Am Mittwoch teilte der Internetkonzern Facebook mit, im Herbst ein neues Löschzentrum mit 500 Mitarbeitern in Essen einzurichten. Die Zahl der Mitarbeiter in Deutschland, die für die Kontrolle und Zensur der Inhalte zuständig sind, wird damit fast verdoppelt. Bisher unterhält der Konzern nur ein solches Zentrum in Berlin.
Facebook hat große Anstrengungen unternommen, die Arbeit der Löschzentren zu verklären. Während die Schulungsunterlagen und internen Richtlinien für die Mitarbeiter streng geheim gehalten werden, veranstaltete das Unternehmen vor einem Monat eine durchinszenierte Begehung der Berliner Räumlichkeiten für ausgewählte Medien.
Der öffentlich rechtliche Westdeutsche Rundfunk, die Zeit und Spiegel Online durften im Büro der Bertelsmann-Tochter Arvato, die für Facebook die Löschungen durchführt, auf gesperrte Bildschirme blicken und speziell vorbereitete Mitarbeiter befragen. Alle drei Medien konzentrierten ihre Berichte anschließend auf die schweren Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter und taten so, als ob diese nur dafür zuständig seien, brutale Enthauptungsvideos und Kinderpornografie zu löschen.
Tatsächlich werden in den hermetisch abgeschirmten Büros Millionen Internetnutzer systematisch zensiert. Berichte über die Löschung kritischer Posts und die Sperrung linker und fortschrittlicher Autoren haben in den letzten Monaten massiv zugenommen.
Bereits im Dezember letzten Jahres wurde etwa ein Post des Satirikers Leo Fischer gelöscht. Fischer hatte die fremdenfeindliche Schlagzeile der Bild-Zeitung, „Die große Debatte um das Frauenbild der Flüchtlinge“, neben die regelmäßigen Bikini-Fotos derselben Zeitung gelegt und fotografiert. Das wurde nicht nur von zahlreichen Rechtsextremisten angegriffen, sondern auch von Facebook gelöscht, weil der Beitrag angeblich gegen die Community-Regeln verstoße.
Mit der gleichen Begründung wurde die Österreichische Schriftstellerin Stefanie Sargnagel im März dieses Jahres bei Facebook für 30 Tage gesperrt. Ihr Profil war zuvor von rechten und rechtsextremen Kreisen in einer Kampagne massenhaft gemeldet worden. Sargnagel hatte sich satirisch gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus gewandt und war so ins Fadenkreuz der Rechten und des Internetkonzerns geraten.
Auch der Berliner Blogger Jörg Kantel berichtet über die Löschung kritischer Posts. Nachdem die Bild-Zeitung anlässlich der Krawalle um den G20-Gipfel in Hamburg unverpixelte Bilder von angeblichen Gewalttätern aus Hamburg veröffentlicht hatte, hatte Kantel unter anderem kommentiert: „Deutschland, Land der Denunzianten und Blockwarte. Mindestens seit 1933!“ Dem Blogger zufolge löschte Facebook den Post.
Die Liste von zensierten Autoren ließe sich beliebig fortsetzen. Hinzu kommen noch all jene, deren Löschung gar nicht auffällt, weil ihnen die Prominenz der genannten Beispiele fehlt. Dass Facebook dabei sehr systematisch vorgeht, enthüllte am 21. Mai der britische Guardian. Die Zeitung konnte über einhundert geheime Schulungsdokumente für die Mitarbeiter der Löschzentralen sichten und kommt zu dem Ergebnis, dass sie für Verteidiger der Meinungsfreiheit alarmierend sind.
Während extrem gewalttätige, zum bestialischen Mord aufrufende und beleidigende Posts als unproblematisch gelten, werden die Mitarbeiter aufgefordert, Posts wie „Someone shoot Trump“ („Jemand sollte Trump erschießen“) umgehend zu löschen, weil Trump als Regierungschef zu einer „geschützten Kategorie“ gehöre. Bei Facebook gilt die Meinungsfreiheit also nur so lange, wie die Regierung nicht angegriffen wird, die als besonders schützenswert gilt.
Das ist ein offensichtlicher Verstoß gegen die Meinungsfreiheit, die zuallererst das Recht der Bevölkerung schützt, die Regierung zu kritisieren.
