Die Verhaftung eines Bundeswehroffiziers unter dem Verdacht, er habe eine schwere, staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, hat einen rechtsextremen Abgrund aufgetan. Rassistische, autoritäre und gewaltverherrlichende Auffassungen sind in der Bundeswehr nicht nur weit verbreitet, sondern werden von Vorgesetzten auch aktiv ermutigt oder zumindest geduldet. Mit der Verwandlung der Bundeswehr aus einer weitgehend defensiven Wehrpflichttruppe in eine kämpfende Berufsarmee sind auch die militaristischen Traditionen wieder zum Leben erwacht, die in der deutschen Geschichte eine verheerende Rolle spielten.
Der 28-jährige Oberleutnant Franco A. wurde letzte Woche festgenommen, nachdem er der österreichischen Polizei beim Abholen einer versteckten Waffe im Wiener Flughafen aufgefallen war. Es stellte sich schnell heraus, dass A. eine Doppelexistenz führte. Neben seiner Tätigkeit in der Bundeswehr hatte sich der deutsche Berufssoldat, der kein Wort arabisch spricht, auch als syrischer Flüchtling registrieren lassen und war als solcher anerkannt worden.
Damit verfolgte er anscheinend den Zweck, einen geplanten Terroranschlag zu tarnen und unter falscher Flagge auszuführen. Bei Hausdurchsuchungen wurde eine Liste mit möglichen Zielen gefunden, auf der sich neben linken Politikern und Aktivisten auch der frühere Bundespräsident Joachim Gauck und Justizminister Heiko Maas befinden.
Franco A. handelte nicht allein. Bei einem ebenfalls verhafteten 24-jährigen Komplizen fand die Polizei Granaten und Handfeuerwaffen. Das Verteidigungsministerium informierte die Obleute des Verteidigungsausschusses des Bundestags außerdem, dass A. möglicherweise Teil eines rechtsextremen Netzwerkes innerhalb der Bundeswehr sei.
Die hektische Reaktion der Armeeführung deutet darauf hin, dass dieses Netzwerk weit umfangreicher ist und viel höher reicht, als dies bisher bekannt ist. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sagte eine geplante Reise in die USA ab und bat für Donnerstag einhundert hohe militärische Führungskräfte nach Berlin, „um Aufklärung und Konsequenzen der angehäuften Fälle in der Bundeswehr zu besprechen“.
Inzwischen weiß man, dass A.s Vorgesetzte seine rechtsradikale Gesinnung seit langem kannten und ihn deckten. Bereits 2014 war seine Abschlussarbeit an der französischen Militäruniversität Saint-Cyr mit der Begründung abgelehnt worden, es handle sich nicht um eine wissenschaftliche Arbeit, sondern „um einen radikalnationalistischen, rassistischen Appell“, um einen Aufruf, „die gegebenen Verhältnisse an das vermeintliche Naturgesetz rassischer Reinheit“ anzupassen. Der zuständige französische General riet A.s deutschen Vorgesetzten, ihn abzulösen. Doch diese befanden, A. sei kein Rassist, vertuschten den Fall und förderten seine Karriere.
Auch im französischen Illkirch, wo A. in einer deutsch-französischen Einheit Dienst tat, war die rechtsextreme Gesinnung des Oberleutnants ein offenes Geheimnis. In seinem Zimmer fanden Ermittler der Bundeswehr „Hinweise auf rechtes und völkisches Gedankengut“. Neben einem Hakenkreuz, das auf ein Sturmgewehr eingeritzt war, entdeckten sie Bilder, die Hitlers Wehrmacht verherrlichen.
Rechtsradikale Auffassungen sind in der Bundeswehr weit verbreitet. Nach eigenen Angaben prüft der zuständige Militärische Abschirmdienst (MAD) derzeit 275 rechtsextreme Verdachtsfälle. Diese Prüfung hat reine Alibi-Funktion. Selbst schwerwiegende Vergehen bleiben meist folgenlos. So wurde das Verfahren gegen einen Soldaten eingestellt, der das Foto eines Maschinengewehrs im Anschlag ins Netz gestellt und darunter notiert hatte: „Das schnellste deutsche Asylverfahren, lehnt bis zu 1400 Anträge in der Minute ab.“
Die Tradition von Hitlers Wehrmacht wird in der Bundeswehre ganz offiziell gepflegt. Zahlreiche Kasernen tragen den Namen von Wehrmachtoffizieren, die tief in die nationalsozialistische Rassen- und Eroberungspolitik verstrickt waren.
Auch die beiden Universitäten der Bundeswehr in München und Hamburg lassen immer wieder durch Rechtsextremismus von sich hören. So entzündete sich 2011 in München ein Streit um die Studierendenzeitschrift Campus, weil sich drei ihrer Redakteure positiv auf die Konservative Revolution bezogen, die zu den geistigen Wegbereitern des Nationalsozialismus zählt.
In Hamburg erschien 2014 das Buch „Armee im Aufbruch“ mit Beiträgen von sechzehn Offizieren, die an der dortigen Bundeswehr-Universität studieren und über Kampferfahrung in Afghanistan verfügen. Es offenbart eine Vorstellungswelt und Sprache, wie man sie bisher nur aus der kriegsverherrlichenden Literatur der Nazis kennt.
