Nach den Luftangriffen der USA, Frankreichs und Großbritanniens auf Syrien drängten die Außenminister der Europäischen Union am Montag auf eine „politische Lösung“. Sie wollen durch Druck auf Russland und Iran das erreichen, was ihnen mithilfe der inzwischen weitgehend besiegten islamitischen Milizen nicht gelungen ist – einen Regimewechsel in Damaskus.
Obwohl der Angriff auf Syrien eindeutig völkerrechtswidrig war, stellte sich das Außenministertreffen in Luxemburg ausdrücklich hinter ihn. Der Rat ist „der Auffassung, dass es sich bei den gezielten Luftangriffen der Vereinigten Staaten, Frankreichs und des Vereinigten Königreichs auf Produktionsstätten für chemische Waffen in Syrien um besondere Maßnahmen handelte, die einzig und allein unternommen wurden, um zu verhindern, dass das syrische Regime weiter chemische Waffen und chemische Stoffe als Waffen gegen seine eigene Bevölkerung einsetzt“, heißt es in einer einstimmig verabschiedeten Resolution. „Der Rat unterstützt alle Anstrengungen, die darauf ausgerichtet sind, den Einsatz chemischer Waffen zu verhindern.“
Der deutsche Außenminister Heiko Maas sagte während des Gipfels, alle, die Einfluss in der Region hätten, sollten an einer politischen Lösung beteiligt werden, nicht jedoch die syrische Regierung. Wer Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung einsetze, könne nicht Teil der Lösung sein.
Weil eine Lösung unter dem Dach der UNO wegen der Blockade Russlands nicht funktioniert habe, suche man jetzt nach einem anderen Format, ergänzte Maas. Eine Befriedung Syriens ohne Einbeziehung Moskaus werde aber nicht möglich sein.
Ähnlich äußerte sich Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Er ließ zwar die Möglichkeit einer Übergangsfrist offen, betonte aber: „Eine langfristige Lösung in Syrien ist also nach unserer Vorstellung nur ohne Assad vorstellbar.“
Der französische Präsident Emmanuel Macron bot sich in mehreren französischen Medien als Vermittler einer neuen diplomatischen Initiative gegenüber Russland und der Türkei an. Frankreich habe die Aufgabe, „mit allen zu sprechen“, sagte er.
Macron brüstete sich, die perfekt ausgeführten Militärschläge seien ein voller Erfolg. Er behauptete, er habe US-Präsident Donald Trump überzeugt, die amerikanischen Truppen nicht wie angekündigt aus Syrien abzuziehen und die Angriffe auf Chemiewaffeneinrichtungen zu beschränken.
Die Kalkulationen von Paris und Berlin sind klar. Sie rechnen damit, dass der russische Präsident Putin, der mehrmals Kompromissbereitschaft angedeutet hat und wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten als Folge verschärfter US-Sanktionen unter Druck steht, nachgeben wird.
Doch unabhängig davon, wie Moskau reagieren wird, kann dies nur ein Schritt zu einer weiteren militärischen Eskalation des Syrienkonflikts sein. Führende Vertreter der amerikanischen herrschenden Klasse, auch Gegner Trumps, haben wiederholt zu erkennen gegeben, dass sie nicht nachlassen werden, bis sie ihre Vorherrschaft über den Nahen und Mittleren Osten wieder hergestellt haben, wo sie seit 25 Jahren Krieg führen.
Auch die ehemalige Kolonialmacht Frankreich und Deutschland verfolgen in der Region handfeste imperialistische Interessen. Der angebliche Giftgaseinsatz in Douma, für den es keine belastbaren Beweise gibt, diente als gezielte Provokation, um den Krieg zu eskalieren.
Auch der frühere deutsche Außenminister Sigmar Gabriel, der als USA-kritischer und Russland-freundlicher als sein Nachfolger Maas gilt, hat sich in den vergangenen Tagen in Artikeln und öffentlichen Auftritten für eine schärfere Gangart im Syrienkonflikt eingesetzt.
In einem Beitrag für den Tagesspiegel lobte der sozialdemokratische Politiker ausdrücklich die jüngsten Luftangriffe. Es bleibe „richtig und notwendig“, schreibt er, „dem Assad-Regime und damit allen anderen ähnlich strukturierten Herrschaftssystemen und Militärs zu zeigen: wir werden nicht wegsehen und auch nicht tatenlos zusehen.“
Gabriel beklagt das Fehlen „einer Syrien-Strategie des Westens“ und macht deutlich, dass er darunter ein härteres militärisches Eingreifen versteht. „Schon zu Beginn des Konflikts“, klagt er, „war der gesamte Westen – Deutschland und Europa eingeschlossen – nicht bereit, wenigstens eine Flugverbotszone gegen die syrische Armee durchzusetzen“. Eine „Flugverbotszone“ hatte 2011 dazu gedient, das libysche Regime von Muammar al-Gaddafi zu stürzen, das Land in den Bürgerkrieg zu treiben und zu unterjochen. Nun beschwert sich Gabriel, dass mit Syrien nicht dasselbe geschah.