Die enge Verbindung zwischen der Regierung und dem Zensurapparat des Großkonzerns zeigt sich in Deutschland besonders deutlich. Obwohl laut offiziellen Zahlen vom 1. Juni nur 1,5 Prozent der monatlichen Facebook-Nutzer aus Deutschland kommen, werden am Ende des Jahres, wenn das neue Zentrum die Arbeit aufgenommen hat, 16 Prozent der 7500 Facebook-Zensoren in Deutschland operieren.
Ende Juni hat der Bundestag das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz verabschiedet, das Anbieter wie Facebook verpflichtet, die Aufgaben einer Zensurbehörde zu erfüllen. Ohne jeden richterlichen Beschluss müssen die Unternehmen „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ innerhalb von 24 Stunden löschen. Ansonsten drohen Bußgelder von bis zu 50 Millionen Euro. Was „offensichtlich rechtswidrig“ ist, bestimmen somit die großen Internetkonzerne.
Die Zensur des Internets durch Regierung und Konzerne ist dabei keineswegs auf Facebook-Posts beschränkt. Der Suchmaschinen-Monopolist Google lässt ganze Webseiten aus seinen Ergebnisseiten verschwinden und macht sie für Millionen Leser unzugänglich.
Auch dieses Vorgehen war eng mit deutschen Regierungskreisen abgesprochen. Am 25. April kündigte Googles Chefingenieur für die Suchmaschinen, Ben Gomes, an, dass Google fortan Seiten herabstufen werde, „die zur Verbreitung offen irreführender, qualitativ minderwertiger, anstößiger oder einfach nur falscher Informationen beitragen“. Nur drei Wochen zuvor hatte sich Gomes in Deutschland mit Vertretern sämtlicher Landesregierung getroffen und mit ihnen über die Funktionsweise von Suchmaschinen diskutiert.
Googles Zensurmaßnahmen führten dazu, dass zahlreiche Anti-Kriegs-Sites und linke Publikationen massiv heruntergestuft wurden. Dabei wurde insbesondere die World Socialist Web Site zensiert, deren Suchtraffic von Google um 67 Prozent zurückging.
Dass Regierung und Konzerne zu einer derart aggressiven Zensur zurückkehren, kann nur mit den wachsenden sozialen Konflikten erklärt werden. Die Politik des Militarismus und der sozialen Angriffe stößt auf die Opposition der großen Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung. Krieg und Kapitalismus sind mit demokratischen Grundrechten nicht vereinbar.
Deshalb fordern alle im Bundestag vertretenen Parteien in ihren Wahlprogrammen die massive Aufrüstung des Staatsapparats und die Zensur des Internets. Begriffe wie „Fake News“ oder „Hetze“ dienen in diesem Zusammenhang dazu, staatliche Unterdrückung zu rechtfertigen. Die Lügen der großen Medien und die Hetze aller etablierten Parteien gegen Flüchtlinge werden hingegen ungehindert verbreitet.
Die SPD bezeichnet in ihrem Programm „Fake News“ als „eine große Gefahr für das friedliche Zusammenleben und für die freie und demokratische Gesellschaft“. Deshalb fordert sie eine „verbesserte Ausbildung und Ausstattung der Polizeibehörden und Justiz in diesem Bereich“. Sie will das Netzwerkdurchsuchungsgesetzt aufrecht erhalten und die „Reaktionsfristen“ noch verkürzen. „Wer sich nicht an die Vorgaben hält, soll mit empfindlichen Geldbußen bestraft werden.“
Auch die Linkspartei fordert mehr Polizisten und das Vorgehen gegen „verbale Angriffe“ im Netz. „In öffentlichen Räumen wollen wir die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger durch mehr Personal schützen“, heißt es im Wahlprogramm. „Auch in sozialen Netzwerken muss wie allgemein im öffentlichen Raum der Schutz vor verbalen Angriffen, Hetze und Rufmord durchgesetzt werden.“
Diese Wortwahl erinnert nicht zufällig an die Kampagne führender Medien gegen die World Socialist Web Site und die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE). Weil sie (inzwischen auch gerichtlich als solche bestätigte) rechtsradikale Äußerungen des Berliner Professors Jörg Baberowski öffentlich kritisierten, wurden sie des „Mobbings“ und des „Rufmords“ bezichtigt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung beklagte sich kurz vor Gomes‘ Besuch in Berlin, „wie wirkungsmächtig die trotzkistische Splittergruppe ist“, und verlangte die Zensur der WSWS – eine Forderung, die Google inzwischen erfüllt hat.