In dieser Woche jährt sich zum ersten Mal der historische Verrat der Syriza-Regierung an der griechischen Arbeiterklasse.
Die „Koalition der Radikalen Linken“ (Syriza) kam im Januar 2015 aufgrund des Widerstands der Arbeiterklasse gegen die Kürzungspolitik an die Regierung. Ihr Vorsitzender Alexis Tsipras wurde zum neuen Premierminister gewählt, weil seine Partei versprach, dem Spardiktat der Europäischen Union entschieden entgegenzutreten.
Nur sieben Monate später setzte die neue Regierung ein brutales Sparprogramm durch, das die Politik ihrer rechten Vorgänger weit in den Schatten stellte.
Seinen Höhepunkt fand dieser Verrat in der Woche zwischen dem 5. und 13. Juli 2015. In einem Referendum, das Tsipras’ Regierung für den 5. Juli angesetzt hatte, stimmte die griechische Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit gegen die Sparpolitik, die von der „Troika“ aus Europäischer Kommission, Internationalem Währungsfond und Europäischer Zentralbank gefordert wurde. Doch schon eine Woche später akzeptierte die Syriza-Regierung ein Bailout-Programm, das noch härtere Sparmaßnahmen vorsah, als die, denen im Referendum eine Abfuhr erteilt worden war.
Alle pseudolinken Organisationen sowohl in Griechenland als auch in anderen Ländern bejubelten das Referendum im Vorfeld als Zeichen von Syrizas Kampfbereitschaft. Doch die World Socialist Web Site warnte am 27. Juni 2015: „Tsipras’ Referendum ist ein reaktionärer Betrug. Es soll der Ausplünderung Griechenlands durch die Banken, die zu Lasten der Arbeiter und großer Teile der Mittelschichten geht, einen Schein demokratischer Legitimität verleihen.“
Tsipras’ Manöver ging allerdings nach hinten los. Er und seine Parteikollegen von Syriza hatten darauf gesetzt, dass sich die griechischen Arbeiter von den Drohungen der europäischen Imperialisten einschüchtern lassen und deshalb mit „Ja“ für das Sparpaket votieren würden. Ein solches Ergebnis hätte Tsipras die Möglichkeit verschafft, die Schuld für seine eigene Kapitulation vor der „Troika“ auf die Arbeiterklasse zu schieben.
Doch stattdessen stimmte die Mehrheit mit „Nein“ und zeigte damit ihre Bereitschaft zu einem wirklichen Kampf gegen den Kapitalismus. Tsipras und sein Kabinett bekamen es mit der Angst zu tun. Erschrocken machten sie sich daran, so schnell wie möglich einen reaktionären Deal mit der „Troika“ auszuhandeln.
Jetzt sind die griechischen Arbeiter mit den harten Folgen dieses Verrats konfrontiert. Die nationale Wirtschaftsleistung ist etwa um ein Viertel geschrumpft und befindet sich weiter im freien Fall. Die letzten Überbleibsel des griechischen Sozialstaats werden über Bord geworfen. Etwa die Hälfte der Menschen unter 25 Jahren ist arbeitslos und viele Rentner haben ein Drittel ihres Einkommens eingebüßt. Erneute Kürzungen und gestaffelte Steuererhöhungen, die jetzt durchgesetzt werden, treffen die ärmsten Teile der Bevölkerung am härtesten.
Die Syriza-Regierung hat unterdessen mit der Europäischen Union neue Mechanismen ausgehandelt, die das Sparregime dauerhaft zementieren. Damit werden in Griechenland auf Jahrzehnte hinaus Verhältnisse geschaffen, die an die Große Depression der 1930er Jahre erinnern.
Die Wut gegen die Syriza-Regierung nimmt zu. Sie entlud sich zuletzt im Mai in einem dreitägigen Streik gegen die Sparmaßnahmen, an dem breite Teile der Arbeiterklasse teilnahmen. Arbeiter in Griechenland und auf internationaler Ebene stehen vor der entscheidenden Aufgabe, die politischen Ursachen und Folgen dieses Verrats zu analysieren und die Bilanz dieser strategischen Erfahrung zu ziehen.
Die World Socialist Web Site und das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) haben als einzige politische Kraft eine konsistente und klare Analyse dieser Ereignisse vorgenommen. Sie haben nicht abgewartet, bis der Verrat seinen Höhepunkt erreicht hatte, sondern warnten bereits weit im Voraus, am 24. Januar 2015, dass Syrizas Machtübernahme keinen „Weg aus der Krise“, sondern vielmehr „eine enorme Gefahr“ darstelle.
