Es ist erst wenige Wochen her, da kürte die New York Times die deutsche Bundeskanzlerin zur „letzten Verteidigerin des freien Westens“. Nach Trumps Wahlsieg stützten sich die Hoffnungen auf die Verteidigung demokratischer Grundwerte mehr denn je auf Angela Merkel, schrieb die Times Anfang November.
Am vergangenen Dienstag machte Merkel deutlich, was davon zu halten ist. Auf dem CDU-Parteitag in Essen hielt sie eine außerordentlich rechte Rede voller ausländerfeindlichen Attacken und Forderungen nach polizeilicher und militärischer Aufrüstung.
In der Vergangenheit waren Merkels Weigerung, eine feste Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen festzulegen, wie es die bayerische Schwesterpartei CSU fordert, und ihre Aussage „Wir schaffen das“, als „Willkommenskultur“ und Einladung an Flüchtlingen gewertet worden. Doch das war schon immer ein Missverständnis.
Im Interesse der deutschen Wirtschaft, die von der Freizügigkeit innerhalb Europas stark profitiert, war Merkel bisher gegen die Wiedereinführung von nationalen Grenzkontrollen und verfolgte stattdessen eine so genannte „europäische Lösung“ der Flüchtlingskrise. Das heißt, sie setzte sich für die Schließung der europäischen Außengrenzen ein. Das war mit einer brutalen Flüchtlingsabwehr durch den Aufbau von Grenzschutzeinheiten und massiver Abschiebung verbunden. Trotzdem warfen ihr rechte Kritiker vor, sie habe durch die Verweigerung nationaler Grenzkontrollen die staatliche Sicherheit und Souveränität verletzt.
Merkel begann ihre Rede am Dienstag mit einem deutlichen Zugeständnis an ihre rechten Kritiker. Sie betonte, dass Deutschland nicht noch einmal Hunderttausende Flüchtlinge in wenigen Monaten aufnehmen werde, und sagte: „Eine Situation wie die des Spätsommers 2015 kann, soll und darf sich nicht wiederholen. Das war und ist unser und mein erklärtes politisches Ziel.“
Dann folgte eine Liste der brutalen Flüchtlingsabwehrmaßnahmen, die die Bundesregierung in den vergangenen Monaten ergriffen hat. „Wir haben eine Liste der sicheren Herkunftsstaaten erstellt“, rief sie. Es sei richtig gewesen, die Länder des westlichen Balkans als sichere Herkunftsländer einzustufen und deutlich zu sagen, dass die übergroße Mehrzahl von Flüchtlingen aus dieser Region „keine Bleibeperspektive bei uns hat“.
Wir sind ein Rechtsstaat, fuhr Merkel fort. Jeder Flüchtling habe Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren. Teil dieses Verfahrens sei aber auch, dass jemand, der kein Bleiberecht hat, das Land wieder verlassen müsse.
Dann folgte ein Lob für Innenminister Thomas de Maizière, der die Einführung eines einheitlichen Flüchtlingsausweises, die Beschränkung des Familiennachzugs und eine konsequente Abschiebung veranlasst habe.
Unter dem Jubel der fast Tausend Delegierten pries Merkel das Integrationsgesetz der Großen Koalition, das keine Parallelgesellschaften zulasse. „Bei uns heißt es: Gesicht zeigen“, betonte sie. „Deswegen ist die Vollverschleierung nicht angebracht, sie sollte verboten sein, wo immer dies rechtlich möglich ist.“
Die CDU will die Burka nun an allen Orten verbieten, wo eine eindeutige Identifizierung erforderlich ist – vor Gericht, bei Polizeikontrollen und im Straßenverkehr.
Bereits im Sommer hatten sich die Innenminister der Union in einer sogenannten „Berliner Erklärung“ für ein Teilverbot der Burka und des Niqab (Gesichtsschleier) ausgesprochen. Damals hatte Innenminister de Maizière erklärt: „Wir lehnen die Burka ab. Sie passt nicht zu unserer weltoffenen Gesellschaft.“ Die Vollverschleierung sei „ein Affront gegen die offene Gesellschaft und zudem frauenfeindlich“. Er wolle, dass „jeder in unserem Land sein Gesicht zeigt“.
Merkel und de Maizière wissen sehr genau, dass ein Burka-Verbot nicht mit dem im Grundgesetz verankerten Recht auf Religionsfreiheit und „ungestörte Religionsausübung“ vereinbar ist. „Dem Staat ist es verwehrt, derartige Glaubensüberzeugungen seiner Bürger zu bewerten oder gar als richtig oder falsch zu bezeichnen“, urteilte das Bundesverfassungsgericht noch 2015 im sogenannten Kopftuch-Beschluss.
