Berliner Flughäfen: Stimmt mit „Nein“ gegen den Verdi-Abschluss!

Der Tarifabschluss für die Bodenverkehrsdienste an den Berliner Flughäfen Tegel und Schönefeld muss abgelehnt werden! Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat einem Abschluss zugestimmt, der die Billiglohnarbeit auf Jahre hinaus festschreibt und den Arbeitern mit einem dreijährigen Streikverzicht die Hände bindet.

Rund 2000 Beschäftigte des Bodenpersonals hatten Mitte März einen Streik praktisch zu hundert Prozent befolgt. Der Ausstand legte die beiden Berliner Flughäfen drei Tage lang fast vollständig lahm und hatte Auswirkungen weit über Berlin hinaus. Auch Nicht-Gewerkschaftsmitglieder nahmen daran teil, obwohl sie für die Streiktage keine Streikgelder erhielten.

Die Arbeiter waren bereit, den Kampf gegen die Dumpinglöhne und die mörderischen Arbeitsbedingungen zu führen, die seit der Privatisierung der Bodendienste an allen Flughäfen Einzug halten. Streikende Kollegen berichteten der WSWS, wie die Aufspaltung der Arbeiter in befristet Beschäftigte, Leiharbeiter und ältere Festangestellte heute die Arbeitshetze steigert, die Löhne zerstört und die Sicherheitsstandards untergräbt.

Einer sagte: „Wir wollen die Maschinen endlich vernünftig abfertigen, mit ausreichendem Personal, mit Zeit zur Vorbereitung und einem funktionierenden Equipment, und ein gutes Gewissen dabei haben, dass die Passagiere gut behandelt werden und die Maschinen sicher ankommen.“

Die Gewerkschaftsführung verfolgte jedoch ganz andere Ziele. Seit Jahren arbeitet sie eng mit Luftfahrt- und Flughafen-Unternehmern und Politikern zusammen, um die Standorte im internationalen Wettbewerb zu verteidigen. In Berlin arbeitet Verdi im Forum der Bodenverkehrsdienstleister Berlin-Brandenburg Hand in Hand mit den Arbeitgebern an diesem Ziel.

Bundesweit hat die Verdi-Betriebsrätekonferenz vom April letzten Jahres ihren nationalistischen und profitorientierten Kurs ausdrücklich festgeschrieben. Auf jener Konferenz bekräftigten Gewerkschaftsfunktionäre, Regierungsvertreter und Manager der Luftkonzerne ausdrücklich das gemeinsame Ziel: „Stärkung des Luftverkehrsstandorts Deutschland und Erhalt seiner Wettbewerbsfähigkeit.“

Eine grundsätzliche Verbesserung der Arbeitslöhne und -bedingungen würde diesem Ziel entgegenstehen. Daher lehnte die Gewerkschaft einen prinzipiellen, gemeinsamen Arbeitskampf aller Bodenarbeiter strikt ab. In Berlin hatte sie niemals die Absicht, die Situation grundlegend zu ändern. Deshalb stellte sie von Anfang an nur die erbärmliche Forderung nach einem Euro mehr pro Stunde auf.

Als dann Ende Februar 98,6 Prozent der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter in Berlin für einen unbefristeten Streik stimmten, waren die Gewerkschaften Verdi und IG Bau entschlossen, nur eintägige Streikaktionen zuzulassen, den ersten davon am 10. März.

An einem zweiten Streiktag am 13. März hofften viele Beschäftigte, jetzt endlich einen ernsthaften Arbeitskampf gegen die Niedriglöhne und miserablen Arbeitsbedingungen führen zu können. Verdi sah sich gezwungen, den Streik um weitere 24 Stunden zu verlängern. Doch schon am nächsten Tag brach Verdi den Ausstand ab, obwohl die Arbeitgeber keinerlei Zugeständnis gemacht und kein neues Angebot vorlegt hatten.

