Berlin: Almosen für Arme – Millionen für Innere Sicherheit

Der kürzlich veröffentlichte Oxfam-Bericht offenbarte die tiefe Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland. Danach besitzen 36 Individuen ebenso viel Vermögen wie die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung, zwei Drittel des Reichtums befinden sich in Händen der obersten zehn Prozent der Gesellschaft. Die soziale Ungleichheit ist so groß wie vor hundert Jahren.

Besonders dramatisch entwickelt sich die Lage in der Hauptstadt Berlin, in der seit Anfang 2017 eine rot-rot-grüne Koalition von SPD, Linkspartei und Grünen regiert. Das Versprechen eines „sozialen Politikwechsels“ hat sich längst als Märchen entpuppt.

Anlässlich einer „1. Berliner Strategiekonferenz zur Wohnungslosenhilfe“, die Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Die Linke) am 10. Januar einberufen hatte, wurde bekannt, dass sich die Zahl der Wohnungslosen in Berlin von 2015 bis Ende 2017 mehr als verdreifacht hat – von 15.000 auf 50.000. Hinzu kommen geschätzte 12.000 Menschen, die auf der Straße leben, darunter Frauen, ganze Familien, alte Menschen und viele Flüchtlinge.

Die anhaltende Immobilienspekulation und Mietpreisexplosion in Berlin haben dazu geführt, dass es für die Bevölkerung kaum noch bezahlbare Wohnungen gibt. Der Wohnungsmarkt sei „völlig ausgebombt“, konstatierte Robert Veltmann von der Caritas. „Das vorhandene Hilfesystem zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit wurde davon völlig überfahren.“

Niclas Beiersdorf vom Verein Berliner Obdachlosenhilfe e. V. erläuterte, dass die meisten Wohnungslosen in Kriseneinrichtungen, Not- und Gemeinschaftsunterkünften, Übergangsheimen, Hostels oder vorübergehend in vom Amt zugewiesenen Wohnungen untergebracht sind. Allein 27.300 Geflüchtete wohnten im Juli 2017 in 104 Massenunterkünften, das heißt Heimen oder Hallen mit durchschnittlich über 260 Menschen.

Für die Menschen, die völlig auf der Straße leben, gibt es in diesem Winter nur 1100 Kältehilfe-Plätze. Bis zum Winter 2018/19 sollen sie lediglich auf 1500 aufgestockt werden. Rund 9000 Schlafsäcke verteilt die Sozialeinrichtung „Bahnhofsmission am Zoologischen Garten“.

Eine Forderung von Hilfsorganisationen zu Beginn des Winters, dass der Senat 5000 weitere Schlafsäcke zur Verfügung stellen und bezahlen solle, lehnte Sozialsenatorin Breitenbach ab und erklärte: „Ich finde es richtig, wenn das weiter auf Spendenbasis passiert.“

Viele Obdachlose, darunter osteuropäische Arbeiter, die für Niedriglohnjobs nach Berlin kommen und keine Chancen auf eine Wohnung haben, haben im letzten Herbst in den Parks Zeltlager errichtet. Doch Senat und Bezirke ließen die Zelte mit Polizeigewalt räumen.

Kritik daran wies Breitenbach auf der Konferenz entschieden zurück: „Wenn die Obdachlosen auf der Bank liegen, werden sie nicht vertrieben. Aber Übernachtungen im Zelt sind verboten.“

Besonders schwierig ist die Situation für Geflüchtete. Selbst wenn ihr Asylantrag anerkannt wird und sie nach sechs Monaten einen gesetzlichen Anspruch auf die Zuweisung einer Wohnung haben, müssen sie oft in menschenunwürdigen Notunterkünften ausharren.

Vereine wie Moabit hilft und Mitarbeiter aus Sammelunterkünften prangern an, dass Bezirksämter Flüchtlinge abweisen, weil sie ihre Obdachlosigkeit angeblich selbst verschuldet hätten. Im Bezirksamt Tempelhof sei einem Asylbewerber die Unterbringung mit der Begründung verweigert worden, dass „der Mann ja zurückziehen [könne] in die Stadt, wo er zuvor untergebracht war“.

In Berlin-Mitte wurde einem jungen Palästinenser eine Wohnungszuweisung verweigert und auch ein Beschluss des Verwaltungsgerichts ignoriert, obwohl er mit Zustimmung der Ausländerbehörde Thüringens nach Berlin gekommen war, um hier eine Ausbildung zu beginnen. Erst als sein Anwalt die Festsetzung eines Zwangsgelds gegen das Bezirksamt beantragte, habe das Amt nachgegeben, so der Flüchtlingsrat Berlin.

