Nach vier Monaten im Amt befindet sich die Syriza-Regierung unter Premier Alexis Tsipras in einer tiefen Krise. Die Staatskassen sind fast leer, und die größten Banken des Landes stehen kurz vor dem Kollaps.
Eine Welle der Opposition gegen wachsende Arbeitslosigkeit, Armut und sozialen Niedergang – die dramatischen Auswirkungen von mehr als fünf Jahren Sparpolitik – brachte Syriza in diesem Jahr an die Macht. Im Februar unterschrieb die Regierung ein Abkommen mit der Troika aus Europäischer Union, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfond (IWF), in dem sie sich zur Durchführung des laufenden Sparprogramms verpflichtete. Seitdem versucht Syriza eine Übereinkunft darüber zu finden, wie umfassend die Sparpläne sein können, damit sie politisch umzusetzen sind.
Griechenland hat die öffentlichen Ausgaben bereits um 2 Milliarden Euro gekürzt und greift auf weitere 2 Milliarden Euro des staatlichen Vermögens zurück, um über 13 Milliarden Euro an seine Schuldner zurückzuzahlen. In Finanz- und Politikkreisen schätzt man, dass das Land ohne externe Finanzierung keine weiteren Schulden bezahlen kann. Ein weiterer Kredit von 1,6 Milliarden Euro an den IWF wird im Juni fällig.
Die unterschiedlichen Sparvorschläge, die Syriza vorgelegt hat, wurden jedes Mal als unzureichend zurückgewiesen. Jetzt wird Syriza aufgefordert, schon einige Monate im Verzug, beispiellose Angriffe auf den Lebensstandard der ohnehin schon verarmten Bevölkerung durchzusetzten. Während die Krise ihren Siedepunkt erreicht, liegen Syrizas Versprechen einer Anti-Austeritätspolitik in Scherben. In dieser Situation fordert die Linke Plattform in Syriza, ein Amalgam aus unterschiedlichen pseudolinken Kräften, Stalinisten und Maoisten, dass Tsipras' Flügel wenigstens den Anschein der einstigen Anti-Austeritätsfloskeln beibehält.
Die Linke Plattform gewann 2013 auf der Parteikonferenz 60 Sitze in Syrizas Zentralkomitee und stellt 30 Prozent der Syriza-Abgeordneten. Die Rolle der Linken Plattform, die von pseudolinken Gruppen in anderen Ländern fortwährend als „radikale“ Anti-Austeritätsfraktion in Syriza gepriesen wird, besteht darin, die Arbeiterklasse in Griechenland und weltweit zu täuschen. In herrschenden Kreisen wird Tsipras unterdessen für seine Standfestigkeit gegen die „harte Linie“ der Linken Plattform gepriesen. Das britische Magazin Economist bezeichnete die Plattform gar als „The Wild Ones“ .
Eine Hauptgruppe in der Linken Plattform ist die Internationale Arbeiterlinke (DEA). Antonis Davanellos, ein führender DEA-Politiker und Mitglied in Syrizas Zentralkomitee sowie im Politischen Sekretariat, schrieb in einem Artikel vom 18. Mai: „Wir haben uns [am 20. Februar] verpflichtet, die Schulden ‚vollständig und pünktlich‘ zurückzuzahlen, und verzichten auf jeden ‚unilateralen Schritt‘ zur Umsetzung unseres Parteiprogramms, das die Grundlage für ein starkes Bündnis der Arbeiter und Volksmassen an der Seite der Regierung geschaffen hätte.“ Im Gegenzug, fügt er hinzu, „haben wir nichts bekommen“, keinerlei Zugeständnisse.
Davanellos merkt an, dass Syriza seit dem 20. Februar auf die Forderungen der Troika reagiert, indem sie Stück für Stück ihre Rhetorik gegen die Sparpolitik aufgibt. Trotzdem, erklärt er, „haben wir versucht, die ‚roten Linien‘ zu verteidigen, die die Regierung nicht zu überschreiten versprach. Und das obwohl diese ‚roten Linien‘ viel weniger beinhalteten, als Tsipras’ Zusagen auf der Internationalen Messe in Thessaloniki im September 2014, welche wiederum hinter den Forderungen des Gründungsprogramms von Syriza zurückbleiben.“ Als Ergebnis der politischen Auseinandersetzung sind, wie Davanellos zugibt, „heute die ‚roten Linien‘ verschwunden.“
Griechenland „hat die Reserven der öffentlichen Kassen fast ausgeschöpft und nähert sich im raschen Tempo einem kritischen Punkt“, erklärt Davanellos und warnt: „Dieser Rückzug – denn von ‚Kompromiss‘ kann kaum mehr die Rede sein – wird fatale politische Konsequenzen haben. Syriza kann nicht in eine Austeritätspartei verwandelt werden.“
Im Gegenteil: Syriza hat sich bereits als ebensolche Partei entlarvt.