Stattdessen schlug Verdi nun sogenannte „Sondierungsgespräche“ vor. Auf der Verdi-Webseite erschien ein Aufruf in dem es hieß: „Wir schlagen den Arbeitgebern vor, dass Gespräche – gerne im Rahmen einer Sondierung – unter Hinzuziehung eines Vermittlers schnellstmöglich aufgenommen werden sollen. ... Unsere Argumente und auch mögliche Kompromisslinien sind den Arbeitgebern bekannt.“

Gleichzeitig teilte die Verdi-Streikleitung mit, dass während der Sondierung keine Streikaktionen stattfänden. Der einzige Sinn der Sondierungsgespräche bestand darin, den Streik abzuwürgen.

Es wurde klar, dass der Streik für die Gewerkschaft von Anfang an nur eine Art Ventil war, um Dampf abzulassen, damit die Situation nicht eskalierte. Die Verdi-Funktionäre ließen drei Tage Streik zu, um den Anschein eines „Arbeitskampfs“ zu erwecken, ehe sie sich zu Geheimverhandlungen mit der Arbeitgeberseite zurückzogen.

Bewusst isolierte die Gewerkschaft die Streikenden in Berlin von den Auseinandersetzungen an anderen Flughäfen – in Stuttgart, Hamburg, Köln/Bonn, Frankfurt/Rhein-Main, Düsseldorf oder München –, wo es unter den Flughafenbeschäftigte genauso brodelt. Weit davon entfernt, den Kampf um bessere Bedingungen gemeinsam aufzunehmen, schließt Verdi an einem Flughafen nach dem anderen eigene Haus- und Standorttarife ab.

Ein vor Monaten lauthals verkündetes Projekt, bundesweit einen einheitlichen Tarifvertrag für alle Flughafen-Bodendienste durchzusetzen, war niemals ernst gemeint und wurde von Verdi längst sang- und klanglos zu Grabe getragen.

Verdi brach den Streik in dem Moment ab, als er große Wirkung zeigte, und schlug eine „Vermittlung“ durch den früheren Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) vor. Körting ist kein Unbekannter. Er spielte in der Berliner rot-roten Koalitionsregierung (2002–2011) eine wichtige Rolle. Im Januar 2003 setzte Körting durch, dass der SPD/PDS-Senat aus dem Bundestarifvertrag des öffentlichen Dienstes austrat, und machte so den Weg für die heutigen Dumping-Strukturen frei.

Dass Verdi das Vermittlungsergebnis in derselben Art und Weise preist wie Körting und die Unternehmer, ist bezeichnend. Die Behauptung, es sei eine Tariferhöhung im Volumen von etwa vierzehn Prozent, verteilt auf drei Jahre, erreicht worden, ist ein bewusster Täuschungsversuch und soll davon ablenken, dass Niedriglöhne tarifvertraglich festgeschrieben und zementiert werden.

In Wahrheit bedeutet der Abschluss für viele Arbeiter nach wie vor ein Lohnniveau knapp über dem Existenzminimum. Etwa 75 Prozent der Bodenverkehrsbediensteten fallen in die vier untersten Einkommensgruppen EG1 bis EG4, mit einem Stundenlohn zwischen 9,30 Euro und 11,40 Euro. Für die meisten von ihnen sieht der Tarifabschluss einen Stundenlohnzuwachs von einem Euro bis 1,80 Euro im Jahr 2017 vor.

Das bedeutet, dass viele dieser Arbeiter auch zum Ende dieses Jahres für ihre Knochenarbeit nicht mehr als elf Euro brutto die Stunde erhalten werden. Die Bruttomonatslöhne liegen bei Vollzeitbeschäftigung weiterhin bei 1600 bis 1900 Euro. Wie soll man von diesem Geld Miete, Fixkosten, Lebensunterhalt und vielleicht gar ein Auto finanzieren?

