Die morgige Wahl in Nordrhein-Westfalen hat große bundespolitische Bedeutung. Nicht umsonst werden NRW-Wahlen oft als „kleine Bundestagswahl“ bezeichnet. Mit einer Bevölkerungszahl von 18 Millionen – mehr als die fünf östlichen Bundesländer zusammen – und einer Wählerschaft von über 13 Millionen ist NRW das mit Abstand bevölkerungsreichste Bundesland.
Trotzt der Stilllegung vieler Zechen und Stahlwerke ist das Ruhrgebiet zwischen Dortmund und Duisburg immer noch das größte industrielle Ballungszentrum der Bundesrepublik.
Die morgige Wahl ist so bedeutsam, weil sie in einer außergewöhnlich zugespitzten wirtschaftlichen und politischen Krise stattfindet. Seit der Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten und der Bildung seiner Regierung von Milliardären und Generälen verschärft sich die Krise der kapitalistischen Systems weltweit sehr schnell.
Die Bundesregierung reagiert auf Trumps Wirtschaftsnationalismus und seine ständigen Kriegsdrohungen ihrerseits mit Wirtschaftskrieg und Militarismus. Siebzig Jahre nach dem Zusammenbruch des Hitler-Faschismus erhebt Deutschland wieder den Anspruch, Hegemon Europas und Weltmacht zu sein. Es findet eine rapide militärische Aufrüstung statt. Das Bekanntwerden einer rechtsterroristischen Verschwörung in der Bundeswehr wird genutzt, um die Armeeführung zu reorganisieren und zu stärken und die allgemeine Wehrpflicht wieder einzuführen.
Verbunden mit dieser Politik der militärischen Aufrüstung sind massive Angriffe auf soziale und demokratische Rechte und die Stärkung rechtsextremer Tendenzen. Alle Parteien stimmen in den grundlegenden Fragen überein und arbeiten aufs engste zusammen. Es gibt nicht eine einzige Partei bei der morgigen Wahl, die die Interessen der arbeitenden Bevölkerung vertritt.
Die Entwicklung in NRW macht das sehr deutlich. Die SPD reagiert auf sinkende Umfragewerte und ihre Niederlage bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein vor einer Woche mit einem scharfen politischen Rechtsruck.
Die seit 2010 regierende rot-grüne Koalition unter Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hat den sozialen Niedergang und Verfall, der in NRW und insbesondere im Ruhrgebiet seit Jahrzehnten anhält, noch weiter verschärft.
Die Arbeitslosenquoten einzelner Städte des Ruhrgebiets gehören zu den höchsten in Westdeutschland. Erst Anfang März machte der Paritätische Wohlfahrtsverband in seinem Armutsbericht das Ruhrgebiet (und Berlin) als die „armutspolitischen Problemregionen Deutschlands“ aus. So wuchs die Armut in Dortmund auf 25,7 Prozent (2015) und in Duisburg auf 26,6 Prozent.
In den noch ärmeren Stadtteilen im Norden des Ruhrgebiets führen Arbeitslosigkeit, Armut, verfallende Wohngebiete und höhere Umweltbelastungen zu einer deutlich geringeren Lebenserwartung. Hier ist die Säuglingssterblichkeit höher, Kinder haben häufiger Übergewicht, eine geringere Sprachkompetenz und werden gesundheitlich schlechter versorgt.
Verantwortlich dafür ist die SPD, die mit Ausnahme der Zeit von 2005 bis 2010 seit 1966 die Landespolitik bestimmt und gestützt auf die Gewerkschaften den massiven Arbeitsplatzabbau der letzten fünf Jahrzehnte organisiert hat. SPD und Gewerkschaften bilden eine abgehobenen Kaste, die feindselig gegen die Arbeiterklasse ist. Über zahlreiche Seilschaften und Netzwerke schieben sie sich gegenseitig Posten im Staats-, Partei- und Gewerkschaftsapparat zu. Vor allem die sozialdemokratischen Manager in den kommunalen privatisierten Unternehmen stopfen sich die Taschen voll. Diesen Filz, der in jeder gesellschaftlichen Pore sitzt und das Land lähmt, bezahlt die arbeitende Bevölkerung mit dem nicht enden wollenden sozialen Niedergang.
Hunderttausende von Mitgliedern und Millionen von Wählern haben sich von der korrupten sozialdemokratischen Bürokratie abgewandt. Die Abneigung gegen die SPD sitzt derart tief, dass der Medienhype um Martin Schulz in Windeseile verpufft ist. Die SPD wird als das gesehen, was sie ist: die Partei der Agenda 2010 und der Hartz-Gesetze. Das aktuellste Beispiel dafür ist die Abwahl der rot-grünen Landesregierung in Schleswig-Holstein am letzten Sonntag.
