Die Europäische Union hat einen wichtigen Schritt unternommen, um in Zukunft unabhängig von den Vereinigten Staaten und gegebenenfalls auch gegen sie Krieg zu führen.
Die Verteidigungs- und Außenminister von 23 der 28 EU-Mitgliedern unterzeichneten am Montag in Brüssel ein Grundsatzdokument über eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik. Neben Großbritannien, das die Europäische Union 2019 verlässt, haben sich lediglich vier kleinere Länder (Dänemark, Irland, Portugal und Malta) dem Abkommen nicht angeschlossen. Sie können dies aber jederzeit nachholen.
In der Vereinbarung über eine Ständige Strukturierte Zusammenarbeit, nach dem englischen Kürzel „Pesco“ (Permanent Structured Cooperation) genannt, verpflichten sich die Unterzeichner, bei der Entwicklung und Anschaffung von Waffen eng zusammenzuarbeiten und Truppen und Material für gemeinsame Auslandseinsätze zur Verfügung zu stellen.
„Pesco ist ein ambitionierter, verbindlicher und inklusiver europäischer Rechtsrahmen für Investitionen in die Sicherheit und Verteidigung des EU-Territoriums und seiner Bürger“, heißt es in dem am Montag unterzeichneten Dokument. Es gehe darum, dass die Europäer effizienter, handlungsfähiger und schneller werden, sagte ein Vertreter des deutschen Verteidigungsministeriums.
Das Abkommen bedeutet eine massive Eskalation des europäischen Militarismus. Die erste von zwanzig Bedingungen, zu der sich alle Teilnehmer verpflichten müssen, ist eine regelmäßige Erhöhungen der Militärausgaben. Davon müssen mindestens 20 Prozent in neue Waffen fließen. Die EU selbst will 500 Millionen Euro und ab 2021 eine Milliarde Euro jährlich für gemeinsame Rüstungsprojekte beisteuern.
Über die genaue Form der Zusammenarbeit wird in den kommenden Wochen entschieden. Gegenwärtig liegen 47 Vorschläge für gemeinsame Projekte vor. Dazu gehören ein gemeinsames Krisenreaktionscorps, die Aufstellung multinationaler Kampfeinheiten, ein gemeinsames Center of Exzellenz für europäische Trainingsmissionen, vorbeugende Einsatzpläne für Militärinterventionen in verschiedenen Weltregionen, ein „militärisches Schengen“, das die schnelle Verlegung von Truppen und schweren Waffen ohne bürokratische Hürden erlaubt, gemeinsame Satellitenaufklärung, ein europäisches Sanitätskommando und gemeinsame Logistik-Drehscheiben. Zehn dieser 47 Projekte sollen bereits im Dezember in Angriff genommen werden.
Treibende Kraft hinter Pesco sind Frankreich und Deutschland. Paris, Berlin und Brüssel haben in den vergangenen Monaten in insgesamt sechs Workshops für das Projekt geworben. Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte bereits im September in einer Rede an der Pariser Universität Sorbonne gefordert: „Zu Beginn des kommenden Jahrzehnts sollte Europa über eine gemeinsame Einsatztruppe, einen gemeinsamen Verteidigungshaushalt und eine gemeinsame Handlungsdoktrin verfügen.“
Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) nannte die Unterzeichnung von Pesco „einen großen Tag für Europa“. Man gehe „einen weiteren Schritt in Richtung der Armee der Europäer“.
Außenminister Sigmar Gabriel (SPD), der nur noch kommissarisch im Amt ist, nannte den Beschluss „historisch“. Er sei ein „großer Schritt in Richtung Selbstständigkeit und Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU“. Er versprach sich von Pesco eine massive Steigerung der militärischen Schlagkraft. Schon jetzt gebe Europa für Verteidigung halb so viel Geld aus wie die USA, sagte er, erreiche aber nur 15 Prozent von deren Effizienz. Eine engere Zusammenarbeit könnte hier Besserung bringen.
Paris, Berlin und Brüssel geben sich Mühe, die gemeinsame europäische Militärpolitik nicht als Konkurrenz zur Nato darzustellen. In der Pesco-Vereinbarung heißt es dazu: „Verstärkte militärische Kapazitäten der EU-Mitgliedstaaten werden auch zum Nutzen der Nato sein. Sie werden den europäischen Pfeiler stärken und eine Antwort sein auf wiederholte Forderungen nach einer stärkeren transatlantischen Lastenteilung.“
Auch Bundesverteidigungsministerin von der Leyen bemühte sich, jeden Gegensatz zur Nato zu leugnen. Die Nato werde immer für die Landes- und Bündnisverteidigung zuständig bleiben, betonte sie, während die EU mit ihrer „vernetzten Sicherheit“ Aufgaben erledige, die nicht in die Zuständigkeit der Nato fielen, wie Hilfe für afrikanische Staaten.