Für die vielen Beschäftigten mit Teilzeitverträgen, die im Monat nur 120 oder 130 Stunden arbeiten, sieht es noch schlimmer aus. Für sie lag das monatliche Nettoeinkommen bisher noch wesentlich tiefer, zwischen 880 und 945 Euro, also knapp über der Armutsgefährdungsschwelle, die im Jahr 2015 in Deutschland bei 851 Euro lag. Viele Teilzeitarbeiter müssen also noch einen zweiten Job annehmen oder beim JobCenter aufstocken. Das betrifft vor allen Dingen allein erziehende Frauen.

Die unregelmäßigen Arbeitszeiten, die täglich zwischen 4 Uhr morgens und 22 Uhr abends schwanken können, lassen eine regelmäßige Zweitarbeit kaum zu. Daher war schon die Forderung von einem Euro Lohnerhöhung viel zu niedrig, um ein Existenzminimum zu garantieren. Mit dem neuen Tarifabschluss wird das Nettogehalt der Teilzeitarbeitenden im Jahr 2019 gerade mal bei rund 1000 bis 1300 Euro liegen!

Hinzu kommt, dass ein Teil dieses Einkommens zusätzlich durch die steigende Inflation wieder aufgefressen wird. Bei einer jährlichen Inflationsrate von 1,4 % (2017), 1,7% (2018) und 1,9% (2019), wie sie die Bundesbank prognostiziert, wird die Kaufkraft dieser Dumpinglöhne weiter empfindlich geschmälert werden. Und war die obersten Lohngruppen EG7 und EG8 betrifft, so beträgt ihre Gehaltssteigerungen für die gesamte Laufzeit bis zum Ende 2019 insgesamt nur zwischen fünf und sechs Prozent, was noch nicht einmal die Inflation ausgleicht.

Der Abschluss dient dazu, die Struktur der Bodendienste aufrecht zu erhalten, die darin besteht, dass private Dienstleister und Leiharbeitsfirmen den internationalen Wettbewerb nutzen, um die Ausbeutungsbedingungen immer weiter zu verschärfen. Deshalb muss das Verhandlungsergebnis in der Urabstimmung abgelehnt werden.

In diesem Zusammenhang muss nochmal betont werden, dass Verdi direkt an den Privatisierungsmaßnahmen und der Einführung von Niedriglöhnen beteiligt war.

Im Herbst vergangenen Jahres veröffentlichte die Wochenzeitung Freitag einen interessanten Bericht unter dem Titel „Sklaven des Himmels“. Darin schildert der Autor Jörn Boewe, mit welchen massiven Verschlechterungen die Privatisierung der Bodendienste einher ging. Er betont ausdrücklich, dass „auch Grüne, Linke, SPD und Gewerkschaften“ das Spiel mitspielten. Um den Flughafen Berlin-Schönefeld für Easyjet attraktiv zu machen, habe der damals noch mehrheitlich im öffentlichen Besitz befindliche Abfertiger Globeground 2003 auf Druck des rot-roten Senats die Billiglohntochter Ground Service International ausgegründet. „Betriebsrat und Verdi stimmten zu.“

2007 sei Globeground mitsamt der Billigtochter an den privaten Frankfurter Dienstleistungskonzern Wisag, einen der aggressivsten Player der Branche, verkauft worden. „Vorher verzichteten die Beschäftigten mit einem Absenkungstarifvertrag noch auf ein Fünftel ihres Einkommens“, berichtet Boewe und schreibt: „Nicht einmal zehn Jahre nach dem Startschuss für die Dumpinglohnstrategie bei Globeground arbeiteten 40 Prozent aller Bodenverkehrsbeschäftigten an deutschen Flughäfen im Niedriglohnsektor, oft zu Stundenlöhnen von weniger als acht Euro, mit Leiharbeitsquoten um 50 Prozent.“

Der damals stark enga­gierte Verdi-Fachgruppenleiter Luftverkehr, Ingo Kronsfoth, habe später die Seiten gewechselt und sei Geschäftsführer bei der Wisag geworden.

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