Nach dem Einzug der AfD in den Bundestag und der Neuauflage der Großen Koalition wagen sich rechtsradikale Akademiker aus der Deckung. Einen Tag nach der Vereidigung der neuen Bundesregierung erschien am 15. März die sogenannte „Gemeinsame Erklärung“, die seither von über 2000 „Autoren, Publizisten, Künstlern, Wissenschaftlern und anderen Akademikern“ unterzeichnet wurde, darunter mehreren hundert Professoren, Doktoren, Rechtsanwälten und Ärzten.
Die Erklärung, die nur aus zwei Sätzen besteht, ist eine Solidaritätsbekundung für Pegida und die ausländerfeindliche Rechte. Sie wendet sich gegen „illegale Masseneinwanderung“ und solidarisiert sich mit Demonstrationen, die dafür eintreten, „dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird“. Über dem Text prangt ein Bild des sogenannten „Frauenmarsches“, der im Februar durch Berlin zog und von der AfD-Politikerin Leyla Bilge angemeldet worden war. Auf dem Marsch fanden sich wenig Frauen und dafür umso mehr kahlköpfige junge Männer, die Deutschlandfahnen trugen und ausländerfeindliche Parolen brüllten.
Initiatorin der Erklärung ist die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin und CDU-Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld, die inzwischen im Umfeld der AfD agiert. Unter den 35 Erstunterzeichnern finden sich zahlreiche Namen, die schon in den letzten Jahren eine zentrale Rolle bei der Rehabilitierung rechtsradikalen Gedankenguts spielten: Thilo Sarrazin, Autor des rassistischen Buchs „Deutschland schafft sich ab“; Henryk M. Broder, Mitbetreiber des Blogs „Achse des Guten“; Michael Klonovsky, persönlicher Referent von AfD-Fraktionschef Alexander Gauland; Dieter Stein, Gründer und Geschäftsführer der rechtsextremen Zeitung Junge Freiheit; Karlheinz Weißmann, führender Ideologe der Neuen Rechten; Uwe Tellkamp, Schriftsteller; Eva Herman, ehemalige Fernsehmoderatorin; und Matthias Mattussek, ehemaliger Spiegel-Redakteur.
Die Personen, die sich der „Gemeinsamen Erklärung“ angeschlossen haben, reichen vom rechten Rand der SPD und der Union bis tief in den braunen Sumpf hinein. Sie bilden, so der NDR, „eine erstaunliche Allianz bürgerlicher und nationaler Konservativer und neurechter Verschwörungstheoretiker“. Unter anderen finden sich der Ideologe der Identitären Bewegung, Martin Lichtmesz, und der AfD-Wahlkampfberater Thor Kunkel auf der Unterschriftenliste. Eine derart breite Solidarisierung mit ultrarechten Positionen gab es seit dem Ende des Nazi-Regimes nicht mehr.
Die „Gemeinsame Erklärung“ wäre trotzdem eine Randnotiz geblieben, wenn ihr die Medien nicht große Publizität verschafft hätten. Von der ARD, die ihr am Ostersonntag in den Tagesthemen einen langen Beitrag widmete, über zahlreiche Rundfunkkanäle und Zeitungen wurde der rechtsextreme Aufruf als ernsthafter Beitrag zur politischen Debatte gewürdigt. Eine zentrale Rolle spielte dabei Die Zeit. Sie widmete der Erklärung am 22. März ihr Titel-Thema, „Was ist heute konservativ?“, und insgesamt fünf Artikel, die sich über drei volle Seiten erstreckten. Darin rechtfertigte die liberale, der SPD nahstehende Wochenzeitung die rechtsradikale Erklärung.
