Geheimdienst mischt sich in Jamaika-Gespräche ein

In die Verhandlungen über die nächste Bundesregierung haben sich nun auch der Auslandsgeheimdienst BND und Vertreter der Bundeswehr eingeschaltet. Sie pochen auf höhere Rüstungsausgaben, einen Konfrontationskurs gegen Russland und die rücksichtslose Abwehr von Flüchtlingen.

Am Dienstag hielt der Präsident des Bundesnachrichtendiensts (BND), Bruno Kahl, vor der Hanns-Seidel-Stiftung der CSU in München eine „Grundsatzrede“. Darin warnte er in drastischen Worten vor Russlands „machtpolitischen Ambitionen“ und stellte in Frage, ob Westeuropa dagegen ausreichend gerüstet sei.

Kahl warf Russland vor, es versuche, „die EU zu schwächen und die USA zurückzudrängen und insbesondere einen Keil zwischen beide zu treiben“. Die Modernisierung der russischen Streitkräfte sei „erstaunlich“ und „beunruhigend“. Statt ein „Partner für die europäische Sicherheit“ sei das Land „eher eine potenzielle Gefahr“. „Der weltpolitische Akteur Russland ist zurück, er wird ein unbequemer Nachbar bleiben,“ erklärte Kahl.

Der Geheimdienstchef bezweifelte, ob die Nato und der Westen militärisch stark genug seien, „um diese Bedrohungspotenziale auszugleichen und abschrecken zu können“, und „ob die eigenen Wehr- und Rüstungsfähigkeiten ausreichen“.

Auch vor den außenpolitischen Bestrebungen Chinas warnte der BND-Chef. „Die Zeit der Bescheidenheit ist offensichtlich vorbei, auch die Zeit der Rücksichtnahme. China beansprucht den Rang einer außenpolitischen Großmacht mit einem Zeithorizont bis 2050,“ sagte er. Als Beispiel führte er einen chinesischen Stützpunkt am Horn von Afrika an und das Seemanöver, das China im Sommer gemeinsam mit Russland in der Ostsee durchgeführt hat.

Als weiteres Sicherheitsrisiko nannte Kahl die wachsende Zahl von Flüchtlingen. „Weit mehr als eine Milliarde Menschen“ hätten einen „rationalen Grund“, sich auf den Weg zu machen. Die Zahl der Umweltmigranten werde dramatisch zunehmen und eine dreistellige Millionengröße erreichen. Die Bevölkerungszahl in Afrika habe sich seit 1990 nahezu verdoppelt. Es sei fraglich, ob die Bekämpfung von Fluchtursachen bei „dieser Dynamik überhaupt Schritt halten“ könne. „Der Migrationsdruck auf Europa wird zunehmen. Fraglich ist, ob die europäischen Regierungen es schaffen, Steuerungspotenzial aufrechtzuerhalten oder neu zu kreieren, um diese Entwicklung zu beeinflussen“, folgerte er.

Allein dass Kahl eine solche Rede hält, ist außergewöhnlich. Normalerweise berät der BND die Bundesregierung intern und mischt sich nicht in die öffentliche Debatte ein. Dass sich der BND-Chef wenige Tage vor dem Abschluss der Sondierungsgespräche über eine Jamaika-Koalition an die Öffentlichkeit wandte und dies auf einem Forum der CSU tat, die an den Jamaika-Gesprächen beteiligt ist, kann nur als direkte Einmischung in die Regierungsbildung gewertet werden.

Vor Kahr hatte sich bereits der Vorsitzende des Bundeswehrverbands André Wüstner mit der Forderung nach mehr Rüstungsausgaben an die Jamaika-Verhandler gewandt. „Ich habe bisher mit Grauen die Sondierungsgespräche verfolgt, weil die Verteidigungspolitik und damit unsere Bundeswehr anscheinend als Verhandlungsmasse zwischen anderen Themen zerrieben wird“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Die Sicherheitspolitik werde nicht nur von den Grünen und der FDP, sondern auch von der Union stiefmütterlich behandelt. „Jamaika spielt mit der Zukunft der Bundeswehr.“

Dass sich Vertreter von Geheimdiensten und Militär derart offen in die laufenden Koalitionsverhandlungen einmischen, ist ein Warnsignal. Nach er verheerenden Rolle, die Reichswehr und Geheimdienste beim Untergang der Weimarer Republik und dem Aufstieg Hitlers gespielt hatten, galt in der Bundesrepublik – zumindest auf dem Papier – das strikte Prinzip ihrer Unterordnung unter die zivile Gewalt. Das bricht nun auf.

Dabei beschränkt sich der BND-Chef nicht darauf, mehr militärische Rüstung und mehr Mittel für den Geheimdienst zu fordern. Er versucht auch, die zukünftige Außenpolitik zu beeinflussen. Er spricht für jene Vertreter der herrschenden Klasse und des Sicherheitsapparats, die trotz der Konflikte mit Donald Trump an einer engen Zusammenarbeit mit den USA festhalten wollen und dem Aufbau einer eigenständigen Europäischen Armee, wie sie der französische Präsident Emmanuel Macron und in Deutschland die SPD, die FDP, die Grünen und Teile der CDU befürworten, skeptisch gegenüberstehen.

