"Heute stellen wir Ihnen nicht das vor, was wir tun wollen, sondern was wir tun können."
Mit diesen Worten präsentierte Alexis Tsipras, Vorsitzender der griechischen Koalition der Radikalen Linken (Syriza) im September 2014 auf der Internationalen Messe in Thessaloniki sein Parteiprogramm. Wenn er ehrlicher gewesen wäre, hätte er noch hinzufügen können, "und was wir tun können, entscheidet die internationale Finanzelite, mit der wir uns ständig in Diskussionen befinden."
Die Regierungskoalition aus Nea Dimokratia und Pasok konnte letzten Monat kein neues Staatsoberhaupt bestimmen, daher werden Ende Januar Parlamentswahlen stattfinden. Syriza liegt in den Umfragen an vorderster Stelle und wird vermutlich stärkste Kraft im neuen Parlament werden. Ihr "Programm von Thessaloniki" wird als fortschrittliche Lösung der Krise dargestellt. In Wirklichkeit will Syriza damit ihr Ziel erreichen, den griechischen und europäischen Kapitalismus zu überzeugen, dass sie die am besten geeignete Partei ist, um eine bevorstehende Katastrophe zu verhindern.
Syriza fordert in ihrem Programm einen "europäischen New Deal", d.h. von der Europäischen Investitionsbank finanzierte öffentliche Investitionen. Sie betont, im Gegensatz zur aktuellen Samaras-Regierung und ihrer Perspektive, "nur mit der deutschen Regierung" ein Bündnis aufzubauen, sei Syriza zu Verhandlungen bereit und arbeite daran, die breitesten Bündnisse in Europa aufzubauen.
Ihre zentrale Forderung ist die nach "quantitativer Lockerung (QL) durch die Europäische Zentralbank (EZB) durch den direkten Aufkauf von Staatsanleihen."
Die EZB unterstützt zwar dieses Programm des Gelddruckens, Deutschland lehnt es jedoch ab.
Syriza bietet nur durchsichtige Vorschläge an, um die Auswirkungen der Sparmaßnahmen zu verringern, die mehrere griechische Regierungen in Folge auf Befehl der "Troika" aus Europäischer Union, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds durchgesetzt haben. Sie behauptet, eine Syriza-Regierung werde das Land "durch die Aufhebung aller Ungerechtigkeiten durch das EU-Memorandum" zur Erholung führen und "langsam aber sicher Gehälter und Renten wieder erhöhen, um den Konsum und die Nachfrage zu erhöhen."
Sie fordert einen nationalen Wiederaufbauplan, um "den sozialen und wirtschaftlichen Zerfall rückgängig zu machen, die Wirtschaft wiederaufzubauen und einen Ausweg aus der Krise zu ermöglichen." Doch der ersten der vier "Säulen“, mit denen die "humanitäre Krise" bekämpft werden soll, werden in dem Programm nur 239 Worte gewidmet.
Die Maßnahmen, die darin beschrieben werden, richten sich nur an die "wehrlosesten sozialen Schichten." Sie sehen kostenlosen Strom vor (jedoch nur bis zu 3.600 Kilowattstunden pro Jahr) und Lebensmittelsubventionen für 300.000 Familien. Weitere Maßnahmen sind die Wiedereinführung des Weihnachtsgeldes, kostenloser medizinischer und pharmazeutischer Versorgung für Arbeitslose ohne Krankenversicherung und ein Sozialticket für Langzeitarbeitslose und Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben.
In Griechenland wurde eine humanitäre Katastrophe verursacht, und was Syriza vorschlägt, wäre nicht einmal der Beginn eines Kampfes dagegen.
Der Kampf gegen die soziale Katastrophe, die in Griechenland angerichtet wurde, wird laut Syriza nur etwas mehr als 1,8 Milliarden Euro kosten, die Gesamtkosten ihres Programms werden auf 11,3 Milliarden Euro geschätzt. Laut der griechischen Denkfabrik Centre for Progressive Policy Research wurden Griechenland jedoch von 2010 bis 2014 Sparmaßnahmen für 62,5 Milliarden Euro aufgezwungen.
Viele Menschen sind aufgrund von Entlassungen, Lohn- und Rentenkürzungen und zahlreichen neuen Steuern, von denen unverhältnismäßig stark die Ärmsten betroffen sind, massiv verschuldet. Unter Syriza wird es jedoch nur eine "teilweise, fallabhängige Abschreibung von Schulden für Menschen geben, die unter der Armutsgrenze leben, sowie als allgemeines Prinzip die Neubewertung ausstehender Schulden", sodass "für ihre Begleichung an Banken, den Staat und die Sozialkassen nicht mehr als ein Drittel des Einkommens des Schuldners erfordert."
Die herrschende Elite bliebe nahezu unangetastet. Gegen die massive Steuerhinterziehung der reichsten Griechen schlägt Syriza vor, "in einem Zeitraum von sieben Jahren zwanzig Milliarden Euro von insgesamt 68 Milliarden Euro Rückständen einzutreiben."
Der Plan ist so armselig, dass sogar Syriza zugeben muss, dass er im ersten Jahr nur drei Milliarden Euro Einnahmen bringen würde.