Die WSWS erklärte: „Syriza ist, ungeachtet ihrer linken Fassade, keine Arbeiter-, sondern eine bürgerliche Partei, die sich auf wohlhabende Schichten der Mittelklasse stützt. Ihre Politik wird bestimmt von Gewerkschaftsbürokraten, Akademikern, Selbständigen und Parlamentsfunktionären, die ihre Privilegien verteidigen wollen, indem sie die soziale Ordnung bewahren.“
Kleinbürgerliche Pseudolinke, die genau wie Syriza eine opportunistische Politik betreiben und in den oberen Schichten der Mittelklasse verankert sind, griffen diese Position an. Sie denunzierten das IKVI als „Sektierer“, weil es nicht in ihren Chor eingestimmt war, der Syrizas Wahl als Sieg für die Arbeiterklasse gefeiert hatte. Man dürfe, argumentierten sie, die Arbeiterklasse nicht daran hindern, ihre „Erfahrung“ mit Syriza zu machen, aus der sie angeblich politisch gestärkt hervorgehen würde.
Dieselben Organisationen, die eifrig Illusionen in Syriza geschürt hatten, lehnen es jetzt vehement ab, Lehren aus dieser „Erfahrung“ zu ziehen, die der Arbeiterklasse nichts als Verrat, Rückschläge und Desorientierung beschert hat. Zu diesen Gruppen gehören die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) in Frankreich, die Internationale Sozialistische Organisation (ISO) in den USA, die Linkspartei in Deutschland und die brasilianische Vereinigte Sozialistische Arbeiterpartei (PSTU).
Ihre Orientierung auf Syriza war allerdings nicht auf politische Verwirrung oder eine Fehldeutung von Syrizas Identität zurückzuführen. Wenn man sich ihr Programm und ihre Führung einschließlich des imperialistischen Agenten Tsipras anschaute, war es unmöglich, den reaktionären und bürgerlichen Charakter dieser Partei zu übersehen. In Wirklichkeit schlossen sämtliche pseudolinke Gruppen hinter Syriza die Reihen, weil sie dieselbe Politik vertreten. Kämen sie selbst an die Macht, würden sie dieselbe aggressive politische Linie gegen die Arbeiterklasse verfolgen, wie ihre griechische Schwesterpartei.
Einen besonders schamlosen Ausdruck fand diese Politik beim International Viewpoint, einem pseudolinken Magazin, das von Anti-Trotzkisten herausgegeben wird, die bereits vor mehreren Jahrzehnten mit der Vierten Internationale gebrochen haben. Ihre Online-Ausgabe vom 13. Juli beging den Jahrestag von Syrizas Verrat mit einem Artikel über die Konferenz der Partei Volkseinheit (LAE), die vor einem Monat stattfand. Autor des Artikels ist der führende griechische Staatskapitalist Antonis Davanellos, ein Mitglied der Gruppe Internationale Arbeiterlinke (DEA), die sich mit verschiedenen griechischen pseudolinken Organisationen dem Volkseinheit-Bündnis angeschlossen hat.
Die meisten führenden Mitglieder von Volkseinheit gehörten früher zu Syrizas „Linker Plattform“, einer Syriza-Fraktion, die im August 2015 die Partei verlassen hatte. Einige von ihnen waren Minister in Tsipras’ Kabinett und Mitglieder von Syrizas Zentralkomitee gewesen. Sie hatten anfangs die Illusion verbreitet, Syriza könnte sich unter ihrem Druck nach links bewegen. Ihre tatsächliche Rolle bestand darin, der Tsipras-Regierung einen linken Deckmantel zu geben, während diese die Forderungen der europäischen Banken erfüllte. Die Linke Plattform blieb sogar noch nach Syrizas Verrat in der Partei und ging erst, als es klar war, dass sie ansonsten hinausgeworfen werden würde.
Bezeichnenderweise widerspricht Davanellos gleich zu Beginn seines Artikels denjenigen, die „einer politisch-theoretischen Einschätzung der Syriza-Periode besondere Bedeutung“ beimessen. Vielmehr bestehe die jetzige Aufgabe darin, „ein neues Bündnis“ zu bilden, gestützt auf „politische Positionen, die manchmal ziemlich weit auseinander liegen“.
