Italien: Zwanzigtausend demonstrieren gegen faschistischen Amoklauf in Macerata

Etwa zwanzigtausend Menschen, darunter viele Jugendliche, beteiligten sich am Samstagnachmittag an einem antifaschistischen Marsch durch Macerata. Hier hatte am 3. Februar der ortsbekannte Faschist Luca Traini in einem rassistischen Amoklauf sechs Einwohner durch Schüsse verletzt.

Auch in Bologna, Milano, Piacenza und in andern Städten fanden Demonstrationen gegen Faschismus statt. Viele Jugendliche aus ganz Italien bestanden jedoch darauf, nach Macerata zu kommen, um am Ort des Geschehens ihre Solidarität mit den Betroffenen und ihre Kampfbereitschaft gegen das Wiederaufleben der faschistischen Gefahr zu demonstrieren. Noch am Donnerstag hatte die Regierungspartei PD die Demonstration offiziell abgesagt.

Auf einem Transparent stand: „Jennifer, Mahamadou, Gideon, Wilson, Festus, Omar“ – so lauten die Namen der sechs Menschen, die von den wahllosen Schüssen auf Menschen mit dunkler Hautfarbe eine Woche zuvor getroffen worden waren. Der Ort der Auftaktkundgebung, ein kleiner Park, war rasch völlig überfüllt, und eine fröhliche, gelöste Stimmung breitete sich aus, als die Demonstration offensichtlich ein Erfolg zu werden versprach. Viele sangen und skandierten Parolen gegen Faschismus und Krieg.

Auf die Frage einer Reporterin, was sie davon hielten, dass keine PD-Politiker anwesend seien, antwortete ein Teilnehmer: „Das hätte mich auch gewundert.“ Eine Frau sagte: „Zwischen der Linken und der Rechten gibt es keinen Unterschied mehr“, und eine andere: „Wir kämpfen hier auch für unser Recht zu demonstrieren.“

Am Donnerstag hatte sich Innenminister Macro Minniti (PD) eingemischt und versucht, die Demonstration zu verbieten. Unterstützt wurde er von PD-Chef Matteo Renzi, der „alle Seiten“ aufforderte, „den Ton zu mäßigen“. Zuvor hatte der Bürgermeister Romano Carancini, der ebenfalls der PD angehört, vor gewaltsamen Konflikten gewarnt und von jeder Kundgebung abgeraten.

Begründet hatte dies Carancini mit dem frechen Auftreten faschistischer Organisationen wie Forza Nuova und CasaPound, die ebenfalls zu Demonstrationen aufgerufen hatten. Der Anführer von Forza Nuova, Roberto Fiore, hatte sich öffentlich mit dem Attentäter Luca Traini solidarisiert und zu Spenden für dessen Anwaltskosten aufgerufen, und am Donnerstagabend waren etwa dreißig Faschisten grölend und praktisch unbehelligt durch Macerata gezogen.

Rasch kapitulierten alle Organisationen, unter deren Namen die Demonstration und Kundgebung ursprünglich angekündigt worden war, darunter die Nationale Vereinigung italienischer Partisanen Anpi und die Gewerkschaft Cgil. Sie sagten die Demonstration ab. Dasselbe tat das Wahlbündnis „Freie und Gleiche“ (LeU, Liberi e Uguali), das von sich behauptet, links von der PD zu stehen.

Der Spitzenkandidat von LeU, Pietro Grasso, meldete sich am Donnerstag während eines Besuchs in Macerata zu Wort und unterstützte die Entscheidung, die Demonstration abzusagen. Er akzeptiere die Entscheidung des Bürgermeisters, so Grasso. Salbungsvoll erklärte er, die „Werte der Verfassung“ seien unantastbar, und man dürfe faschistische und antifaschistische Kundgebungen nicht gleichsetzen, fügte jedoch hinzu: „Die Entscheidung, ob demonstriert wird oder nicht, muss derjenige treffen, der für die Sicherheit verantwortlich ist.“

Dies alles bewirkte nur, dass immer mehr Flüchtlingsinitiativen, Solidaritätsgruppen, NGOs und auch einzelne Einwohner Maceratas öffentlich erklärten, sie würden am Samstag auf jeden Fall wie geplant auf die Straße gehen, um Immigranten gegen Faschismus und Rassismus zu verteidigen.