Schulz und Kraft haben darauf mit einem deutlichen Rechtsschwenk reagiert. Der SPD-Kanzlerkandidat sprach am Montag im Ludwig Erhard Haus der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) über seine wirtschaftspolitischen Ziele. Vor den versammelten Unternehmensvertretern versprach er, der Wirtschaft freie Hand zu lassen. Deutschland sei ein starkes Land, „durch den Einsatz von Menschen wie Ihnen im Raum“.
Zum Schluss wies Schulz darauf hin, dass es „zwei Gefahren in einem Wahlkampf“ gebe: „Unerfüllbare Sozialversprechen und unerfüllbare Steuersenkungen.“ Er betonte: „Beides wird es mit mir nicht geben.“ Hannelore Kraft wiederum hatte schon zuvor erklärt, sie werde dafür sorgen, die von ihr in der Landesverfassung verankerte Schuldenbremse einzuhalten, das heißt, ihren Sparkurs weiter zu verschärfen.
Die Linkspartei unterstützt diese Rechtsentwicklung. Sie hat ihr Angebot zur Regierungszusammenarbeit erneuert. „Wir wollen mitregieren“, erklärt die Linken-Spitzenkandidatin Özlem Demirel. 2010 bis 2012 hatte die Linkspartei bereits als Mehrheitsbeschafferin einer rot-grünen Minderheitsregierung gedient und war bei der vorgezogenen Landtagswahl 2012 wieder aus dem Landtag geflogen.
Nutznießer des Rechtsschwenks der SPD und der Linkspartei ist die AfD, die in demagogischer Weise versucht, die verbreitete Frustration über wachsende Armut und Not in eine rassistische und rechtsextreme Richtung zu lenken. Doch die Rechten profitieren nicht nur von der sozialen Krise. Inzwischen übernehmen die SPD und die von ihr dominierten Gewerkschaften immer offener die rechten Standpunkte der AfD und treiben ihr so Wähler in die Arme.
Am deutlichsten wird dies in den aktuellen Auseinandersetzungen bei ThyssenKrupp-Steel. Die Stahltochter des ThyssenKrupp-Konzerns beschäftigt im Ruhrgebiet 22.000 der 27.000 Stahlarbeiter in NRW. Der Konzern hat ein 500 Millionen Euro schweres Sparprogramm angekündigt, unmittelbar droht zusätzlich ein Abbau von über 4000 Arbeitsplätzen.
Die Politik, die die IG Metall und die ThyssenKrupp-Betriebsräte propagieren, ist von Nationalismus und Deutschtümelei geprägt, die den Rechten in nichts nachsteht. IG Metall und Betriebsräte fordern schon lange Strafzölle auf Stahlimporte, vor allem aus China. Dabei stehen sie Seite an Seite mit den Konzernvorständen, wie auf dem Stahlaktionstag im letzten Jahr.
In der aktuellen Auseinandersetzung haben sie dem von ThyssenKrupp geforderten Arbeitsplatzabbau und den Einsparungen längst zugestimmt. Nun hetzen sie gegen britische und niederländische Arbeiter, weil der ThyssenKrupp-Vorstand seit Monaten mit der Tata-Gruppe über eine Fusion der beiden Stahlkonzerntöchter oder einen Verkauf von ThyssenKrupp-Stahl verhandelt.
Das nationalistische Geschrei von IG Metall, SPD und Linkspartei wird immer lauter und schriller. Er werde nicht zulassen, dass künftig die Entscheidungen über die Zukunft der Arbeitsplätze hierzulande „nicht mehr in Duisburg oder Essen sondern in London, den Niederlanden oder Mumbai getroffen werden“, rief NRW-Landeswirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) auf einer Gewerkschaftskundgebung vor zwei Wochen.
Strafzölle, Verteidigung „deutscher Arbeitsplätze“, enge Zusammenarbeit zwischen Regierung, Gewerkschaften und Unternehmen im Namen der Standortverteidigung und deutscher Interessen – das ist die Politik von SPD, IGM und Linkspartei und leitet Wasser auf die Mühlen der AfD.
Die politische Entwickelung in NRW widerlegt alle, die die SPD als kleineres Übel bezeichnen und behaupten, sie könne nach „links gedrückt“ werden. Im Gegenteil, je größer die Opposition in der Arbeiterklasse und der Jugend, desto schärfer wenden sich SPD und Gewerkschaften gegen sie.
Arbeiter – nicht nur in NRW – müssen sich auf heftige soziale und politische Kämpfe einstellen. Das erfordert einen bewussten Bruch mit SPD und Gewerkschaften und den Aufbau einer marxistischen Führung in der Arbeiterklasse, die für eine unabhängige internationale und sozialistische Perspektive kämpft. Dazu ist der Aufbau der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) als deutsche Sektion der Vierten Internationale dringend notwendig.