Baberowskis Rolle
Als erstes weist Die Zeit nach, dass die „Gemeinsame Erklärung“ nicht spontan entstanden ist, sondern eine lange Vorgeschichte hat, die mindestens drei Jahre zurückreicht. Der Kreis der Erstunterzeichner sei „sich bestens vertraut“, berichtet die Wochenzeitung. Viele zählten „zu den Teilnehmern einer fernab der Öffentlichkeit agierenden Gesprächsrunde, eines Debattenkreises, der sich zweimal jährlich in Berlin trifft, immer mit mindestens 30, oft aber deutlich mehr Teilnehmern“. Man treffe sich „mal in der Bibliothek des Konservatismus in Westberlin, dann wieder in der Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus im Osten der Stadt“ jeweils zu einem Impulsvortrag, einem Gedankenaustausch und einem Essen.
Als Initiator dieser Runde macht Die Zeit Jörg Baberowski aus, Inhaber des Lehrstuhls Geschichte Osteuropas an der Berliner Humboldt-Universität. Sie sei entstanden, nachdem Baberowski 2015 mit einem in der F.A.Z. veröffentlichten Angriff auf Flüchtlinge Aufsehen erregt hatte. „Die, die sich damals mit ihm solidarisierten, waren die Ersten, unter denen die Idee zu regelmäßigen Treffen geboren wurde.“
Für langjährige Leser der World Socialist Web Site schließt sich hier der Kreis. Die WSWS, die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) und ihre Jugend- und Studentenorganisation IYSSE sind heftig denunziert worden, weil sie Baberowskis Relativierung von Nazi-Verbrechen und seiner Flüchtlingshetze entgegentraten. Baberowski hatte unter anderem den Nazi-Apologeten Ernst Nolte verteidigt, im Spiegel erklärt, Hitler sei nicht grausam gewesen, und behauptet, der Vernichtungskrieg im Osten sei den Nazis durch die Kriegsführung der Roten Armee aufgezwungen worden.
Bekannte Blätter wie die F.A.Z., die Welt und Cicero denunzierten deshalb die IYSSE auf übelste Weise. Auch die Süddeutsche Zeitung, Die Zeit und der Spiegel unterstützten diese Kampagne. Selbst als sich zahlreiche Studierendenvertretungen der Kritik an Baberowski anschlossen und dieser vor Gericht mit dem Versuch scheiterte, seinen Kritiker zu verbieten, ihn als Rechtsradikalen und Geschichtsfälscher zu bezeichnen, stellte sich das Präsidium der Humboldt-Universität in einer Stellungnahme hinter den rechtsradikalen Professor und erklärte Kritik an ihm für „inakzeptabel“.
Nun stellt sich heraus, dass Baberowski während dieser Zeit längst dabei war, ein rechtsradikales Netzwerk aufzubauen, das nun mit einer kaum verhüllten Solidaritätserklärung für die AfD und Pegida an die Öffentlichkeit tritt. Zu den Teilnehmern seines „Gesprächskreises“ gehörten laut Zeit unter anderen Thilo Sarrazin, der einen der Impulsvorträge hielt, der Armin-Mohler-Schüler und rechtsextreme Ideologe Karlheinz Weißmann und mehrere weitere Erstunterzeichner der „Gemeinsamen Erklärung“. Baberowski hat selbst nicht unterschrieben, weil er fürchtet, der Kreis breche zusammen, falls er zu viel Publizität erhält. Viele Teilnehmer hätten dann Angst, „diskreditiert“ zu werden, sagte er der Zeit.
Man kann davon ausgehen, dass viele der Journalisten und Akademiker, die Baberowski gegen die Kritik der IYSSE verteidigten, über dessen rechtsradikalen Arbeitskreis Bescheid wussten, der in einschlägigen Kreisen bekannt war. Dass sie Baberowski dennoch unterstützten, bedeutet, dass sie dessen rechtsradikalen Standpunkte entweder teilen oder rechtfertigen.