Doch das ist Augenwischerei. Die Kommentare sind sich weitgehend einig, dass vor allem zwei Ereignisse die seit langem verfolgten und immer wieder gescheiterten Pläne für eine Europäische Armee befördert haben: Die Präsidentschaft Donald Trumps und der Brexit.
1954 war ein erster Versuch, eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu gründen, noch am Widerstand Frankreichs gescheitert. Danach hatte es jahrzehntelang keinen neuen Anlauf gegeben. Nach der Jahrhundertwende scheiterten dann Bemühungen um eine engere militärische Zusammenarbeit am Widerstand Londons, das als engster Verbündeter der USA jede Konkurrenz zur Nato unterbinden wollte.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Trumps „America-first“-Politik hat die ökonomischen und geopolitischen Gegensätze zwischen Europa und den USA verschärft. Die US-Politik im Nahen Osten und in Südostasien wird in Paris und Berlin als Angriff auf eigene Interessen gesehen, und auch in Afrika kämpfen Europa, die USA und China gegeneinander um Einfluss. Lediglich bei den Kriegsvorbereitungen gegen Russland arbeiten die USA und die europäischen Mächte in der Nato noch eng zusammen. Aber auch hier gibt es taktische Differenzen, wie weit der Konflikt getrieben werden soll. Gleichzeitig ist mit dem Brexit der wichtigste Gegner einer Europäischen Armee weggefallen.
Die Pesco-Vereinbarung bedeutet nicht, dass die Konflikte innerhalb Europas überwunden sind und Deutschland und Frankreich in Zukunft an einem Strang ziehen werden. Bereits im Vorfeld der Vereinbarung gab es heftige Differenzen. Während Paris das Abkommen auf einen kleinen, exklusiven Kreis mit robusten Armeen beschränken wollte, die im Krisenfall entschlossen intervenieren können, drängte Berlin auf einen möglichst großen Teilnehmerkreis mit einem breiten Aufgabenspektrum und setzte sich durch. Da das Einstimmigkeitsprinzip herrscht, macht dies Entscheidungen entsprechend schwierig. Berlin fürchtete, dass sich die osteuropäischen Staaten, in denen nationalistische und EU-feindliche Strömungen zunehmen, sonst mit den USA gegen die EU verbünden könnten.
Die massive Steigerung der Militärausgaben, die mit Pesco verbunden ist, wird zudem die Klassengegensätze in Europa weiter verschärfen. Schon jetzt reagiert die herrschende Klasse auf die scharfen Klassenspannungen in jedem europäischen Land mit einer massiven Aufrüstung des staatlichen Unterdrückungsapparats, was rechten und nationalistischen Auftrieb verleiht und die EU sprengt.
Letztlich sind die wachsenden Spannungen zwischen den USA und Europa „nicht einfach auf die extrem nationalistische Politik des gegenwärtigen Herrn im Weißen Haus zurückzuführen“, wie die WSWS am 2. Juni in der Perspektive “Rolle rückwärts: Die Krise der geopolitischen Nachkriegsordnung“ erklärte. „Die Ursache dieser Spannungen liegt in tiefen Interessengegensätzen der imperialistischen Großmächte, die im letzten Jahrhundert zu zwei Weltkriegen führten.“
„Die Umstände der Europareise Trumps spiegeln die Krise nicht nur des amerikanischen Kapitalismus, sondern des kapitalistischen Weltsystems insgesamt wider“, schrieb die WSWS. „Keiner der Rivalen Washingtons – weder die EU, die bei der eigenen Bevölkerung wegen ihrer Kürzungspolitik verhasst ist, noch das wirtschaftlich todgeweihte, reaktionäre Regime in Japan, noch die post-maoistische kapitalistische Oligarchie in China – vertritt eine fortschrittliche Alternative. Wer glaubt, dass der Weltkapitalismus durch ein Bündnis dieser Mächte stabilisiert werden könnte, sodass größere Handelskriege und militärische Konflikte ausbleiben, hat die Lehren der Geschichte nicht verstanden.“
Die Aufrüstung Europas bestätigt das. Nur der Aufbau einer internationalen Antikriegsbewegung, die sich auf die Arbeiterklasse stützt und für ein sozialistisches Programm zum Sturz des Kapitalismus kämpft, kann die Katastrophe eines weiteren Weltkriegs verhindern.