Merkels Forderung nach einem Burka-Verbot ist Bestandteil einer massiven Rechtswende und Verschärfung der Flüchtlingspolitik. Der Parteitag nahm zu weiten Teilen den flüchtlingsfeindlichen Initiativantrag des baden-württembergischen Innenministers Thomas Strobl in seinen Leitantrag auf.
Dieser tritt unter anderem dafür ein, den „Haftgrund für Abschiebehaft“ zu „erweitern“, „wenn vom dem Ausreise-Pflichtigen eine Gefahr ausgeht“. Die Möglichkeit, abgelehnte Asylbewerber vor ihrer Abschiebung in Gewahrsam zu nehmen, soll von vier Tagen auf vier Wochen erweitert werden. Der Leitantrag geht damit noch über einen Gesetzesvorstoß von de Maizière hinaus, der den Ausreisegewahrsam auf zwei Wochen verlängern will.
Der Leitantrag spricht sich auch für sogenannte Transitzonen als „geeignetes Mittel des Ordnens und Steuerns bei der Bearbeitung der Anträge von Flüchtlingen“ aus. Als die extrem rechte und flüchtlingsfeindliche Regierung Orbán in Ungarn derartige umzäunte Haftlager für Flüchtlinge im September 2015 per Gesetz neu definierte und an den Landesgrenzen errichtete, hatte Merkel dies noch vehement abgelehnt.
Nun beschloss der Parteitag, abgelehnten Asylbewerbern ohne Bleiberecht bereits dann den Status eines Geduldeten zu entziehen, wenn sie „falsche Angaben“ machen oder die „Mitwirkung etwa bei der Identitätsfeststellung“ verweigern. Leistungen sollen sofort eingestellt, das Asylverfahren beendet und die „Bescheinigung über die Ausreisepflicht“, d.h. Abschiebung, ausgestellt werden. Asylbewerber, die ihren Urlaub in dem Land verbringen, aus dem sie vor „Krieg und Verfolgung“ geflohen sind, sollen ihren Asylstatus verlieren. Ihr Reisepass soll umgehend beschlagnahmt werden.
Die rechte Offensive, die der CDU-Parteitag beschlossen hat, ist eine Reaktion auf die rapide Verschärfung der wirtschaftlichen und politischen Krise in Europa. Bereits der Brexit im Juni, dann die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA und jetzt die Ablehnung des Referendums in Italien haben die europäische Politik in ihren Grundfesten erschüttert.
Auf die von Donald Trump vertretene nationalistische Politik des „America first“ reagieren die Kanzlerin und ihre Partei mit einer eigenen nationalistischen und rassistischen Offensive. In wesentlichen Teilen übernimmt die CDU das Programm und die rechte ausländerfeindliche Hetze der AfD.
Die Politik des Militarismus und der Staatsaufrüstung, die bereits die bisherige Politik der Großen Koalition prägten, wird nun deutlich verschärft. Während in allen sozialen Bereichen drastisch gespart wird, stehen für die militärische Aufrüstung, die Bewaffnung der Polizei und die Ausweitung der Geheimdienste nahezu unbegrenzte Finanzmittel zur Verfügung. Alleine die Rüstungsausgaben sollen in den kommenden Jahren um 130 Milliarden Euro erhöht werden.
Um diese Aufrüstung zu finanzieren, beschloss der CDU-Parteitag erneut strikte Haushaltsdisziplin und das Festhalten an der Schuldenbremse.
Diese Politik hat eine immer größere soziale Verwüstung zur Folge. In Europa sind heute schon offiziell 23 Millionen arbeitslos. Millionen mehr arbeiten im Niedriglohnsektor und in irregulären Jobs. Auch in Deutschland wächst die Armut rasant. Über 12 Millionen Menschen sind offiziell arm. Besonders stark betroffen sind Kinder. Acht Millionen Menschen arbeiten in prekären Verhältnissen. Eine kleine Minderheit lebt dagegen in Saus und Braus. Die Regierung hat Bedingungen geschaffen, unter denen sie sich auf Kosten der Mehrheit maßlos bereichern kann.
Um den Widerstand gegen diese unsoziale Politik und die militärische Aufrüstung und Kriegsgefahr zu unterdrücken, greift die offizielle Politik immer deutlicher zu offen rassistischen und diktatorischen Mitteln.
Während Merkel in ihrer Parteitagsrede mehrmals vor einem Anwachsen der AfD warnte, führen ihre ausländerfeindliche Politik und die reaktionären Entscheidungen des Leitantrags zu einer Stärkung der Rechtsradikalen. Nicht umsonst betonte der stellvertretende Vorsitzende der AfD Alexander Gauland, der CDU-Leitantrag enthalte viele Positionen seiner Partei. Vor seiner AfD-Mitgliedschaft war Gauland 40 Jahre lang Funktionär der CDU.