Die Zeit verteidigt rechtsradikales Netzwerk
Das ist auch die Haltung der Zeit. Nachdem sie bereits im April einen langen Bericht von Mariam Lau über Baberowski veröffentlicht hatte, der seine rechtsradikalen Standpunkte rechtfertigt, wird nun der Bericht über Baberowskis Gesprächskreis von Beiträgen umrahmt, die die Argumente der Ultrachrechten nachkauen.
Am deutlichsten tut dies Ulrich Greiner, der seit 38 Jahren für Die Zeit schreibt, als Gastprofessor gelehrt hat und zweimal der Jury für den Leipziger Buchpreis vorsaß. Unter dem Titel „Zweierlei Maß“ beklagt er, dass „in der Medienöffentlichkeit noch immer eine Grundsympathie für alles Linke“ herrsche, „während das Rechte, das gerne auch populistisch oder reaktionär genannt wird, sofort Abwehrreflexe auslöst“.
Es genüge, „jemandem nachzusagen, er stehe der AfD nahe oder er rede wie die Pegida-Leute, schon ist der Fall erledigt“, beschwert sich Greiner. Das Rechte sei „das ein für alle Mal Böse, während das Linke, ungeachtet aller fürchterlichen historischen Erfahrungen, immer noch als respektabel gilt“.
Greiner hat im letzten Jahr das Buch „Bekenntnisse eines Konservativen“ veröffentlicht, in dem er fordert, die „deutsche Identität“ zur Leitkultur zu erheben und die „Moralisierung der Politik“ zu beenden. Nun verlangt er nicht nur das Recht, solche Positionen in Zeitungen, Talkshows und Interviews zu verbreiten, er will auch Kritik daran verbieten und als Angriff auf die Meinungsfreiheit umdeuten. Die Meinungsfreiheit schließe die Pflicht ein, „die Argumente auf ihre Triftigkeit hin zu prüfen, einen gewissen Vertrauensvorschuss zu gewähren und das, was der Partner oder Gegner offensichtlich meint, ernst zu nehmen“, schreibt er.
Der Feuilleton-Chef der Zeit, Jens Jessen, versucht in einem weiteren Artikel die Rehabilitierung rechten Gedankenguts dadurch zu erreichen, dass er die Begriffe konservativ, reaktionär und faschistisch von ihrem realen historischen Inhalt löst und nach eigenem, einfältigen Gutdünken neu definiert. Dabei kommt heraus, dass Faschisten nicht reaktionär sind, Reaktionäre nicht rechts sein müssen und Konservative am besten gar nicht als rechts bezeichnet werden sollten, um sie nicht in die Nähe des Faschismus zu rücken. Konservative wollten lediglich bewahren, so Jessen, und hätten deshalb mit Reaktionären nichts gemein.
Auch Mariam Lau jongliert mit den Begriffen konservativ und reaktionär. Anders als Jessen gibt sie zwar zu, dass der konservative Flügel der CDU nach dem Krieg „NS-kontaminiert“ war. Dem setzt sie einen geläuterten, „vergnügten“ heutigen Konservativismus entgegen, wie ihn Gesundheitsminister Jens Spahn oder der bayrische Ministerpräsident Markus Söder verträten. Sowohl Söder wie Spahn gehören zu den rechten Scharfmachern der Union, die sich durch Flüchtlingshetze, die Verhöhnung von Hartz-IV-Empfängern und Islamophobie auszeichnen.
Das Bildungsbürgertum schwenkt nach rechts
Die Verteidigung Baberowskis durch Akademiker und Medien (auch die Grünen-nahe taz hat ihm kürzlich einen lobenden Artikel gewidmet), über 2000 Unterschriften von Akademikern und Publizisten unter der „Gemeinsamen Erklärung“ und deren wohlwollende Aufnahme durch das bürgerliche Establishment zeigen, dass sich hier ein grundlegender gesellschaftlicher Wandel vollzieht. Während sich die sozialen Gegensätze verschärfen, nationale Konflikte zunehmen und die Bundesregierung zum Militarismus und einer imperialistischen Außenpolitik zurückkehrt, schwenkt das deutsche Bildungsbürgertum nach rechts.