Der verantwortliche Stadtrat für Soziales in Berlin-Mitte, Ephraim Gothe (SPD), beschuldigte Flüchtlinge, sie würden ihre Obdachlosigkeit „freiwillig“ herbeiführen, indem sie Hausverbote provozieren – beispielsweise durch unerlaubtes Rauchen oder Kochen. Damit würden sie die „Verwaltung unter Zugzwang setzen“.

Dabei sei das Fertigessen „auf Dauer unerträglich“, verteidigt Georg Classen, Sprecher des Flüchtlingsrats Berlin, die Betroffenen. Und die Wohnsituation in den Heimen – große Beengtheit, Lautstärke, schlechte hygienische Bedingungen, fehlende Privatsphäre und Perspektive – stellt einen erheblichen Stressfaktor dar, betont Christiane Beckmann von Moabit hilft.

„Menschen, die sich hilfesuchend mit der Bitte um Unterbringung an die Behörde wenden, sind niemals freiwillig obdachlos“, sagt Classen. Er geißelt das „Konstrukt“ der freiwilligen Obdachlosigkeit als „ungeheuerlichen Skandal“. Der grüne Stadtbezirksbürgermeister Stephan von Dassel verteidigte jedoch das Vorgehen des Bezirksamts. Es sei verständlich, dass es bei bis zu 400 Vorsprachen pro Woche auch mal zu „unangemessenem Verhalten von Beschäftigten des Bezirksamtes gegenüber den Hilfesuchenden“ kommen könne.

Auf der „Strategiekonferenz“ bemühte sich die Sozialsenatorin, die Kritiker zu besänftigen. Sie stellte höheren Finanzhilfen für Armutsbekämpfung und Wohnungslosigkeit in Aussicht.

Nach bisherigen Berichten sollen aus dem Rekordjahresüberschuss in Höhe von 2,16 Milliarden Euro rund 22,5 Millionen Euro in die Armutsbekämpfung fließen und die Finanzhilfen für Wohnungslose um 4 Millionen pro Jahr erhöht werden. Neben vierhundert neuen Kälteplätzen im Winter und verlängerten Öffnungszeiten in der Anlaufstelle am Bahnhof Zoo sollen auch mehr Sozialarbeiter eingestellt sowie Beratungsangebote und Unterstützungsleistungen aufgestockt werden.

Angesichts der steigenden Wohnungslosenzahlen sind diese Maßnahmen nichts als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Sie sollen nur den wachsenden Unmut in der Bevölkerung und bei den Helfern dämpfen.

Zum Vergleich: Für die Innere Sicherheit will der Senat rund 100 Millionen Euro mehr ausgeben, wie der Pressesprecher der Senatsinnenverwaltung, Martin Pallgen, der WSWS am Donnerstag mitteilte – also viermal so viel wie für die Armutsbekämpfung.

Allein für die Berliner Gefängnisse, in denen immer mehr Arme und Wohnungslose landen, erhöht der Senat seine Ausgaben um 12 Millionen Euro, berichtete die Berliner Zeitung am Donnerstag.

Besonders zynisch ist der Plan von Linken-Senatorin Breitenbach, Obdachlose nun gemeinsam mit Flüchtlingen in Containerdörfern unterzubringen. Diesen Winter hatte sie bereits rund hundert Obdachlose zusammen mit hundertfünfzig Flüchtlingen im Hangar 4 am Tempelhofer Flughafen unterbringen lassen. Gleichzeitig will sie die Obdachlosen im kommenden Jahr zählen und registrieren lassen.

Die Linke, die die menschenunwürdige Unterbringung in den Flugzeughallen des ehemaligen Tempelhofer Flughafens lautstark kritisiert hatte, als sie noch in der Opposition war, macht nun ihre wirkliche Haltung gegenüber den Ärmsten der Gesellschaft deutlich.

Das Problem der Armut soll nicht gelöst, sondern nur verwaltet werden. Die Armut wird aus dem Stadtbild verbannt, aber nicht bekämpft. Darin ist sie sich mit allen Parteien einig. Stattdessen beeilen sich SPD, Linkspartei und Grüne, Polizei und Sicherheitsapparat aufzurüsten, um Widerstand unterdrücken zu können.

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