Jetzt, fährt er fort, habe Europa die Folgen zu tragen. „Als wir gebraucht wurden, waren wir nicht da. Und heute, in der Welt der Fleischfresser, sind wir als Vegetarier schlicht uninteressant. Wir stehen am Spielfeldrand des Konflikts, weil die Strategie ‚Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass‘ am Ende nur dazu geführt hat, dass wir Europäer die Konsequenzen des Bürgerkriegs zu tragen haben, … aber keinerlei Einfluss auf den Verlauf des Konflikts. Deutschland am allerwenigsten, denn Donald Trump konsultierte sein Vorgehen zwar mit den Präsidenten der Türkei und Frankreichs sowie mit der britischen Premierministerin, aber nicht mit der deutschen Bundesregierung.“
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Gabriel, der als Außenminister unermüdlich für ein aggressiveres Verfolgen deutscher Großmachtinteressen eingetreten war, versteht sehr genau, wovon er spricht. Er zählt zu den Erstunterzeichnern eines Aufrufs der Carl Friedrich von Weizsäcker-Stiftung, die an „die Mächtigen dieser Welt“ appelliert, „in gemeinsam angewandter Vernunft neue Wege aus der Gefahr zu suchen“.
Sie warnt unverhohlen vor der Gefahr eines nuklearen Weltkriegs. Es zeichne sich „eine Ära zunehmender politischer Spannungen und militärischer Konfrontationen zwischen den Großmächten ab, mit der Wiederkehr eines Wettrüstens“, heißt es darin. Unter Nutzung konventioneller wie nuklearer Technologien führe die innere Dynamik dieses Rüstens „immer näher an jenen ‚Point of no Return‘ heran, den zu überschreiten niemand wirklich wagen oder wollen kann.“
„Keiner der strukturellen Gründe, die zum Ersten Weltkrieg geführt haben, ist wirklich überwunden“, heißt es in dem Aufruf weiter. Ein bemerkenswertes Eingeständnis, denn was waren diese strukturellen Gründe? Der Übergang des Kapitalismus in sein imperialistisches Stadium, die Herausbildung von Monopolen, die Dominanz des Finanz- über das Industriekapital und der daraus resultierende Kampf zwischen den Großmächten um die Neuaufteilung der Welt.
Die Behauptung, die Kriegsgefahr könne durch „gemeinsam angewandte Vernunft“ gebannt werden, ist natürlich absurd. Das zeigt nicht nur die Erfahrung des Ersten und Zweiten Weltkriegs, sondern auch ein Blick auf die Erstunterzeichner des Aufrufs, unter denen sich, neben einigen Künstlern und Wissenschaftlern, zahlreiche Schlüsselfiguren des militärischen und außenpolitischen Establishments befinden.
Initiiert wurde er vom früheren Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzenden des Nato-Militärausschusses Harald Kujat. Unterschrieben haben unter anderen der frühere Innenminister Otto Schily (SPD), der Chefredakteur des Militärjournals The European – Security and Defence Union Hartmut Bühl, der rechtsextreme Historiker Jörg Baberowski und mehrere führende Vertreter der Wirtschaft, wie der ehemalige Vorstandsvorsitzende der „BMW Stiftung Herbert Quandt“ Jürgen Chrobog.
Diesen Leuten geht es, wie Gabriel in seinen Auftritten immer wieder deutlich macht, nicht darum, einen Krieg zu verhindern, sondern militärisch aufzurüsten und Deutschland – wie es vor dem Ersten Weltkrieg hieß – einen „Platz an der Sonne“ zu sichern.
„Ein schwaches Europa“, schreibt Gabriel im Tagesspiegel, „wird von niemandem respektiert. Nicht von den Starken – USA, Russland, China – und nicht von den Schwachen – zum Beispiel vielen afrikanischen Nationen. Europa wird seine Stellung in der Welt, seine Wertvorstellungen und seine Interessen nur durchsetzen können, wenn wir mehr als bisher auch in sehr unbequemen und risikoreichen Situation wie denen in Syrien zusammenstehen.“