Der gestrige Aktionstag „Stahl ist Zukunft“ war eine reaktionäre und schändliche Inszenierung. Während viele Stahlarbeiter über die Zukunft ihrer Arbeitsplätze hochgradig besorgt sind, organisierte die IG Metall die Kundgebungen als Kulisse, vor der Konzernchefs und Regierungsvertreter Schutzzölle und Handelskriegsmaßnahmen gegen China fordern konnten.
Bundesweit beteiligten sich rund 45.000 Stahlarbeiter an Kundgebungen in Duisburg, Berlin, Saarbrücken und mehreren weiteren Städten. Überall sprachen neben hochrangigen Gewerkschaftsfunktionären und Betriebsräten auch Regierungsvertreter und Stahlbosse.
Es ging nicht um die Verteidigung der Arbeitsplätze, auch wenn immer wieder davon gesprochen wurde. Stattdessen ging es um die Durchsetzung deutscher Wirtschaftsinteressen und die Wahrung der Profite der Konzerne. Dazu forderten alle Sprecher Strafmaßnahmen gegen China und den Abbau von geplanten Umweltschutzauflagen.
Gleichzeitig wurde den Arbeitern mit Hinweis auf eine notwendige Konsolidierung der Stahlindustrie ein weiterer Abbau ihrer Arbeitsplätze angekündigt. Die IG Metall-Funktionäre waren sichtlich bemüht, den wachsenden Konflikt mit den heimischen Stahlkonzernen, die einen massiven Arbeitsplatzabbau vorbereiten, in einen gemeinsamen Kampf von Arbeitern und Unternehmern gegen China zu lenken.
Duisburg
Die größte Kundgebung fand in Duisburg statt. Laut Gewerkschaftsangaben kamen 16.000 Arbeiter vor das Tor 1 des ThyssenKrupp-Stahlwerks im Duisburger Norden. Zahlreiche Delegationen von Stahlarbeitern aus dem gesamten Bundesgebiet waren angereist.
Sie wurden schon vorher durch Videofilme auf der Leinwand der Kundgebungsbühne auf die nationalistische Ausrichtung des Aktionstags eingestimmt. Wenn die Menge des nach Deutschland importierten chinesischen Stahls hier in Deutschland hergestellt worden wäre, so ein Informationsfilm der Gewerkschaft, hätte dies nicht 14 Mio. Tonnen CO2-Ausstoß bedeutet, sondern „nur“ 9,8 Mio. Tonnen. (Jährlich werden 35 Milliarden Tonnen an CO2 ausgestoßen.)
Hauptredner waren IGM-Chef Jörg Hofmann und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD).
Hofmann erklärte: „Wenn China beansprucht, eine Marktwirtschaft zu sein, dann müssen sie sich auch an die Marktgesetze halten.“ „Staatlich subventionierter Dumping-Stahl“ gehöre nicht dazu. „Wir wollen keinen Protektionismus“, behauptete er, „sondern fairen Wettbewerb“.
„Wir hatten in der Stahlindustrie viele Umstrukturierungen und das wird auch so weitergehen“, kündigte er an. „Doch das geht nur mit den Belegschaften“, rief er.
Gemeint ist die Gewerkschaft. Sie bietet sich an, die kommenden Angriffe – IGM, Stahlkonzerne und Politiker sprachen in Duisburg ständig von „notwendiger Konsolidierung“ – gegen die Belegschaften durchzusetzen. Dazu wollen sie gemeinsam mit den Stahlkonzernen „in Berlin und Brüssel mit am Tisch sitzen“, so Hofmann.
Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende des ThyssenKrupp-Stahlkonzerns Günter Back formulierte es so: „Bei der weiteren Konsolidierung der Stahlindustrie lassen wir uns nicht an den Katzentisch setzen.“
„2016 ist das Schicksalsjahr für Stahl“, rief Hofmann. Viele andere Redner vor und nach ihm bemühten diese Formulierung.
Hofmann forderte die Bundesregierung auf, sich für die „Zukunftsfähigkeit“ der Stahlindustrie einzusetzen. „Daher ist es gut, dass unser IG-Metall-Kollege und Vizekanzler Sigmar Gabriel heute hier ist.“
Bundeswirtschaftsminister Gabriel begann mit einer eigenen Erfahrung. Er komme aus Salzgitter und habe lange Zeit für die IGM im Aufsichtsrat der Salzgitter AG gesessen. „Damals [1998] haben wir uns dafür eingesetzt, die Salzgitter AG nicht zu verscherbeln, sondern kurzfristig zu verstaatlichen, um die Arbeitsplätze zu sichern.“
Das Land Niedersachsen hält 26,5 % der Anteile an Deutschlands zweitgrößtem Stahlkonzern. Einen besseren Schutz für die Arbeitsplätze bedeutet das allerdings nicht. Auch die Salzgitter AG baut Stellen ab.
