Seit der Verschärfung des Asylrechts, die der Bundestag im Oktober mit großer Mehrheit beschloss, werden deutlich mehr Flüchtlinge aus Deutschland abgeschoben. Ende November lag die Zahl der zwangsweise aus Deutschland abgeschobenen Menschen mit 18.363 schon beinahe doppelt so hoch wie im gesamten Vorjahr.
Doch nicht nur die Zahl der Abschiebungen ist gestiegen, auch die Brutalität und Unmenschlichkeit der Abschiebungen haben eine neue Qualität erreicht. Betroffen sind neben neu ankommenden Flüchtlingen auch Menschen, die bereits lange in Deutschland leben oder krank sind.
Besonders unbarmherzig geht das von der CSU regierte Bayern gegen Flüchtlinge vor. Hier hat sich die Zahl der Abschiebungen in den ersten elf Monaten des Jahres mit 3.643 gegenüber dem Vorjahr verdreifacht.
In Bayern sind auch die ersten Abschiebelager für Flüchtlinge aus dem Balkan eingerichtet worden. Die offiziell „Ankunfts-und Rückführungseinrichtung“ (ARE) genannten Lager sind die praktische Verwirklichung der Transitzonen, die die CSU monatelang gefordert, aber nicht hatte durchsetzen können. Der einzige Unterschied besteht darin, dass sie nicht unmittelbar an der Grenze liegen, wie die CSU dies ursprünglich verlangt hatte.
In den Abschiebelagern werden Flüchtlinge aus Ländern des Westbalkans gesammelt, die in jüngster Zeit zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt wurden, um sie möglichst rasch abzuschieben. Sie haben praktisch keine Chance mehr, in Deutschland als asylberechtigt anerkannt zu werden.
Die Lager sollen nicht zuletzt auch der Abschreckung dienen. Als Anfang September das erste auf dem Gelände einer ehemaligen Bundeswehrkaserne in Manching bei Ingolstadt eröffnet wurde, erklärte die bayerische Sozialministerin Emilia Müller (CSU): „Ich bin mir sicher, dass es sich in Kosovo, in Albanien, in Montenegro, in Serbien, in allen Staaten des Westbalkans schnell herumsprechen wird, dass der Gang als Asylbewerber nach Deutschland sich mit Sicherheit nicht lohnt.“
Bedenken des Bayerischen Flüchtlingsrats wurden einfach beiseite gewischt. Er hatte das Zentrum als „Sonderlager mit Abschiebeflughafen“ bezeichnet und angemahnt, dass es auch Asylbewerber vom Balkan gebe, die ein Recht auf Schutz vor Verfolgung hätten – vor allem diskriminierte Sinti und Roma.
Mittlerweile sind mehrere Reportagen erschienen, die zeigen, wie unmenschlich es in den Abschiebelagern zugeht.
Ein Bericht der Zeit vom 23. Dezember, „Deutschland zum Abgewöhnen“, befasst sich mit der „Ankunfts- und Rückführungseinrichtung“ im bayrischen Bamberg. Dort befanden sich zum Zeitpunkt des Berichts 854 Menschen, die zur Abschiebung vorgesehen sind. Bis Ende März sollen es nach den Plänen der bayerischen Landesregierung 4.500 werden.
Viele Insassen des Lagers hatten vorher längere Zeit in Deutschland gelebt. „Die meisten, die man hier anspricht, können Deutsch. Ihre Kinder gingen bis vor Kurzem auf Regelschulen, hatten Freunde und eine Vorstellung davon, wie ihre Zukunft in Deutschland aussehen könnte“, heißt es in dem Zeit-Bericht. Jetzt dürften die Kinder keine Regelschulen mehr besuchen. Zur Zeit kümmerten sich zwei Lehrkräfte um 160 Kinder aller Altersklassen.
Die Flüchtlinge in der Abschiebeeinrichtung in Bamberg sind weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten. Dafür befinden sich die Erstregistrierungsstelle für neu ankommende Flüchtlinge und die Ausländerbehörde direkt in der Einrichtung.
Peter Immeler, der die Bamberger Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge leitet, rechtfertigte gegenüber der Zeit die neue bayrische Strategie damit, dass „insgesamt mehr Wert auf den Vollzug gelegt“ werde. Er und sein Team bräuchten nur noch fünf bis zehn Tage für einen Asylbescheid. Und dies diene als Vorbild für die Schaffung weiterer Abschiebezentren auch in anderen Bundesländern.
Die Süddeutsche Zeitung hatte unter der Überschrift „Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive – Raus, aber zackig“ bereits am 14. Dezember 2015 über die ARE Bamberg berichtet.