Diese Offiziere verstehen sich als Elite, die im Gegensatz zu einer „hedonistischen und individualistischen“, auf „Selbstverwirklichung, Konsumlust, Pazifismus und Egoismus“ konzentrierten Gesellschaft steht, einer Gesellschaft, die kein Verständnis für das „Streben nach Ehre durch eine hohe Opferbereitschaft“, für eine „patriotische Einstellung zu Volk und Vaterland“ und für „Mut, Treue und Ehre“ hat. Ein Autor fordert, die „Elite des deutschen Offizierskorps“ müsse sich von der „breiten Masse“ der „individualisierten Gesellschaft“ abheben. Die Masse der Bevölkerung sei „völlig inkompatibel mit dem soldatischen Wesen“.
Das Buch löste keinen Protest aus. Die rechte, diktatorische Gesinnung, die darin zum Ausdruck kommt, wird quer durch alle politischen Parteien geteilt. Als Verteidigungsministerin von der Leyen (CDU) versuchte, den Schaden des Falls Franco A. zu begrenzen, indem sie vor einem „falsch verstandenen Korpsgeist“ und „Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen“ warnte, löste sie damit einen Sturm der Entrüstung aus. Sie könnte ihr Amt verlieren – nicht weil aus den Reihen der Bundeswehr ein Terroranschlag auf den Bundespräsidenten, auf Minister und Abgeordnete geplant wurden, sondern weil sie zu scharf dagegen vorgeht!
Am lautesten empörten sich die SPD, die Grünen und Die Linke. Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz warf der Verteidigungsministerin mangelndes Verantwortungsbewusstsein vor. Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold forderte sie auf, sich bei den Soldaten zu entschuldigen. Der frühere stellvertretende Juso-Vorsitzende Lars Klingbeil beschuldigte von der Leyen, sie falle „Hunderttausenden Soldaten in den Rücken“. Der grüne Verteidigungsexperte Tobias Lindner erklärte: „Die Bundeswehr kann nichts dafür, dass sie als Armee für Rechtsextreme eine erhöhte Anziehungskraft besitzt.“ Und sein Kollege von der Linkspartei, Alexander Neu, verwahrte sich dagegen, die Soldaten angesichts des Falls Franco A. unter Generalverdacht zu stellen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Die Anzeichen auf ein rechtes Terrornetzwerk in der Bundeswehr, die weite Verbreitung rechtsextremer Auffassungen in ihren Reihen und ihre Verteidigung durch sämtliche Bundestagsparteien stehen in direktem Zusammenhang mit der Wiederbelebung des deutschen Militarismus.
Mit der Rückkehr Deutschlands zu einer Großmachtpolitik und der Verwandlung der Bundeswehr in eine Berufsarmee, die auf der ganzen Welt Krieg führt, kommen auch die Gespenster der Vergangenheit zurück. Die Behauptung, die herrschende Klasse habe aus dem Holocaust und den Verbrechen der Nazis gelernt und die Bundeswehr habe sich dank „innerer Führung“ geläutert, entpuppt sich als Mythos.
Die Rückkehr der Vergangenheit beschränkt sich nicht auf die Bundeswehr. Rechte Professoren, wie Herfried Münkler und Jörg Baberowski an der Berliner Humboldt-Universität, arbeiten intensiv daran, ein neues Narrativ des zwanzigsten Jahrhunderts zu entwickeln, das die Verbrechen des deutschen Imperialismus verharmlost.
Weil die Sozialistische Gleichheitspartei und die IYSSE dagegen protestiert und aufgezeigt haben, dass die Revision der Geschichte der Wiederbelebung des Militarismus dient, wurden sie von führenden Medien angegriffen und verleumdet. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung tat sich dabei besonders hervor. Nun zeigt sich weshalb. Das führende konservative Blatt verteidigt vehement die Bundeswehr und rechtfertigt die rechtsradikalen Tendenzen in ihren Reihen.
Am Dienstag machte sich Mitherausgeber Berthold Kohler in einem Kommentar über das „Wunschbild“ lustig, „die Bundeswehr möge eine Art Pfadfindertruppe sein, die überall die frohe Botschaft des Grundgesetzes verbreitet, damit die Welt endlich am neuen deutschen Wesen genese“. Er verteidigte den „Korpsgeist“ mit den Worten: „Wer Soldaten und Soldatinnen in Krisen und Kriege schickt, muss sie – und sich – auf die Härte und Grausamkeit vorbereiten, die sie dort erwarten.“ Weil die Bundeswehr „ihren Angehörigen das Kämpfen und Töten“ beibringe, müsse „sie bei der Ausbildung ihrer Kampfeinheiten bis hart an die Grenzen der noch zulässigen Härte gehen dürfen.“
Das Vordringen des Militarismus in alle Bereiche der Gesellschaft ist ein internationales Phänomen. Die herrschende Klasse reagiert damit auf die wachsende Krise des kapitalistischen Systems. In den USA hat Donald Trump, der rechteste Präsident in der amerikanischen Geschichte, sämtliche sicherheitsrelevanten Ministerien – Verteidigung, Homeland Security, Nationaler Sicherheitsrat – mit Generälen besetzt. In Frankreich gehören schwerbewaffnete Soldaten seit der Verhängung des Ausnahmezustands vor eineinhalb Jahren zum Straßenbild.
Die Rückkehr von Militarismus und Krieg kann nur durch eine internationale Bewegung der Arbeiterklasse gestoppt werden, die für den Sturz des Kapitalismus kämpft.