Syrizas hat ihr Programm im Laufe intensiver Diskussionen mit führenden politischen Vertretern entwickelt - vor allem, trotz gelegentlicher kritischer Bemerkungen auf beiden Seiten, mit Vertretern der deutschen herrschenden Elite.
Die italienische Zeitung La Stampa schrieb letzte Woche, dass der hochrangige SPD-Politiker und Staatssekretär der schwarz-roten Koalition unter Kanzlerin Merkel, Jörg Asmussen, seit Wochen geheime Verhandlungen mit hohen Syriza-Funktionären führt.
Asmussen war zuvor Mitglied des Vorstandes der Europäischen Zentralbank und steht EZB-Präsident Mario Draghi und dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble nahe. Die Zeitschrift Business Insider beschreibt ihn als den Mann, "den Frankfurt und Berlin für ihre Verhandlungen mit Alexis Tsipras ausgesucht haben."
Diejenigen, die Syriza benannt hat, um die Vertreter des Kapitals auszuhorchen, stammen selbst mehrheitlich aus privilegierten bürgerlichen Umfeldern und zeigen keinerlei Hemmungen umfassende Diskussionen mit den führenden kapitalistischen Institutionen der Welt zu führen.
Syrizas Chefökonom John Milios ist Absolvent des Athens College, der prestigeträchtigsten Privatschule in Griechenland. In einem Interview mit dem Guardian, in dem er als Sohn von Eltern mit "ausdrücklich nicht-linken Ansichten" bezeichnet wird, erklärt Milios: "Ich hatte nie etwas mit sowjetischem Marxismus zu tun."
Milios hat sich unter anderem mit Schäuble getroffen. Als er vor kurzem näher auf seine Rolle einging, erklärte Milios: "Ich werde weiterhin ständig bei der Bildung der öffentlichen Meinung in Griechenland und der Welt anwesend sein... und institutionell an wichtigen Treffen mit internationalen Gremien (IWF, Regierungsbehörden anderer Länder, Finanzzentren, etc.) teilnehmen, wie ich es auch bisher getan habe..."
Milios erklärte in einem Interview mit einer griechischen Zeitung die "internationalen Kontakte“, mit denen er sich regelmäßig treffe, "stimmen mit mir überein, dass hier ein sehr vorsichtiges Vorgehen notwendig ist."
Ein weiterer Berater von Tsipras ist der Ökonom und Erbe einer Reederfamilie Giorgios Stathakis. Im Januar 2014 versicherte Stathakis der Finanzelite, eine Syriza-Regierung werde den Großteil der griechischen Staatsschulden zurückzahlen. Er erklärte: "Über 90 Prozent der Schulden sind traditionelle auf den Märkten aufgenommene Staatsschulden, mit anderen Worten Staatsanleihen. Es gibt keine rechtliche Gefährdung für sie."
Euclid Tsakalotos, ein weiterer Berater Tsipras' ist Syriza-Abgeordneter und in Oxford studierter Wirtschaftsprofessor. Im Jahr 2012 sagte er der Australian Broadcasting Corporation, am Programm der Partei sei nichts Radikales: "Wir haben eigentlich das gleiche Programm wie die alten Arbeiter- und sozialdemokratischen Parteien..."
Die herrschende Klasse weiß, mit wem sie es zu tun hat, und dass sie von Syriza nicts zu befürchten hat. Krishna Guha von der Investmentbankberatungsfirma Evercore ISI sagte der Financial Times: "Wir glauben, dass sich Tsipras als pragmatischer erweisen wird, als Syrizas Rhetorik aus der Vergangenheit ahnen lässt. Er hat geheime Kanäle nach Berlin, Paris und Frankfurt aufgebaut und hat allen Anlass, über relativ kosmetische Veränderungen an Griechenlands Programm zu verhandeln und die Anfangsstadien des Programms zur Erholung Griechenlands zum Erfolg statt zum Scheitern zu führen."
Dennoch wird Syriza angewiesen werden, noch weiter nach rechts zu rücken, um nicht von Deutschland und der EU destabilisiert zu werden. Wie das einflussreiche Nachrichtenmagazin Der Spiegel am Samstag meldete, ist Merkel bereit, Griechenlands Austritt aus der Eurozone hinzunehmen, wenn eine von Syriza geführte Regierung von den Sparmaßnahmen abrücken würde.
Laut dem Spiegel hält die Bundesregierung einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone für "fast unausweichlich, wenn Tsipras nach den Neuwahlen die Regierung übernimmt, den Sparkurs aufgibt und die Schulden des Landes nicht mehr bedient."
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU, Michael Fuchs, drohte an Silvester in einem Interview mit der Rheinischen Post: "Wenn Alexis Tsipras von der Syriza meint, er könne die Reformanstrengungen und Sparmaßnahmen Griechenlands zurückfahren, dann wird die Troika aber auch die Kredite für Griechenland zurückfahren müssen.... Die Zeiten, in denen wir Griechenland retten mussten, sind vorbei. Es gibt kein Erpressungspotenzial mehr. Griechenland ist nicht systemrelevant für den Euro."