Am Freitag sprach ein Reporter-Team der WSWS am GDL-Streikposten vor dem Kölner Hauptbahnhof mit Lokführern. In den Tagen zuvor hatten bereits Reporter der WSWS in Frankfurt und Berlin mit Streikenden gesprochen. Auch in Köln kamen Lokführer am Streikposten zusammen, um auf ihren Streik aufmerksam zu machen und zu diskutieren.
Auf die jüngsten Medienberichte, in denen von sinkender Streikbereitschaft der GDL-Mitglieder die Rede war, reagierten die Lokführer verächtlich. „Wir wissen, dass sich sehr viele Kollegen am Streik beteiligen“, sagte einer. „Das ist alles Quatsch. Wir machen hier weiter.“ Ein anderer fügte hinzu: „Die Presse hetzt die ganze Zeit schon gegen uns, auch während der vergangenen Arbeitskämpfe. Vor noch nicht allzu langer Zeit veröffentlichte der Focus ein Foto von Weselskys Wohnung. Das kam beinahe einem Aufruf gleich, ihn zu lynchen.“
Die Streikenden sprachen mit den WSWS-Reportern über die katastrophalen Arbeitsbedingungen des Bahnpersonals.
Dietmar, 52, seit 2012 Lokführer, berichtet von den schwierigen Arbeitsbedingungen und den Überstunden. „Wir haben Schichtbeginn zwischen 0 und 24 Uhr. Das ist kein regelmäßiger Schichtdienst, wie in einem Drei- oder Vierschichtsystem. Wie wir dann zu unserem Arbeitsplatz kommen, der teilweise auch bis über 100 Kilometer entfernt ist, ist unser Bier. Auch für uns fahren die Züge nicht zu besonderen Zeiten. Wir haben Schichtlängen zwischen sechs und zwölfeinhalb Stunden. Bei Personalknappheit hängen wir schon einmal eine Stunde dran.“
Er arbeite im Schnitt zehn Stunden. Das sei auch gefährlich. „Bis jetzt ist noch alles gut gegangen“, sagt Dietmar. „Aber es ist eigentlich ein No-Go: Das darf nicht sein.“
Mehrere junge Lokführer berichten in ähnlicher Art und Weise von harten Arbeitsbedingungen, die sich vor allem in den letzten Jahren verschlimmert haben. Bis jetzt habe noch keiner von ihnen ein rotes Signal aus Zeitdruck überfahren. Sie wissen aber von Kollegen, dass so etwas vorkommt. Einer von ihnen sagt: „Davor fürchte ich mich.“
Insbesondere das niedrigere Gehalt von Lokrangierführern im Vergleich zu Lokführern, das die DGB-Gewerkschaft EVG (Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft) 2008 mit dem Bahn-Konzern vereinbarte, erregt die Gemüter.
Rüdiger, seit gut 15 Jahren Lokführer, erklärte: „Für mich ist nicht nachvollziehbar, warum ein Lokrangierführer, der nicht den ganzen Tag im Bahnhof hin und her fährt, sondern immer wieder auch auf der Strecke fährt, schlechter bezahlt wird als ein normaler Lokführer. Warum soll der Lokrangierführer einen anderen Tarifvertrag bekommen? Die Bahn will damit Ausgaben einsparen und gleichzeitig wird versucht, uns Lokführer zu spalten. Diese Billiglokführer-Tarife werden von der EVG unterstützt.“
Dietmar ergänzt: „Eine richtige Arbeitnehmervertretung ist meines Erachtens nach von den DGB-Gewerkschaften, Verdi oder so, keiner mehr.“
Noch schlechter hätten es die Zugbegleiter und Bordgastronomen. „Die haben die Sonderregelung, dass sie bis zu 14 Stunden arbeiten dürfen. Da gab es extra Gerichtsurteile. Man sagt zwar, dass nach 14 Stunden auch entsprechende Ruhepausen vorgesehen sind. Aber wenn die Kollegen 14 Stunden im Zug auf und ab laufen und Tabletts tragen, kann man davon ausgehen, dass das für ihre Gesundheit nicht gut ist.“
Der lange Tarifkampf mit jetzt schon acht Streikaktionen hat zu vielen Diskussionen unter den Arbeitern geführt. Rüdiger spricht davon, dass er nun vieles mit anderen Augen sehe. „Es gibt ja viele Berufe mit noch schlechteren Arbeitsbedingungen.“ Gerade im Gesundheitswesen würde er sich für die dort Beschäftigten wirkliche Verbesserungen wünschen.
Angesprochen auf die Notwendigkeit, bei der Verteidigung der sozialen Errungenschaften und der demokratischen Rechte, mit den Arbeitern anderer Länder zusammenzuarbeiten, sagt er: „Darin bekomme ich immer mehr Einblick.“ Durch den Streik sei man viel enger in Kontakt mit anderen und erfahre sehr viel über die Situation auch in andern Ländern.
Am Anfang des Streiks sei er zögerlich gewesen. „Aber je mehr ich mich damit beschäftige, desto mehr weiß ich, dass es richtig ist, dass ich hier bin und streike.“
Rüdiger war sich bewusst darüber, dass es der Bahn darum geht, die Verhandlungen solange zu verschleppen, bis das Tarifeinheitsgesetz in Kraft ist. Dieses würde Streiks wie den der GDL faktisch verbieten. „Wir bräuchten noch mehr Unterstützung in der Bevölkerung. Wir müssen die Arbeiterrechte verteidigen, die von früheren Generationen erkämpft wurden.“
„Und was mir noch so aufgegangen ist“, bemerkt Dietmar, „das ganze kann auch durchaus noch mit [Freihandelsabkommen der EU mit den USA und Kanada] TTIP und CETA in Verbindung stehen.“ Er befürchtet, „dass da auch schon erste Vorbereitungen getroffen werden, dass es für die Wirtschaftsmafia noch leichter wird, die Löhne zu drücken.
Daher lehnen die Streikenden eine Schlichtung ab, wie sie die Bahn vorgeschlagen hatte. „Wir werden ständig hingehalten“, sagt Rüdiger. „Auch mit der Schlichtung. Was soll der Schlichter denn machen? Es geht ja hier nicht um ein paar Prozent mehr oder weniger. Es geht hier um grundsätzliche Fragen. Können wir uns unabhängig organisieren und streiken oder nicht. Es geht um unser Grundrecht. In der Türkeipolitik sagt Merkel: ‚Grundsätze sind nicht verhandelbar.‘ Wenn das Streikrecht angegriffen wird, was kommt dann als nächstes?“
Auch über die militärische Aufrüstung ist er beunruhigt. „Ich will es mal so sagen: Ich bin schon immer gegen Krieg gewesen. Wer ist schon dafür? Durch den Streik habe ich im Internet mehr gelesen und dann natürlich auch Artikel, die nicht direkt mit unserem Streik zu tun haben. Man merkt, wie man von der Politik an der Nase herumgeführt wird. Man merkt, dass die Medien – auch die öffentlich-rechtlichen – oft das sagen, was die Politik von ihnen verlangt. Die ganzen Kriegseinsätze werden immer schön geredet.“
Frey kommt gebürtig aus Amerika, lebt schon länger in Europa und kam zum Streikposten der GDL. Er sieht in den Streiks ein „Zeichen von unfairer Behandlung“. Davon gebe es viel. „Die Lebenshaltungskosten steigen bei sinkenden Löhnen, gleichzeitig werden die Banken gerettet.“ Auch er sieht beim Widerstand gegen die ständigen Angriffe ein großes Problem: „Viele Gewerkschaften stehen auf der Seite der Arbeitgeber.“