Auf Massendemonstrationen, die am Sonntag in ganz Brasilien stattfanden, wurde der Rücktritt der Regierung der Arbeiterpartei (PT) und von Präsidentin Dilma Rousseff gefordert.
Die größte Demonstration fand in Sao Paulo, Brasiliens Finanz- und Industriezentrum, statt. Die Verwaltung der Stadt sprach von 1,4 Millionen Teilnehmern. Das bekannte Meinungsforschungsinstitut Data Folha sprach von 450.000, die Organisatoren der Demonstrationen von eher unwahrscheinlichen 3 Millionen Demonstranten.
Motor der Demonstrationen, die deutlich größer waren als ähnliche vor einem Jahr, war der Ärger über den immer weiter ausufernden politischen Bestechungsskandal rund um den staatlichen Energieriesen Petrobras, und die wachsende Frustration über den steilen Absturz der brasilianischen Wirtschaft in ihre größte Krise seit der Großen Depression in den 1930er Jahren.
Ein weiterer Grund ist die Forderung der Staatsanwaltschaft in Sao Paulo, den früheren Präsidenten und Gründer der PT, Luiz Inacio Lula da Silva, in „Untersuchungshaft“ zu nehmen. Ihm wird vorgeworfen, den Besitz eines Apartments am Meer verschwiegen zu haben. Das Apartment wurde von einer Firma gebaut, die von Petrobras viele Aufträge erhielt.
„Nieder mit der PT!“, „Dilma muss gehen“, und „Stoppt die Korruption!“ skandierten die Demonstranten. Einige trugen Transparente und Schilder, die ein Eingreifen des brasilianischen Militärs wie bei dem rechten Putsch im Jahr 1964 forderten, der das größte Land Lateinamerikas für 21 Jahre unter eine grausame Militärherrschaft stellte.
Im Unterschied zu den Demonstrationen vor einem Jahr unterstützen die rechten bürgerlichen Parteien, die Rousseff und der PT ablehnend gegenüberstehen, und die führenden Unternehmens- und Wirtschaftsverbände wie FIESP die Proteste dieses Mal ganz offen. In Sao Paulo fuhr die Metro unentgeltlich, um die Teilnehmerzahl zu erhöhen.
Aus Umfragen geht hervor, dass die Teilnehmer erneut vorwiegend aus der Mittelschicht kommen, obwohl die Proteste in diesem Jahr größer sind. Ein führendes Meinungsforschungsinstitut fand heraus, dass 63 Prozent der Demonstranten das Fünffache des brasilianischen Mindestlohnes verdienen.
Die Proteste waren im Wesentlichen politisch rechts orientiert. Versuche der rechten Gegner der PT, daraus Kapital zu schlagen, trafen jedoch auf Wut und Feindseligkeit gegen alle Politiker und Parteien.
Sao Paulos Gouverneur Geraldo Alckmin und Senator Aécio Neves, der bei der Wahl 2014 Roussef knapp unterlag, beide von der rechten Sozialdemokratischen Partei Brasiliens (PSDB), wurden von ihren Sicherheitsleuten schnell aus der Demonstration in Sao Paulo herausgeführt, als Demonstranten sie umringten und riefen: „Ihr seid als Nächste dran“ und sie als „Opportunisten“ und „Gauner“ beschimpften. In anderen Städten wurden rechte Politiker, die eine Rede halten wollten, ausgebuht und von Rufen wie „Keine Parteien“ übertönt.
Die Führung der Arbeiterpartei sagte am selben Tag geplante Unterstützungskundgebungen für Lula und Rousseff mit der Begründung ab, gewalttätige Auseinandersetzungen befürchtet zu haben. Zweifellos wären die Unterstützer der PT gegenüber den Gegnern der Partei auch hoffnungslos in der Minderheit gewesen.
Rui Falcão, Vorsitzender der PT, rief auf Facebook zu Kundgebungen auf, „um die Demokratie und die Präsidenten Lula und Dilma gegen den Putsch zu verteidigen, und um Veränderungen in der Wirtschaft herbeizuführen.“
Damit will er die PT als „linken“ Gegner der Politik verkaufen, die die PT-Regierung selbst verfolgt. Rousseffs Antwort auf die sich vertiefende Wirtschaftskrise des Landes war der Versuch, ein „fiskalisches Anpassungsprogramm“ durchzuboxen. Damit sollten Renten, Löhne und Zulagen der Arbeiter zusammengekürzt werden und gleichzeitig gewährleistet werden, dass sage und schreibe 20 Prozent des Staatshaushaltes für den Schuldendienst bei der Wall Street und den internationalen Banken aufgebracht werden.
Diese Einsparungen verschärfen die prekäre Lage der brasilianischen Arbeiter. Bereits jetzt werden monatlich 100.000 Arbeiter entlassen, und die Inflationsrate ist auf über zehn Prozent gestiegen.
Am Montag wurde deutlich, dass sich die Wirtschaftskrise weiter vertieft. Die brasilianische Notenbank berichtete, dass die Wirtschaftsleistung im Januar entgegen den Prognosen der Ökonomen um weitere 0.6 Prozent zurückging. Ursprünglich war ein geringfügiges Wachstum erwartet worden.
Ungeachtet des wirtschaftlichen Abschwungs ist der Wert der brasilianischen Währung im letzten Monat um 10.8 Prozent gestiegen, und auch der Aktien- und Anleihenmarkt hat in der vergangenen Woche zugelegt. Die Financial Times schrieb, die „Politik“ habe die Markterholung ausgelöst.
„Die Festnahme von Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und die Konsequenzen, die daraus für die amtierende Präsidentin Dilma Rousseff erwachsen, haben bei Investoren die Hoffnung genährt, dass die Hindernisse für politische Veränderungen schon bald überwunden werden,“ schrieb das Blatt.
Jefferson Luiz Rugik vom Brokerhaus Correparti in Sao Paulo sagte der Zeitung: „Alles, was gegen die Regierung und die Präsidentin Dilma läuft, ist gut für unsere Währung… wir könnten eine neue Regierung bekommen, die größere Glaubwürdigkeit besitzt.“
Seit mehr als zwölf Jahren ist die PT die wichtigste Partei der brasilianischen Bourgeoisie. Sie vertritt ihre Interessen, und setzt sich gleichzeitig für begrenzte Sozialreformen ein, um den Klassenkampf zu dämpfen. Die soziale Polarisierung zwischen einer kleinen Finanzelite und den Arbeitermassen und Armen hat sich unterdessen immer weiter verschärft.
Einflussreiche Teile der herrschenden Klasse Brasiliens haben entschieden, dass sie eine andere Regierung brauchen, eine offen rechte oder sogar diktatorische, um einschneidende Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiterklasse durchzusetzen. Vor allem davon ist ihre Kampagne zur Amtsenthebung von Rousseff motiviert.
Die Verrätereien der PT und vor allem der zahlreichen pseudolinken Gruppen, die die PT als Ersatz für den Aufbau einer revolutionären Partei der Arbeiterklasse angepriesen haben, sind verantwortlich für die heutige politische Situation, die große Gefahren für die brasilianischen Arbeiter beinhaltet.