VW-Vorstand und Betriebsrat kündigen schmerzhafte Einschnitte an

Auf einer außerordentlichen Betriebsversammlung im Wolfsburger Stammwerk kündigte VW-Chef Matthias Müller am vergangenen Dienstag eine grundlegende Umstrukturierung des Konzerns an.

Vor mehr als 20.000 Beschäftigten sagte Müller, die finanziellen und unternehmenspolitischen Konsequenzen der Abgasmanipulationen könnten noch nicht in vollem Umfang überblickt werden. Zwar seien sofort 6,5 Milliarden Euro im dritten Quartal zurückgelegt worden, „aber das wird nicht reichen“. Zusätzlich zu „erheblichen Strafzahlungen“ müsse mit „hohen Schadensersatzforderungen“ gerechnet werden.

Daher müssten alle Ausgaben und Kosten auf den Prüfstand und nach Möglichkeit reduziert werden. Das werde „nicht ohne Schmerzen gehen“, betonte der ehemalige Porsche-Chef, der erst vor zwei Wochen zum Nachfolger von Martin Winterkorn an der Spitze des Gesamtkonzerns ernannt wurde.

Müller ist als „konsequenter Sanierer“ bekannt, schreibt Spiegel Online. Für den Chefposten im größten europäischen Autokonzern hat er sich vor allem dadurch qualifiziert, dass er die Umsatzrendite bei Porsche auf 15 Prozent steigerte. Bei VW hat er nun eine Aufgabe übernommen, die weit über die bisherigen Maßnahmen bei Porsche hinaus geht. Die „existenzielle Krise“, die durch die kriminelle Manipulation der Abgaswerte entstanden ist, soll genutzt werden, um den Weltkonzern auf Kosten der Belegschaft umzustrukturieren und profitabler zu gestalten.

Es gibt seit langem Klagen, dass der Gewinn des Volkswagenkonzerns, insbesondere der Stammmarke VW, viel zu gering sei. In den vergangenen Jahren hatte vor allem das Chinageschäft, wo der Konzern in den vergangenen Jahren mehr Autos verkaufte als in der Europäischen Union, für Wachstum und Gewinne gesorgt. Mit der Krise in China ist dies nun akut bedroht.

Weil auch Porsche zum VW-Konzern gehört, begann Müller seine Rede mit dem Ausruf: „Volkswagen ist meine Heimat.“ Er fügte hinzu: „Das verbindet mich auch mit Herrn Dr. Winterkorn, dem ich von dieser Stelle aus für alles danke, was er in den vergangenen drei Jahrzehnten für Volkswagen und für unseren Konzern geleistet hat.“ Das klang wie Hohn in den Ohren vieler Mitarbeiter, nachdem immer deutlicher wird, dass der Ex-VW-Chef eine Mitverantwortung für die Abgasmanipulationen trägt.

Die Süddeutsche Zeitung kommentierte Müllers Rede mit den Worten: „Top-Manager neigen dazu, die Dinge oft schöner zu malen, als sie sind.“ Wenn Müller nun von unvermeidlichen Schmerzen für die Belegschaft spreche, sei das für Manager-Verhältnisse eine sehr dramatische Aussage. „Sie bedeutet: Jetzt, liebe Kollegen, geht es ans Eingemachte.“ Müllers Ansage markiere einen „großen Kulturwandel“ bei VW.

Eine Schlüsselrolle bei der geplanten Umstrukturierung des Konzerns spielen Betriebsrat und IG Metall. Zu Beginn der Betriebsversammlung schwor Betriebsratschef Bernd Osterloh die Belegschaft in einer fast einstündigen Rede auf eine enge Zusammenarbeit mit der Konzernleitung ein. Betriebsräte und Vertrauensleute fungierten auf der Veranstaltung als Jubelchor für Konzernchef Müller und den Vorstand. Als Müller ans Rednerpult trat, begannen die Betriebsräte einen lang anhaltenden Applaus.

Zuvor hatten sie bereits tausende T-Shirts mit der Aufschrift „VW: Ein Team, eine Familie“ verteilt. Überall prangten Plakate und Aufkleber mit derselben Aufschrift. Diese Kampagne zur Unterstützung des Vorstands, der direkt in die kriminellen Machenschaften der Abgasmanipulation verwickelt ist, dient der Vorbereitung massiver Sozialkürzungen und Entlassungen.

Schon im Oktober vergangenen Jahres, als es um die Frage ging, wie VW effizienter werden kann, hatte der Betriebsrat dem Vorstand ein eigenes 400-Seiten-Papier mit Vorschlägen zur Einsparung von fünf Milliarden Euro allein bei der Kernmarke VW vorgelegt. Seitdem wurde die Zusammenarbeit zwischen dem Betriebsrat, der IG Metall und der Konzernspitze immer weiter intensiviert.

Als es im Frühjahr zu einem heftigen Konflikt zwischen dem bisherigen Vorstandschef Winterkorn und dem Aufsichtsvorsitzenden und Großeigentümer Ferdinand Piёch kam, stellten sich Betriebsrat und IG Metall demonstrativ hinter Winterkorn. Der früherer IGM-Vorsitzende Berthold Huber übernahm nach Piёchs Rückzug kommissarisch die Leitung des Aufsichtsrats.

Damit leitete Huber auch das eigentliche Machtzentrum des Konzerns, das Präsidium des Aufsichtsrats. Darin hatten drei Gewerkschaftsvertreter (neben Huber, Betriebsratschef Osterloh und sein Stellvertreter Stephan Wolf) und ein gewerkschaftsnaher Sozialdemokrat (der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil, der das Bundesland als Anteilseigner vertritt) die Entscheidungsmehrheit.

Auf seiner gestrigen Sitzung hat der Aufsichtsrat den bisherigen VW-Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch zum neuen Vorsitzenden bestimmt. Weil aber Pötsch als langjähriges Vorstandsmitglied nicht unabhängig von den kriminellen Machenschaften der Abgasmanipulation ist, wird er nicht die konzerninterne Untersuchung leiten. Dafür hat das Aufsichtsratspräsidium eine eigene Kommission gebildet, die nun von Ex-Gewerkschaftschef Huber geleitet wird.

Huber hatte schon beim Umbau von Siemens eine führende Rolle gespielt. Auch in Deutschlands größtem Elektrokonzern war der IG-Metall-Chef stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender. „Er profilierte sich als einer der wichtigsten und emsigsten Aufklärer neben Siemens-Aufsichtsratschef Gerhard Cromme“, bescheinigt ihm die Süddeutsche Zeitung. Er war an allen Entscheidungen beteiligt, die zum Abbau von 130.000 Arbeitsplätzen führten.

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