In seiner Rede betonte der BND-Chef, für Deutschland sei es von großem Vorteil, eine Macht wie die USA nicht auf der anderen Seite, sondern auf der eigenen Seite zu haben. Die USA hätten als einziger Staat an den drei großen geostrategischen Fronten des Weltgeschehens – Europa, am Persischen Golf und in Ostasien – Truppen stationiert. „Sie verfügen über zehn Flugzeugträger, die sie in kürzester Zeit zu internationalen Konfliktzonen beordern können.“

Die 34.000 amerikanische Soldaten, die noch in der Bundesrepublik stationiert seien, zeigten, „wie eng das sicherheitspolitische Band zwischen Berlin und Washington immer noch ist“, sagte Kahl. Und nur mit den USA werde „es Europa in den nächsten Jahren schaffen, an der Ostflanke Europas einen glaubwürdiges Gegengewicht zu Russland zu bilden“.

Kahl erhielt Rückendeckung von führenden Medien. Die Süddeutsche Zeitung erschien am Mittwoch mit der Schlagzeile: „BND: Russland ist ‚potenzielle Gefahr‘.“ Stefan Kornelius, der Autor des Leitartikels, berichtete ausführlich über die Rede des BND-Chefs und rechtfertigte seine Einmischung in die Politik in einem gesonderten Kommentar mit dem Titel „Darf er das?“.

Kahls Warnung vor Russland und seine Aufforderung an die Politik, sich mehr um die Sicherheit zu kümmern, sei zwar „eine ungewöhnliche Rolle für einen Geheimdienstchef“, schreibt Kornelius. Doch der BND-Chef sei „kein Scharfmacher“, ihn treibe „keine Geltungssucht“. Vielmehr vermissten „die Akteure der deutschen Sicherheitsinstitutionen … in der Diskussion um Schutz und Bedrohung nicht erst seit gestern die Ernsthaftigkeit und Tiefe, die der Bedeutung Deutschlands angemessen wäre“.

Kornelius zählt zu jenen Alpha-Journalisten, die über Denkfabriken und Stiftungen eng mit dem außenpolitischen und militärischen Establishment Deutschlands, Europas und der USA vernetzt sind und sich bemühen, die öffentliche Meinung entsprechend zu prägen. Er spielte 2014 eine führende Rolle bei der Rechtfertigung des von Washington und Berlin geförderten Putsches in der Ukraine. Derzeit ist er laut Wikipedia Mitglied der Atlantik-Brücke, der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und des Beirats der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS).

Den BND verbinden sowohl historisch wie aktuell enge Bande mit den US-Geheimdiensten. Die von Reinhard Gehlen geleitete Spionageabteilung „Fremde Heere Ost“ der Wehrmacht war nach dem Krieg direkt von den USA übernommen worden. Daraus ging dann der BND hervor, der bis 1968 von Gehlen geleitet wurde und bis heute eng mit den amerikanischen Diensten verzahnt ist. So zeigten die Enthüllungen Edward Snowdens, dass der BND und die amerikanische NSA bei der Bespitzelung von Millionen unbescholtener Menschen eng zusammenarbeiten.

Kahl verteidigte dies in seiner Münchener Rede ausdrücklich. „Als Präsident des Bundesnachrichtendienstes darf ich sagen, dass die Zusammenarbeit mit den amerikanischen Nachrichtendiensten ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Leistungsfähigkeit ist“, sagte er.

Kahl war erst im April 2016 überraschend an die Spitze des BND berufen worden. Er gilt als Vertrauter von Wolfgang Schäuble (CDU), mit dem er seit 1995 eng zusammenarbeitete. Der Tagesspiegel berichtete damals, sein Vorgänger Gerhard Schindler, der das Pensionsalter erst eineinhalb Jahre später erreichte, sei vorzeitig abgelöst worden, um zu verhindern, dass nach der Bundestagswahl „über die Besetzung eines der sensibelsten Posten in der deutschen Sicherheitsarchitektur politisch verhandelt“ werden müsse. In BND-Kreisen sei befürchtet worden, dass möglicherweise ein Grüner die Leitung des Geheimdiensts übernehmen könnte.

Kahl hat bereits deutlich gemacht, dass der BND beabsichtigt, auch in Zukunft verstärkt ins politische Geschehen einzugreifen. In diesem Monat sind die ersten 400 Mitarbeiter in die neue BND-Zentrale in der Mitte Berlins eingezogen. Im nächsten Jahr sollen weitere 4000 folgen, während 1200 in der alten Zentrale in Pullach bei München bleiben. Der neue Gebäudekomplex auf einem zehn Hektar großen Gelände an der Berliner Chausseestraße hat eine Milliarde Euro gekostet. Er umfasst 5000 Räume und verfügt über eine aufwändige, abhörsichere Technik.

Kahl kommentierte den Umzug mit den Worten, es sei ein großer Vorteil, näher an der Politik zu sein. „Wir wollten raus aus den dunklen Mauern und dem dunklen Wald in Pullach und mehr präsent sein.“ Der BND habe keinen Grund, sich zu verstecken – „bis auf die Operationen, die wir machen”. Er forderte hohe Investitionen in die Sicherheit und die verstärkte Ausbildung von Nachwuchsagenten. So soll ein Studiengang „Master of Intelligence“ geschaffen werden. Die Umstrukturierung, so Kahl, werde dem Dienst „sehr, sehr gut tun”.

Loading