In einem Kommentar der Financial Times zu den Forderungen der Linken Plattform erklärte Giorgos Pagoulatos, Professor an der Athener Universität für Wirtschaft und Handel: „Der Kampf in Syriza wird zwischen den Pragmatisten und denjenigen ausgefochten, die Anspruch auf den Posten der Anti-Austeritätspolitik stellen, den Tsipras eben dabei ist zu verlieren.“
In seiner Erklärung vor dem Zentralkomitee in dieser Woche betonte Tsipras: „Ich werde kein Abkommen [mit der Troika] akzeptieren, das mit geliehenen Stimmen im Parlament verabschiedet wurde.“ Er fügte hinzu: „Wenn ich dem Parlament ein Abkommen anbiete, dann wird es ehrlich und vorteilhaft für die Bevölkerung sein. Deshalb werde ich keine Nein-Stimmen von Syriza-Abgeordneten und den Unabhängigen Griechen [dem rechten Koalitionspartner Anel] akzeptieren.“
Bei dem Treffen unterstützte fast die Hälfte aller Anwesenden eine Resolution der Linken Plattform. 75 (44 Prozent der Anwesenden) votierten für die Resolution und 95 dagegen, ohne Enthaltung. Im Text der Resolution heißt es, die Troika habe vor, „auch den letzten Euro aus den Staatskassen zu pressen und eine ‚schutzlose‘ Regierung zu ihrer vollständigen Unterwerfung und einer beispielhaften Erniedrigung zu drängen.“
Syriza habe „keine andere Option, als zum Gegenangriff überzugehen und einen Alternativplan aufzustellen, der auf Syrizas Versprechen vor der Wahl und den programmatischen Ankündigungen der Regierung basiert.“ Notwendig sei „eine fortschrittliche Politik gegen das Memorandum, die zuallererst die Bedienung der Schulden einstellt.“
Führende Köpfe der Linken Plattform befürworten einen Rückzug Griechenlands aus der Eurozone und eine Rückkehr zur Drachme, der alten griechischen Währung, und damit „einen eventuellen Austritt aus der Eurozone“.
Doch die Resolution ruft in Wirklichkeit zu einem „annehmbaren Kompromiss“ auf, der sich auf vier Eckpfeiler stützt, unter anderem auf einen niedrigen primären Haushaltsüberschuss und eine Umschuldung. Außerdem fordert die Resolution pro forma einige Maßnahmen, die Syriza schon längst aus ihrem Programm gestrichen hatte, wie zum Beispiel die Nationalisierung der Banken. Während sie in Worten weitere Kürzungen der Löhne und Renten ablehnte, unterschied sich die Resolution kaum von Tsipras’ Flügel. Ihr Vorschlag zur „Wiedereinführung der Tarifverträge und stufenweisen Anhebung des Mindestlohns auf 751 Euro [das Niveau von 2009]“ ist erbärmlich.
Die konservative Tageszeitung Kathimerini bemerkte zu der Abstimmung des Zentralkomitees: „Einige Mitglieder der Linken Plattform sollen sich besorgt über die Auswirkungen einer allzu militanten Haltung gezeigt haben.“
Unmittelbar vor der Abstimmung erklärte der führende Kopf der Linken Plattform, Panagiotis Lafazanis, nachdem ihn ein Vertreter der faschistischen Goldenen Morgenröte als Anführer einer Fraktion bezeichnet hatte: „Ich vertrete die Regierung, die eine gemeinsame politische Linie hat. In diesem Moment lege ich eben diese politische Linie dar.“
Die Behauptungen der Linken Plattform, in irgendeiner Weise eine fortschrittliche Alternative darzustellen, werden durch ihren eigenen schmutzigen Werdegang entlarvt. Sie unterstützten enthusiastisch das Koalitionsabkommen von Syriza mit den fremdenfeindlichen Unabhängigen Griechen (Anel), die sie als hingebungsvolle Anti-Austeritätspartei darstellten.
Bereits vor den Januar-Wahlen hatte Lafazanis der bevorstehenden Koalition von Syriza und Anel den Weg geebnet, indem er erklärte: „Wir werden mit Kräften zusammenarbeiten, die eine verantwortungsbewusste Politik gegen das Memorandum, also eine Politik in eine progressive Richtung, verfolgen. Das ist die Grundlage unserer Kooperation.“
Die Linke Plattform lehnt einen gemeinsamen Kampf der Arbeiter in Griechenland, Europa und auf internationaler Ebene gegen die Austeritätspolitik und das kapitalistische System ab und wendet sich gegen eine sozialistische Perspektive. Sie bietet keine Alternative zur Sparpolitik, sondern eine Sparpolitik, die Syriza im Interesse der griechischen Bourgeoisie durchsetzt.
Die politischen Kräfte in Griechenland bereiten sich auf eine scharfe Konfrontation zwischen Syriza und der Arbeiterklasse vor. In dem Moment, in dem die sozialen und politischen Implikationen der pro-kapitalistischen Syriza-Politik offen zu Tage treten, sucht die Linke Plattform nach Wegen, die Entstehung einer unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse zu verhindern.
Stathis Kouvelakis, ein führender Vertreter der Linken Plattform und Mitglied im Zentralkomitee von Syriza, nahm im April an einer Debatte teil, die von der britischen Socialist Workers Party organisiert wurde. Dort warnte er, Syriza habe die Unterstützung vieler Arbeiter und Jugendlicher gewonnen und „wenn man nicht wirklich das macht, was notwendig ist, um diese Unterstützung auch zu halten, dann wird das in unvorhergesehener Weise nach hinten losgehen. Die Wut der Bevölkerung könnte sich ziemlich rasch gegen Syriza richten, viel schneller als viele Leute denken, denn die politische Landschaft in der griechischen Gesellschaft ist keineswegs stabil.“
Er betonte: „Wir haben keine ruhige Situation, in der wir sagen können ‚Wir haben eine stabile Wählerschaft‘ und so weiter. Alles ist in Bewegung, okay, das heißt, es kann in sehr heftiger Weise nach hinten losgehen.“