In Wirklichkeit dominiert in der Partei Volkseinheit eine eindeutig nationalistische Agenda, die sich auf die Perspektive eines „Grexit“ stützt, also einen Austritt des Landes aus der Euro-Zone und eine Wiedereinführung der griechischen Drachme. Ihr Programm hat ebenso wenig mit einem Kampf gegen Austerität zu tun wie Syrizas Politik. Sie fordern lediglich, dass statt der europäischen Bourgeoisie die griechische herrschende Klasse die Sparmaßnahmen diktiert.
Wenn Davanellos von politischen Positionen spricht, die „ziemlich weit auseinander liegen“, heißt das nur, dass er und Pseudolinke seinesgleichen sich darum bemühen, ein extrem reaktionäres nationalistisches Programm von links abzudecken.
Er gibt zu, dass viele Volkseinheit-Mitglieder „erfreut“ über den Sieg der Brexit-Befürworter in Großbritannien waren. Die Brexit-Kampagne, an der britische Pseudolinke aktiv beteiligt waren, wurde von extrem rechten Kräften und ausländerfeindlichen Stimmungen dominiert. Die Freude darüber in der Volkseinheit zeigt, dass es im Bündnis der griechischen Pseudolinken ähnliche Tendenzen gibt.
Laut Davanellos wurde auf der Konferenz vorgeschlagen, „Komitees zur Verteidigung der nationalen Souveränität“ zu gründen und Konzepte zur „Kontrolle der Grenzen“ in Griechenland auszuarbeiten. Hier wiederholt die Volkseinheit im Wesentlichen die aggressive Antiflüchtlingspolitik der Syriza-Regierung. Im April dieses Jahres begann die Tsipras-Regierung Flüchtlinge zu internieren und in Massendeportationen zurück in die Türkei zu schicken, von wo aus ein Großteil wieder in die Kriegsgebiete des Nahen Ostens abgeschoben wurde.
Davanellos und seine Mitstreiter sehen ihre Aufgabe darin, diese reaktionäre nationalistische Politik hinter einem „sozialistischen“ Feigenblatt zu verbergen.
Am Ende seines Beitrags erklärt Davanellos: „Angesichts von Syrizas Kapitulation und des Zerfalls der Linken wird die Volkseinheit zum entscheidenden Ort für eine Umgruppierung der radikalen Linken, die gegen die Memoranden [Vereinbarungen über Sparmaßnahmen] ist.“
Wenn es einen „Zerfall der Linken“ in Griechenland gibt, dann ist er das direkte Ergebnis der Politik dieser Organisationen, die Syrizas Verrat den Weg geebnet und der Arbeiterklasse jede Möglichkeit versperrt haben, ihre eigenen Lehren aus dieser Erfahrung zu ziehen. Wenn sie von notwendiger „Umgruppierung“ sprechen, dann geht es dabei vor allem um die Vorbereitung auf noch größere Verbrechen in den nächsten Jahren.
Die Analyse des Internationalen Komitees in Bezug auf Syriza und sein unnachgiebiger Kampf zur Entlarvung aller pseudolinken Apologeten haben sich voll und ganz bestätigt.
Im November 2015 betonte das IKVI in seiner Erklärung „Die politischen Lehren aus dem Verrat Syrizas in Griechenland“:
„Die Erfahrung mit Syriza zeigt die Notwendigkeit einer grundlegenden politischen Neuorientierung der Arbeiterklasse, der Jugend und der sozialistisch gesinnten Intellektuellen. Konfrontiert mit einer globalen, seit den 1930er-Jahren nicht mehr gesehenen Wirtschaftskrise und brutalen Angriffen vonseiten der gesamten kapitalistischen Klasse, kann die Arbeiterklasse sich nicht verteidigen, indem sie neue ,linke‘ Regierungen wählt.“
Diese Einschätzung hat sich nicht nur in Griechenland bewahrheitet, sondern auch in Spanien mit Podemos, in Großbritannien mit Jeremy Corbyns Aufstieg in der Labour Partei und in den Vereinigten Staaten mit der Kampagne des Demokraten Bernie Sanders.
Für die Arbeiterklasse gibt es nur einen fortschrittlichen Weg aus der Krise. Sie muss sich ihre eigenen marxistischen Parteien aufbauen, die eine revolutionäre Perspektive vertreten und einen kompromisslosen Kampf gegen pseudolinke Parteien wie Syriza führen. Es ist höchste Zeit, dass jene, die begonnen haben, die Lehren aus diesen Erfahrungen zu ziehen, sich dem IKVI anschließen und diesen Kampf aufnehmen.