Das hat eine lange Tradition. Schon während der bürgerlichen Revolution von 1848, die in der Niederlage endete, hatte das deutsche Kleinbürgertum „mehr Angst vor der geringsten Volksbewegung als vor sämtlichen reaktionären Komplotten sämtlicher deutscher Regierungen zusammengenommen“, wie Friedrich Engels damals bemerkte. Nach der Einigung Deutschlands durch „Blut und Eisen“ schwärmte es dann für Bismarck, der die Arbeiterbewegung mit dem Sozialistengesetz unterdrückte.
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs unterzeichneten 93 renommierte Akademiker und Intellektuelle den berüchtigten „Aufruf an die Kulturwelt“, der deutsche Kriegsverbrechen in Belgien verteidigte und zum Kampf bis zum Sieg aufrief. Über die Hälfte der Unterzeichner waren Professoren.
Auch in der Weimarer Republik standen Professorenschaft und Medien weitgehend rechts. „Der Nationalsozialismus hat die Universitäten früher erobert als die Kanzleien der Regierung“, schreibt der ehemalige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, Wolfgang Benz. „Viele Professoren zeigten früh Sympathie für ein mit starker Hand geführtes ‚Drittes Reich‘, jedenfalls mehr als für Republik und Demokratie. Andere, die ‚Märzgefallenen‘, richteten sich nach Hitlers Regierungsantritt recht schnell auf die neuen Verhältnisse ein, zeigten sich patriotisch, wurden Parteigenossen.“
Nach Hitlers Sturz waren die meisten Nazi-Professoren rasch wieder in Amt und Würden. Alte Nazi-Seilschaften dominierten große Teile von Lehre und Forschung. Das änderte sich erst 1968 mit der Studentenrevolte, die – bei allen Schwächen und Widersprüchen – die Vorherrschaft der konservativen Professorenschaft erschütterte und eine Aufarbeitung des Nationalsozialismus einforderte.
Eben das soll nun 50 Jahre später rückgängig gemacht werden. Daher die Forderung der Zeit, das Rechte – d.h. die Tradition von Krieg und Diktatur – dürfe nicht mehr „das ein für alle Mal Böse“ sein, die in anderen Medien dutzendfach wiederholt und variiert wird. Sie wird von allen Parteien im Bundestag unterstützt. Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann beansprucht die „konservative Revolution“ für sich. Die Fraktionschefin der Linkspartei, Sahra Wagenknecht, hetzt gegen Flüchtlinge.
Die Rechten verstehen das sehr gut. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt fordert eine „konservative Revolution“ gegen die „linke Vorherrschaft“. Der AfD-Gründer und ehemalige F.A.Z.-Feuilletonist Konrad Adam freut sich im Leitartikel der Jungen Freiheit, dass der Widerstand von rechts gegen die „politisch korrekt verlogene Gesinnungsgemeinschaft“ und die „Blockwarte von links“ breiter werde. Endlich reiche es nicht mehr aus, so Adam, Leuten die geistige Nähe zu Nolte nachzuweisen, um sie zu erledigen.
Doch während die herrschende Elite nach rechts geht, wächst der Widerstand dagegen. Die Masse von Jugendlichen und Arbeitern ist nicht bereit, Militarismus, Sozialkürzungen und die Rückkehr des Rechtsextremismus hinzunehmen. Das hat sich an der breiten Unterstützung gezeigt, die die IYSSE von Asten, Studierenden und Arbeitern erhalten haben. Die Unterstützung für rechtsradikale Ideologien im Establishment zeigt, dass diese Opposition nur Erfolg haben kann, wenn sie für eine sozialistische Perspektive kämpft, die sich gegen den Kapitalismus und die herrschende Klasse richtet.