Auch Gabriel wandte sich gegen die chinesischen Stahlimporte: „Die EU muss endlich Maßnahmen ergreifen gegen Stahl, der unter Herstellungskosten auf den Markt kommt.“ Der SPD-Vorsitzende berichtete, dass Mitglieder der Regierung vor einem Handelskrieg mit China warnten. Er sieht dem aber selbstbewusst entgegen. Man könne nichts erreichen, „wenn man den Schwanz einzieht“. „Klare Sprache, das verstehen die Chinesen.“
Dem „lieben Jörg“ (IGM-Chef Hofmann) versprach er, er werde keiner Regelung zustimmen, die den Schutz der Arbeitsplätze nicht genauso ernst nehme wie den Schutz des Klimas, weder in Europa noch in der Bundesregierung. Wenn eine Konsolidierung notwendig sei, „dann darf die nicht nur (!) in Deutschland stattfinden“.
Zuvor hatte der Leiter des IGM-Stahlbüros in Düsseldorf, Heiko Reese, betont, die IGM führe den Kampf für die Stahlindustrie gemeinsam mit den Arbeitgebern. „Ich freue mich daher, den Präsidenten der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Herrn Hans Jürgen Kerkhoff, begrüßen zu dürfen.“
Der Industrielle erklärte, die Stahlindustrie sei systemrelevant für dieses Land. Wohin die Konzentration auf Banken und Dienstleistungen führe, zeige Großbritannien. Auch Gabriel bemühte Großbritannien als Negativ-Beispiel. Anders als dort kämpfe man gegen die De-Industrialisierung Deutschlands, sagte Kerkhoff. „Wir kämpfen für die Wettbewerbsstärke Deutschlands. Dafür benötigen wir die Bundesregierung und die Landesregierungen.“
Als anschließend die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft die Unterstützung des Landes anbot, empörte sich ein Duisburger Stahlarbeiter von Thyssen-Krupp. „Das haben sie in Bochum den Opel-Arbeitern auch gesagt. Und was ist das Ergebnis? Das Werk ist abgerissen und von über 5.000 Arbeitern haben höchstens 500 jetzt einen Arbeitsplatz.“
Die meisten Arbeiter reagierten ähnlich skeptisch bis argwöhnisch auf die IG-Metall-Funktionäre sowie die Riege der Lokal-, Landes- und Bundespolitiker, die sich eingefunden hatten. „Die sitzen doch mit den Arbeitgebern zusammen und handeln den kommenden Arbeitsplatzabbau aus“, sagten zwei Stahlarbeiter von ThyssenKrupp aus Dortmund noch vor Kundgebungsbeginn. „Das ist doch alles Show von der IG Metall.“
Berlin
Bei der Kundgebung vor dem Berliner Kanzleramt verbreiteten die Vertreter der IG-Metall und die geladenen Stahlbosse und Regierungspolitiker, darunter Albrecht Gerber (SPD), Minister für Wirtschaft und Energie in Brandenburg, Martin Günthner (SPD), Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen in Bremen, und Prof. Dr. Rudolf Hickel vom Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen, ebenfalls anti-chinesischen Nationalismus.
Sie sprachen unter anderem davon, „die chinesischen Machthaber zur ökologischen Vernunft zu bringen“, die „Großmacht China in die Schranken zu weisen“ und mahnten immer wieder, die deutschen Gewerkschaften, Konzerne und Politiker dürften „sich nicht gegen China auseinanderdividieren lassen“.
Sobald Reporter der World Socialist Web Site mit Stahlarbeitern ins Gespräch kamen, wurde deutlich, dass viele den Nationalismus der Gewerkschaften ablehnen. Zwei junge Arbeiter aus Eisenhüttenstadt bemerkten: „Die Arbeiter in China machen doch letztlich den gleichen Job wie wir und stehen vor den gleichen Problemen“. Sie stimmten zu, dass ihre Verbündeten die Arbeiter in ganz Europa und weltweit seien und nicht die Gewerkschaftsbürokraten, Stahlbosse und Politiker vor ihnen auf dem Podium.
Ein älterer Arbeiter, ebenfalls aus Eisenhüttenstadt, betonte, dass der Stellenabbau der letzten Jahre in enger Zusammenarbeit zwischen der Gewerkschaft und den Unternehmen durchgeführt worden sei. Von einst mehr als 10.000 Stahlarbeitern seien heute nur noch etwa 2500 übrig. Es entwickelte sich eine längere Diskussion über die Notwendigkeit einer sozialistischen Perspektive und eines gemeinsamen internationalen Kampfs der Arbeiter unabhängig von den Gewerkschaften.
Mitglieder der Partei für Soziale Gleichheit (PSG) verteilten Tausende Flugblätter mit der gemeinsamen Erklärung der PSG und ihrer Schwesterpartei, der britischen Socialist Equality Party. Darin heißt es: „Der nationalistische Schulterschluss der Gewerkschaften mit den Stahlkonzernen ist in jeder Hinsicht reaktionär:
- Er rettet keinen einzigen Arbeitsplatz, sondern dient dem weiteren Abbau von Arbeitsplätzen, Löhnen und Sozialleistungen.
- Er spielt die europäischen Arbeiter gegen die chinesischen und die Arbeiter innerhalb Europas gegeneinander aus. Er verhindert so jeden effektiven Widerstand gegen die international operierenden Konzerne.
- Er verschärft internationale Spannungen und Konflikte; Protektionismus und Handelskrieg sind die Vorstufen zum militärischen Krieg.“
Der gestrige Aktionstag der IG Metall bestätigte diese Einschätzung auf der ganzen Linie und muss Arbeitern eine ernste Warnung sein.