Am Samstag ließ der Bürgermeister Schulen und die Universität schließen und den öffentlichen Nahverkehr ab 13:30 Uhr einstellen. Im Stadtzentrum ließ er ein einschüchterndes Polizeiaufgebot postieren. Viele Ladenbesitzer schlossen verschreckt ihre Läden und verrammelten Türen und Schaufenster.

Die Demonstration dagegen wurde zum Erfolg. Sie verlief friedlich und machte deutlich, dass zwischen dem Gros der italienischen Bevölkerung und der Parteiprominenz ein tiefer Graben klafft. Sie zeigte, dass ein großer Teil der Jugend und der Arbeiterklasse mit den fremdenfeindlichen Programmen und der rechten Regierungspolitik nicht einverstanden ist.

Der Wahlkampf aller Parteien für die Parlamentswahlen vom 4. März ist in hohem Ausmaß von Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit geprägt, was rechtsextreme und faschistische Kräfte begünstigt. Die Lega, Forza Italia und auch die Fünf-Sterne-Bewegung überbieten sich mit ausländerfeindlichen Forderungen, während die PD-Regierung Truppen für Nordafrika aufrüstet und mit der libyschen Küstenwache gemeinsame Sache gegen Migranten macht. Die Politik hat ein Klima geschaffen, in dem es seit Wochen zu einer „schwarzen Welle“ rechtsradikaler Übergriffe kommt.

Dagegen regt sich jetzt Widerstand, der jedoch im Spektrum der bestehenden Parteien keinen Ausdruck findet. Auch die Wahlbündnisse links von der PD bieten keine Alternative. Sie sind vielmehr entstanden, um eine unabhängige Bewegung in der Arbeiterklasse aufzufangen und in die alten Bahnen bürgerlicher Politik zurückzulenken.

Das gilt in besonderem Maße für das Wahlbündnis LeU mit seinem Spitzenkandidaten Pietro Grasso. Dieses Bündnis besteht vorwiegend aus Politikern, die aus der 1991 aufgelösten Kommunistischen Partei stammen. Die meisten von ihnen haben schon verantwortliche Positionen in Regierung, Staat oder Gewerkschaften bekleidet. Dazu gehören so altgediente Parteikader wie Massimo D’Alema, Pier-Luigi Bersani oder Guglielmo Epifani. Bersani war jahrelang Vorsitzender des Partito Democratico (PD), Epifani war Chef der Gewerkschaft Cgil, und D’Alema war sogar Ministerpräsident sowie Außenminister unter Romano Prodi.

Im aktuellen Wahlkampf konzentrieren sie ihr Feuer auf die Person Matteo Renzis, der sie an den Rand gedrängt hatte, als er vor vier Jahren die Führung der Partei und der Regierung übernahm. Renzi stammt aus der christdemokratischen „Margherita“, mit der sich die Linksdemokraten (DS) im Oktober 2007 zur Demokratischen Partei (PD) zusammengeschlossen hatten. Dieser Flügel hat seither in wachsendem Maße die Parteilinie bestimmt.

Im Dezember 2016, als Renzis Niederlage im Verfassungsreferendum den schwindenden Einfluss der PD offenlegte, folgerten einige Alt-Stalinisten, es sei nötig, eine Partei außerhalb der PD zu gründen, um die bürgerliche Herrschaft abzustützen. Auf dieser Grundlage schlossen sich im Dezember 2017 die PD-Abspaltungen Demokratische und Progressive Bewegung (MDP) und „Possibile“ mit der Italienischen Linken (Sinistra Italiana, SI) zur LeU zusammen. Wie die LeU-Führer mehrfach erklärt haben, würden sie eine PD-Regierung ohne Renzi tolerieren.

Der Spitzenkandidat von LeU, Pietro Grasso, ist ehemaliger Senatspräsident und Anti-Mafia-Staatsanwalt. Er macht immer wieder deutlich, dass er die politische Lage durch die Brille des Staatsanwalts betrachtet, alles dem Staat unterordnet und diesem zugesteht, jede unabhängig entstehende Bewegung sofort zu verbieten. Das zeigte auch sein Aufruf, die Demonstration in Macerata abzusagen.

Tatsächlich sind rechte und faschistische Kräfte eng mit dem Staat verbunden. Gerade in Italien hat dies eine lange Tradition. Oft genug sympathisieren Polizei und Militär mit den Faschisten, während sie gleichzeitig Jagd auf Einwanderer ohne Papiere und auf Sozialisten machen und die Grenzen gegen Menschen abriegeln, die vor imperialistischen Kriegen flüchten.

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