Obwohl sich SPD, CDU und CSU noch nicht auf einen Koalitionsvertrag geeinigt haben, stimmen sie an diesem Donnerstag im Bundestag zum ersten Mal gemeinsam ab, als ob die neue Regierung bereits im Amt wäre. Im Rahmen der Koalitionsgespräche haben sie sich darauf geeinigt, den Familiennachzug für subsidiär geschützte Flüchtlinge bis Ende Juli weiterhin völlig auszusetzen und danach maximal 1000 Angehörige pro Monat ins Land zu lassen.
Die Vereinbarung über den heftig umstrittenen Familiennachzug ist symptomatisch für den reaktionären Charakter der zukünftigen Regierung. Auf Kosten der Schwächsten in der Gesellschaft, von Kriegsflüchtlingen und ihren Familien, übernimmt die Große Koalition das Programm der rechtsextremen AfD.
Subsidiären Schutz genießen Flüchtlinge, die nicht unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen und kein Anrecht auf Asyl haben, weil sie nicht persönlich politisch verfolgt werden, denen aber Todesstrafe, Folter, unmenschliche Behandlung oder Lebensgefahr in einem Krieg oder Bürgerkrieg drohen, wenn sie in ihr Heimatland zurückkehren. Der Schutz ist zeitlich befristet und muss nach einem Jahr verlängert werden. Für subsidiär Geschützte ist es wesentlich schwieriger, ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu bekommen, als für Asylberechtigte.
Der subsidiäre Schutzstatus gilt für die meisten Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und anderen Kriegsländern, die in den vergangenen Jahren in Deutschland Zuflucht gesucht haben. Für sie hatte die Bundesregierung das Recht auf Familiennachzug im März 2016 für zwei Jahre ausgesetzt. Seither dürfen sie ihre Ehepartner, ihre Kinder oder – im Falle minderjähriger Kinder – ihre Eltern nicht mehr nachholen.
Diese Regelung würde am 16. März 2018 auslaufen und das Recht auf Familiennachzug träte automatisch wieder in Kraft, wenn der Bundestag jetzt nicht handelt. Die Vereinbarung zwischen Union und SPD bedeutet daher, dass der gesetzliche Anspruch auf Familiennachzug, der sich direkt aus Artikel 6 des Grundgesetzes (Schutz von Ehe und Familie) ableitet, auf Dauer abgeschafft wird.
Für Ehepartner, Eltern und Kinder, die von ihren Angehörigen getrennt sind und täglich um deren Leben fürchten müssen, bedeutet dies eine unmenschliche psychische Tortur, die auch ihre gesellschaftliche Integration erschwert.
Das ist kein unerwünschter Nebeneffekt, sondern so gewollt. Die neue Regelung ist fremdenfeindlich und rassistisch. Flüchtlinge werden nicht als Menschen behandelt, sondern als unerwünschter Störfaktor, der ausgegrenzt und so schnell wie möglich beseitigt werden muss. Nicht zufällig forderte der CSU-Politiker Manfred Weber im Januar, das zentrale europäische Thema im Jahr 2018 müsse „die finale Lösung der Flüchtlingsfrage“ sein.
Die Behauptung der SPD, sie setze sich in den Koalitionsverhandlungen für den Schutz und die Rechte der Flüchtlinge ein, ist zynisch und verlogen. Sie müsste im Bundestag lediglich eine Neuregelung ablehnen, um das Recht auf Familiennachzug wieder in Kraft zu setzen. Stattdessen hat sie sich mit der Union auf die faktische Abschaffung dieses Rechts geeinigt.
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass ab Juli monatlich tausend Angehörigen die Einreise erlaubt werden soll. Eine Kontingentlösung ist kein Recht, sondern eine Art Gnadenakt. Die Zahl Tausend ist zudem lächerlich gering. Bei 60.000 bis 100.000 betroffenen Angehörigen würde es bis zu zehn Jahre dauern, bis sie eine Einreisegenehmigung erhalten.
Die SPD brüstet sich außerdem damit, dass eine Härtefallregelung, die bereits besteht, auch weiterhin in Kraft bleiben soll. Aber das ist Augenwischerei. Laut Auswärtigem Amt wurden aufgrund dieser Regelung im vergangenen Jahr gerade einmal 96 Visa ausgestellt.
Die unmenschliche Haltung der Großen Koalition gegenüber Flüchtlingen ist Ausdruck ihres reaktionären Programms. Sie übernimmt nicht nur in der Flüchtlingspolitik die Politik der AfD, sondern kehrt auch in der Außenpolitik zu den verbrecherischen Traditionen der Vergangenheit zurück. Der Kern ihres Programms, über den sie nicht öffentlich diskutiert, ist eine massive militärisch Aufrüstung und eine aggressive Großmachtpolitik.