Ähnlich wie in Frankreich und Großbritannien wird auch in Italien rechten, populistischen Parteien, die gegen die Europäische Union auftreten, bei der Europawahl vom 25. Mai ein gutes Ergebnis vorausgesagt. Die Forza Italia des ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi liegt in den Umfragen bei 20, die Fünf-Sterne-Bewegung Beppe Grillos sogar bei 26 Prozent.
Berlusconi hat zwar als Regierungschef die EU nie in Frage gestellt, greift jetzt aber im Wahlkampf die EU und Deutschland massiv an. Er ruft zum Kampf „gegen die Linken [gemeint sind Sozialdemokraten] und Kommunisten“ auf, die angeblich Europa und Italien fest im Griff haben.
Grillo wettert gegen den EU-Stabilitätspakt, der den Rahmen für die Haushaltskürzungen in Italien setzt. So schrieb er am 28. April in seinem Blog, wenn seine Bewegung siege, gehe er „nach Europa und sage: Die dort haben den Fiskalpakt unterzeichnet, aber wir zerreißen ihn. … Das Gesindel muss verschwinden.“
Die Demagogie der Rechten findet Gehör, weil die Mitte-Links-Regierung von Matteo Renzi in enger Abstimmung mit der EU die sozialen Rechte breiter Bevölkerungsschichten massiv angreift. Vor seinem Amtsantritt am 22. Februar hatte Renzi, dessen Demokraten der europäischen Familie der Sozialdemokraten angehören, noch versprochen, die Wirtschaft auch um den Preis eines steigenden Haushaltsdefizits anzukurbeln. Davon ist nichts übrig geblieben. Bei einem Besuch in Berlin Mitte März versprach er, den „Stabilitäts- und Wachstumspakt“ der EU streng zu beachten.
Seine Regierung hat begonnen, die Arbeitsgesetze aufzuweichen, und bereitet ein Programm weitreichender Privatisierungen und Sozialkürzungen vor. Wirtschaftsminister Pier Paolo Padoan, ein ehemaliger OECD-Chefökonom, hat den IWF-Wirtschaftsexperten Carlo Cottarelli beauftragt, ein umfangreiches Sparprogramm zu entwickeln.
Italien soll noch in diesem Jahr sieben Milliarden Euro einsparen. Im nächsten Jahr soll die Summe auf 18 und bis 2016 über 34 Milliarden Euro steigen. Und das nach sechs Jahren wirtschaftlicher Rezession, in denen sich die Arbeitslosigkeit auf offiziell 13 Prozent verdoppelt hat, über 40 Prozent aller Jugendlichen ohne Arbeit sind und eine ganze Schicht von Senioren auf Grund von Rentenkürzungen verarmt sind.
Auch in der Außenpolitik verfolgt die Regierung Renzi einen äußerst reaktionären und unpopulären Kurs. Sie unterstützt uneingeschränkt das aggressive Vorgehen Deutschlands und der USA gegen Russland und will sogar eigene Soldaten in die Ukraine schicken. „Wir können nicht bloß stehenbleiben und zuschauen”, sagte Verteidigungsministerin Roberta Pinotti am 4. Mai in einem Interview mit der Zeitung Repubblica. Italien sei bereit, „ein Kontingent von Peacekeepern“ aufzustellen.
Im selben Interview griff Pinotti die pazifistische Stimmung der Bevölkerung an. „Leider gibt es in Italien immer noch wenig ‘Verteidigungskultur’“, klagte sie. Um sich zu schützen, brauche man hochentwickelte Waffen, die aus der Entfernung heraus zerstören könnten.
Renzi selbst hatte am 27. März das Vorgehen in der Ukraine mit US-Präsident Obama anlässlich eines Staatsbesuchs in Rom persönlich abgesprochen. Kurz davor war fast sein gesamtes Kabinett nach Berlin gereist, wo Renzi versprach, die deutsche Politik in der Ukraine und Sanktionen gegen Russland zu unterstützen.
