Ungarn baut Konzentrationslager für Flüchtlinge

Ungarn will alle Flüchtlinge im Land künftig in geschlossenen Internierungslagern nahe der Außengrenzen einsperren. Die Lager bestehen aus Containerdörfern. Die großen Schiffscontainer für jeweils 200 bis 300 Flüchtlinge erinnern fatal an die Baracken der Nazi-Konzentrationslager. Sie sind mit hohen Stacheldrahtzäunen und Wachtürmen gesichert. Bewaffnete Grenzpolizei mit Hundestaffeln unterstützt von rechtsradikalen Schlägerbanden patrouillieren an den Lagergrenzen.

Ab sofort ist es allen Flüchtlingen und Asylbewerbern unmöglich, sich in Ungarn frei zu bewegen oder das Land zu verlassen, so lange ihr Verfahren läuft. Das Parlament in Budapest verabschiedete einen entsprechenden Gesetzentwurf am Dienstag mit den Stimmen der rechtskonservativen Regierungspartei Fidesz sowie der oppositionellen rechtsextremen Jobbik. Mit dem Parlamentsvotum wird eine Praxis wieder eingeführt, die Ungarn 2013 unter dem Druck von EU, UN und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ausgesetzt hatte.

Ungarns ultrarechte Regierung unter Premierminister Viktor Orbán verschärft damit ihre aggressive Abschottung gegenüber Flüchtlingen. Bereits Anfang Januar hatte sie eine Schutzhaft für alle Asylbewerber im Land erwogen und das mit Sicherheitsrisiken begründet.

Obwohl Ungarns Grenzen bereits hermetisch abgeriegelt sind, warnte Orbán vor einer „Flüchtlingswelle“, die das Land zu überrollen drohe. Ungarn befände sich „unter Belagerung“. Weil sich in jedem Augenblick Hunderttausende Migranten auf den Weg nach Europa machen könnten, so Orbán, dürfe man sich nicht zurücklehnen, sondern müsse die Grenze auf das strengste und mit allen Mitteln schützen.

„Migration ist das trojanische Pferd des Terrorismus“, rief er in einer ausländerfeindlichen Hassrede am Dienstagvormittag in einer Budapester Messehalle vor mehreren Hundertschaften frisch vereidigter Grenzjäger. Die Migranten kämen nach Europa, so Orbán, um nach ihrer eigenen Kultur und ihren eigenen Gewohnheiten zu leben, das aber auf „europäischem Niveau“ und auf europäische Kosten.

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl protestierte scharf gegen den Beschluss des ungarischen Parlaments, Asylbewerber künftig in Lagern festzuhalten und zu internieren. Europareferent Karl Kopp sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung: „Die Inhaftierung von Asylsuchenden in Ungarn verstößt eklatant gegen EU-Recht und internationales Recht.“

Kopp forderte, die EU müsse Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Außerdem müsse sich die EU die Frage stellen, „ob man nicht das Stimmrecht der Ungarn im EU-Rat aussetzt, weil die Internierung von Flüchtlingen einen glatten Verstoß gegen europäische Grundwerte darstellt“.

Doch dieser Appell an die europäischen Grundwerte ist zwecklos und verschließt die Augen vor der Realität. Denn die rassistische Politik der Orbán-Regierung ist das Ergebnis und die direkte Konsequenz der EU-Flüchtlingspolitik.

Seit Jahren arbeitet die EU daran, die europäischen Außengrenzen abzuschotten und die Mauern der „Festung Europa“ so zu gestalten, dass sie unüberwindbar sind. Erklärtes Ziel der europäischen Flüchtlingspolitik ist es, Asylsuchende gar nicht erst nach Europa zu lassen, sie in grenznahen Lagern aufzufangen und ihre Bewegungsfreiheit innerhalb Europas so stark wie möglich einzuschränken.

Sammellager für Flüchtlinge sollen allerdings möglichst außerhalb der EU bleiben. Damit Flüchtlinge die unmenschlichen und überfüllten Lager in Jordanien, dem Libanon und anderen Nachbarländern Syriens nicht verlassen, hat die EU im vergangenen Jahr dem Welternährungsprogramm und dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen eine Milliarde Euro überwiesen. Auch afrikanische Länder werden finanziell unterstützt, damit sie Flüchtlinge zurückhalten.

Die Gelder für die Flüchtlingsabwehr fließen aber vor allem in die Grenzschutzagentur Frontex, die ständig weiter ausgebaut wird. Ursprünglich sollte die europäische Sicherheitsbehörde lediglich den Schutz der EU-Außengrenze zwischen den Mitgliedsstaaten koordinieren. Aber sie entwickelt sich immer mehr zu einer eigenständigen europäischen Grenzpolizei mit militärischer Infrastruktur und einem eigenen Überwachungsapparat.

