolitik aufs Neue.

Erst am Mittwoch hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) anlässlich ihrer ersten Regierungsbefragung im Bundestag bekanntgegeben, dass der Abschiebestopp nach Afghanistan aufgehoben sei. Seit einem Jahr wurden dorthin offiziell nur Straftäter und Menschen abgeschoben, die bei ihrer Identitätsfeststellung nicht mitgewirkt hätten – was in Wirklichkeit selbst schon ein Vorwand war. Seit dem offiziellen Abschiebestopp wurden 234 Männer nach Afghanistan abgeschoben. Seither hat sich die Sicherheitslage dort noch einmal verschlechtert, und Dutzende Menschen fielen neuen Anschlägen zum Opfer. Doch die Kanzlerin stellte einfach fest: „Aus unserer Sicht sind die Einschränkungen entfallen.“

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