Der Bericht schildert unter anderem das Schicksal einer sechsköpfigen Familie aus dem Kosovo. Ein Sohn der Familie, Muhamet, leidet unter epileptischen Anfällen. Er kann hier in Deutschland mit Medikamenten und ärztlicher Betreuung gut versorgt werden. Im Kosovo gibt es diese nicht. Seine Mutter sagt: „Wenn wir zurück nach Kosovo müssen, dann ist es aus mit Muhamet.“ Sie fürchtet um sein Leben, wenn er die notwendige medizinische Versorgung nicht erhält.
Der 14-jährige Muhamet leidet nicht nur unter Epilepsie. Er ist geistig und körperlich schwerbehindert. Er ist blind und kann kaum hören. Auf der Flucht nach Deutschland vor eineinhalb Jahren hatte ihn sein Vater die ganze Zeit auf dem Arm getragen. Er wird nicht mehr gesund, hatte aber Dank der Medikamente und Therapie, die er in Deutschland erhielt, keine Schmerzen mehr.
Aber all das zählt nichts für die Behörden, die entschieden haben, ihn und seine ganze Familie abzuschieben. Muhamet ist auch kein Einzelfall, wie die Reportage der Süddeutschen anhand weiterer tragischer Fällen, darunter einer schwer krebskranken Frau und Mutter, zeigt.
Außer Kranken und Kindern werden auch viele Geduldete aus Balkanstaaten in die ARE Bamberg eingewiesen, die zum Teil seit vielen Jahren in Deutschland leben und arbeiten, die deutsch sprechen und Kinder haben, die teilweise hier geboren wurden, in die Schule gehen und integriert sind. Sie allen sollen möglichst schnell und rücksichtslos abgeschoben werden.
Laut dem Bericht der Süddeutschen hatten Anfang Dezember fast 800 Balkanflüchtlinge in Franken, der Oberpfalz und Niederbayern den gleichen Befehl im Postkasten: „Sofort Koffer packen, ab nach Bamberg.“ Wer nicht freiwillig mitkomme, dem drohe die Behörde mit „Vollstreckung durch unmittelbaren Zwang“ und mit Polizeigewalt.
Bayern ist nicht das einzige Bundesland, dass sich mit rigiden und rücksichtslosen Abschiebungen hervortut. Die nordrhein-westfälische Landesregierung, eine Koalition von SPD und Grünen, brüstet sich damit, dass sie bis Ende November mit 3.845 mehr Flüchtlinge abgeschoben hat als Bayern.
Zwischen der Regierung und der CDU-Opposition gibt es einen bizarren Streit, ob man Abschiebungen im Vorfeld ankündigen solle oder nicht. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hatte Ende Oktober versprochen, dass in Nordrhein-Westfalen keine Familien nachts unangekündigt aus dem Bett zur Abschiebung abgeholt würden. Oppositionsführer Armin Laschet warf ihr deshalb vor, sie unterlaufe die vom Bundestag beschlossene Verschärfung der Abschiebepraxis.
Nach der neuen Regelung darf Ausreisepflichtigen, die innerhalb sieben bis dreißig Tagen nicht „freiwillig“ ausreisen, der Abschiebetermin nicht angekündigt werden. Begründet wird dies damit, dass sie sonst untertauchen oder sich krank stellen könnten.
Krafts Versprechen war allerding wertlos. Erst vor kurzem wurde in Ibbenbüren wieder eine Familie aus Albanien nachts um drei Uhr aus den Betten geholt und zu einem Sonderflug nach Düsseldorf gebracht.
Inzwischen ist unter den Bundesländern ein regelrechter Wettstreit darüber ausgebrochen, wer die meisten Asylsuchenden und Flüchtlinge abschiebt, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 21. Dezember unter der Überschrift „Die große Abschiebwelle kommt erst noch“ berichtete.
An dem Wettstreit beteiligt sich auch die Linkspartei. Deren einziger Ministerpräsident, Bodo Ramelow in Thüringen, beschwerte sich über Zahlen des Bundesinnenministeriums, laut denen Thüringen 2015 als einziges Bundesland weniger Flüchtlinge abgeschoben hat als im Vorjahr.
Diese „Schmach“ wollte Ramelow nicht auf sich sitzen lassen. Bis Ende November habe Thüringen nach den Zahlen des Zentralen Abschieberegisters des Landes nicht 152, sondern 242 Menschen abgeschoben, bis zum Stichtag 21. Dezember sogar 460 Menschen. „Das sind deutlich mehr als im ganzen Jahr 2014“, betonte der Sprecher des thüringischen Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz, Oliver Will.
Auch Sachsen beschwerte sich über die Zahlen aus dem Bundesinnenministerium. Bis Ende November seien nicht nur 692 Menschen abgeschoben, wie das BMI in seiner Statistik berechnet habe, sondern 1.497, davon allein 745 im November.
Stimmen diese Zahlen aus den Ländern, dann sind allein in diesem Jahr bereits mehr als 20.000 Menschen aus Deutschland abgeschoben wurden, ein großer Teil davon seit der Verschärfung des Asylrechts im Oktober.