Inzwischen ist Frontex nicht nur für die Koordination des Grenzschutzes zuständig, sondern auch für die Risiko- und Gefahrenanalyse an der EU-Außengrenze, die Ausbildung von Grenzschutzbeamten, die Unterstützung von Mitgliedsstaaten mit eigenem Personal und Technik, die Abschiebung von Flüchtlingen sowie die Kooperation mit der europäischen Polizeibehörde Europol und den Sicherheitsbehörden von Drittstaaten. Die Agentur spielt auch eine wichtige Rolle bei der militärischen Abschottung des Mittelmeers.

Die Jagd auf Flüchtlinge ist keine ungarische Spezialität, sondern stützt sich auf die brutale Flüchtlingsabwehr der EU und wird – trotz manch kritischer Worte – von führenden EU-Politikern mitgetragen. Viktor Orbán ist eng mit CSU-Chef Horst Seehofer befreundet und seine nationalkonservative, rechtspopulistische Partei Fidesz (Bürgerbund) ist Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP), der auch die deutschen Regierungsparteien CDU und CSU angehören.

Auch in den Medien erhält Orbán Unterstützung für seine rassistische Politik. So schreibt der Chefkommentator der Welt, Jacques Schuster, in der gestrigen Ausgabe: „Ungarn ist in der Flüchtlingsfrage ehrlicher als wir.“ Der frühere Redenschreiber des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters von Berlin Eberhard Diepgen (CDU) schreibt: „Es ist die Aufgabe jedes Staates, seine Grenzen selbst zu schützen. Wer Flüchtlinge integrieren will, muss Massen an Einwanderern abschrecken.“ Ungarn übernehme nur, was manche die „Drecksarbeit“ der EU nennen.

Auch wenn Angela Merkel es niemals zugeben würde, schreibt Schuster, sie habe längst eingesehen, dass ihre Politik und manche ihrer Äußerungen gut gemeint, aber wenig durchdacht und in den Folgen verhängnisvoll waren. „Wäre es anders, würde die Flüchtlingspolitik heute nicht aus den drei ‘A’ bestehen: ‘abschieben, abschrecken, abweisen’. Nur reden die Kanzlerin und ihre Partei nicht so gern darüber.“

Orbáns rassistische Flüchtlingspolitik ist Bestandteil und Ergebnis der Flüchtlingsabwehr der EU und kann daher nicht durch Appelle an die europäischen Institutionen bekämpft werden. Vielmehr muss die Errichtung von Internierungslagern, die an die Konzentrationslager der Nazis erinnern, im Zusammenhang zu den fundamentalen Veränderungen gesehen werden, die gegenwärtig in Europa und weltweit stattfinden.

Die vielen Tausend Asylsuchenden fliehen vor den katastrophalen Folgen der imperialistischen Kriege, die seit Jahrzehnten im Nahen- und Mittleren Osten, auf dem Balkan und in anderen Regionen von den USA und den Nato-Staaten geführt werden. Seit dem ersten Golfkrieg und dem Jugoslawienkrieg kamen bei der Invasion Afghanistans und des Iraks, der Bombardierung Libyens, der Verwüstung Syriens und des Jemens Hundertausende ums Leben. Städte und ganze Länder wurden verwüstet und Millionen in die Flucht getrieben.

Die vielen verzweifelten Asylsuchenden und ihre Familien, die jetzt in Lager gesteckt und terrorisiert werden, sind Teil der weltweiten Arbeiterklasse, die von der imperialistischen Kriegspolitik bedroht ist.

Mit der Machtübernahme von Donald Trump in den USA hat sich die Kriegsentwicklung noch weiter verschärft. Trumps Regierung aus Generälen und Milliardären droht unter der Parole „Amerika first“ der ganzen Welt mit wirtschaftlicher und militärischer Konfrontation.

Die Bundesregierung reagiert darauf mit einem wahnwitzigen militärischen Aufrüstungsprogramm. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor drei Wochen wurde gefordert, den Militärhaushalt zu verdreifachen. Das ist nur möglich, wenn gleichzeitig ein drastisches Sparprogramm durchgesetzt wird, das massive Kürzungen in allen Sozialbereichen zur Folge hat.

Wie am Vorabend des Zweiten Weltkriegs kann diese Kriegspolitik nur mit der Errichtung eines Polizeistaats und diktatorischen Methoden durchgesetzt werden.

Heute sind es die Kriegsflüchtlinge, die in den Internierungslagern zusammengetrieben werden. Schon morgen werden Kriegsgegner und politische Oppositionelle dazu kommen. Die Rückkehr von Konzentrationslagern in Europa ist ein Warnsignal. Es zeigt wie dringend es ist, die prinzipielle Verteidigung der Flüchtlinge zum Ausgangspunkt für einen internationalen Kampf gegen Krieg und Kapitalismus zu machen.

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