Der Abgasbetrug bei Volkswagen zieht immer weitere Kreise. Vier Wochen nachdem die Konzernspitze des größten europäischen Autobauers eingestanden hat, dass die Abgasprüfung in großem Stil manipuliert wurde, zeigt sich nach und nach das ganze Ausmaß der kriminellen Machenschaften.
Der Betrug wurde nicht von einer „kleinen Gruppe“ von Entwicklungsingenieuren und Technikern organisiert, wie bisher behauptet. SpiegelOnline berichtete gestern, dass offenbar mindestens 30 Manager beteiligt waren. Das gehe aus den bisherigen Ermittlungen der VW-internen Revision und der amerikanischen Anwaltskanzlei Jones Day hervor.
Nach Spiegel-Informationen könnte sich der Kreis der Mitwisser und Mittäter noch deutlich ausweiten. Der Turbo-Dieselmotor EA 189 sei im Lauf seiner Einsatzzeit von 2008 bis heute mehrfach darauf geprüft worden, ob er geänderte Abgasnormen in verschiedenen Märkten erfülle, schreibt das Magazin und zitiert einen Fachmann: „Dass dieser Motor die Vorschriften ohne die teure Abgasreinigung erreicht, die sonst bei Dieselantrieben üblich ist, hätte jeden Motorenentwickler misstrauisch machen müssen.“
Ein VW-Sprecher dementierte am Mittwoch die Meldung und erklärte, die Spiegel-Behauptung „entbehre jeglicher Grundlage“. Offensichtlich ist das VW-Management sehr bemüht, die Untersuchungsergebnisse so lange wie möglich geheim zu halten, und versucht nach wie vor, das ganze Ausmaß der kriminellen Machenschaften zu vertuschen. Es stützt sich dabei auf eine enge Zusammenarbeit mit der IG Metall und dem Betriebsrat. Ex-IG-Metallchef Berthold Huber, der bis vor kurzem den VW-Aufsichtsrat leitete, fungiert gegenwärtig als Vorsitzender der Internen Untersuchungskommission. Das heißt, er ist betriebsinterner Chef-Ermittler.
IG Metall und Betriebsrat haben ein großes Eigeninteresse daran, das wahre Ausmaß der illegalen Abgas-Kumpanei zu verheimlichen. Denn wenn bekannt wird, dass mehrere Dutzend Manager involviert waren, lässt sich schlecht leugnen, dass auch die Spitzenfunktionäre des Betriebsrats Bescheid wussten. Immerhin sitzen die IGM-Funktionäre im Wirtschaftsausschuss und sind in allen wichtigen Leitungsgremien vertreten.
Diese enge Zusammenarbeit zwischen Konzernleitung, Betriebsrat und IG Metall nimmt immer deutlicher die Form einer Verschwörung gegen die Belegschaft an.
VW versucht die Krise zu nutzen, um eine grundlegende Umstrukturierung des Konzerns zu organisieren, in deren Mittelpunkt ein massives Sparprogramm mit sehr weitgehenden Angriffen auf Löhne und Sozialstandards steht. Während die Betriebsräte und Vertrauensleute bemüht sind, die Situation zu verharmlosen und für Ruhe und Ordnung zu sorgen, finden hinter dem Rücken der Belegschaft intensive Krisensitzungen statt.
Die Ankündigung des neuen VW-Konzernchefs Matthias Müller, ein von seinem Vorgänger Martin Winterkorn angestoßenes „Effizienzprogramm“ werde verschärft und beschleunigt, muss als Drohung verstanden werden. Ursprünglich war geplant, mit diesem Sparprogramm spätestens von 2018 an rund fünf Milliarden Euro jährlich einzusparen. Nun sollen sowohl das Volumen wie auch der Zeitplan deutlich verschärft werden.
Volkswagen müsse schnell auf die drohenden Kosten reagieren, sagte Müller vor einigen Tagen und fügte hinzu: „Nicht zuletzt, um unser gutes Rating an den Kapitalmärkten zu sichern. Das hat höchste Priorität.“ Das heißt: Maßstab aller Umstrukturierungsmaßnahmen sind die Kapitalmarktinteressen der Anleger. Das hat verehrende Konsequenzen. Denn damit wird genau die Entwicklung gestärkt, die den groß angelegten Betrug hervorgebracht hat.
Seit Jahrzehnten beherrscht nur noch ein Faktor die Unternehmensentscheidungen aller Konzerne: die möglichst schnelle und hohe Steigerung der Aktienkurse. Der Shareholder Value, und nicht die langfristige Entwicklung der Produktion, ist zum leitenden Prinzip der Wirtschaft geworden. Bei VW hat dieser korrupte und irrationale Charakter des kapitalistischen Profitsystems dazu geführt, dass die notwendigen Investitionen in die Entwicklung von Motoren, die den Abgasnormen entsprechen, nicht getätigt wurden. Stattdessen wurde ein gigantischer Betrug organisiert, der die Zukunft und das Wohlergehen von weltweit 600.000 Beschäftigen gefährdet.
Während bekannt wird, dass weit mehr Manager als bisher zugegeben in die kriminellen Machenschaften verwickelt sind, ruft der Betriebsrat zur Unterstützung der Konzernleitung auf und verteilt tausende T-Shirts mit der Aufschrift „VW: Ein Team, eine Familie“.
Dieser VW-Patriotismus verfolgt das Ziel, die Beschäftigen einer kriminellen Mafia unterzuordnen und für die Misere in Mithaftung zu nehmen. Das dient der Vorbereitung auf massive Sozialkürzungen und Arbeitsplatzabbau.
Der Betriebsrat arbeitet bereits an einer Verschärfung des so genannten Effizienzprogramms. Schon im Oktober vergangenen Jahres, als es um die Frage ging, wie VW effizienter werden kann, hatte der Betriebsrat dem Vorstand ein eigenes 400-Seiten-Papier mit Vorschlägen zur Einsparung von fünf Milliarden Euro allein bei der Kernmarke VW vorgelegt. Seitdem wurde die Zusammenarbeit zwischen dem Betriebsrat, der IG Metall und der Konzernspitze weiter intensiviert.
Die Grundvoraussetzung für die Verteidigung der Arbeitsplätze, Löhne und Sozialleistungen besteht darin, dem Bündnis von Betriebsrat und Management mit aller Macht entgegenzutreten. Arbeiter haben keinerlei Verantwortung für die Verbrechen des Vorstands und müssen jegliche Opfer zurückweisen.