Die Liste „Das andere Europa mit Tsipras“
Angesichts der weitverbreiteten Ablehnung der EU und der Regierung Renzi fällt der Liste „Das andere Europa mit Tsipras“ (Lista L’ALTRA EUROPA con Tsipras) eine entscheidende Rolle dabei zu, die Entstehung einer linken Oppositionsbewegung der Arbeiterklasse zu unterdrücken.
Die „Liste Tsipras“ geht auf einen Aufruf einiger Intellektueller zurück, der am 17. Januar in der Zeitung Il Manifesto erschien. Sie riefen zur Bildung einer Wahlliste von Persönlichkeiten auf, die die Kandidatur von Alexis Tsipras unterstützen. Tsipras ist Vorsitzender der griechischen Koalition der radikalen Linken (Syriza) und europäischer Spitzenkandidat der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken (GUE/NGE), zu der auch die deutsche Linkspartei gehört.
Dem Aufruf schlossen sich mehrere italienische Parteien an, die nun gemeinsam zur Wahl antreten, darunter die SEL (Sinistra Ecologia Libertà) Nichi Vendolas, Rifodazione Comunista (PRC), die Südtiroler Grünen, die Piraten und die Antikorruptionspartei Azione Civile. Aushängeschilder der Liste sind prominente Richter, Autoren, Theaterleute und Journalisten.
Der Aufruf stellt die „Liste Tsipras“ als „dritten Weg“ dar „zwischen jenen, die die EU zerstören wollen, und jenen, die sie beibehalten wollen, wie sie ist“. Tatsächlich verteidigt die „Liste Tsipras“ die EU nicht nur, sondern will sie – nach innen und nach außen – weiter stärken. Zu diesem Zweck versucht sie, der EU ein pseudodemokratisches Feigenblatt umzuhängen, ohne ihre kapitalistische Grundlage in Frage zu stellen.
So verteidigt der Aufruf den Euro und erklärt: „Der Euro wird nicht standhalten, wenn er nicht zur Währung einer demokratischen, supranationalen Regierung und einer Politik wird, die nicht von oben herab erlassen, sondern von den europäischen Frauen und Männern diskutiert und beschlossen wird.“ Die EU müsse zu einer „politischen Union“ werden und sich eine neue Verfassung geben.
Was von dieser europäischen Basisdemokratie zu halten ist, wird im nächsten Absatz deutlich, der für die Europäische Zentralbank „gleiche Vollmachten“ fordert, „wie sie die Bank of England und die FED ausüben“ – mit anderen Worten, für eine Diktatur des Finanzkapitals eintritt. Des weiteren rufen die Autoren zur Verteidigung der bürgerlichen italienischen Verfassung auf – „der Verfassung, die aus der Resistenza geboren ist“.
Der ganze Text hat eine klare antiamerikanische Ausrichtung. Es geht den Autoren darum, die EU als imperialistisches Bollwerk gegen die USA zu stärken. Mit unverhülltem Chauvinismus wird darin eine Außenpolitik gefordert, „die sich nicht mehr im Schlepptau eines Landes – der Vereinigten Staaten – befindet, das zwar an Macht aber nicht an Rücksichtslosigkeit verliert“. „Die Pax americana bringt Krieg, Chaos, Überwachung. Es ist Zeit, eine Pax europea zu gründen“, heißt es in dem Aufruf.
Das wesentlich längere Wahlprogramm der “Liste Tsipras” ist in dieser Hinsicht noch deutlicher. Es wirft der europäischen Außenpolitik „Feigheit“ vor, weil sie „ein unvollendetes politisches Projekt“ sei. Europa spreche „nicht mit einer Stimme. Es reicht, an Fälle wie Libyen und Syrien zu denken. Und in jüngster Zeit an den Konflikt in der Ukraine, wo Europa eine schwere, direkte und indirekte Verantwortung trägt.“
Um das Projekt der europäischen Außenpolitik zu „vollenden“, schlägt die „Liste Tsipras“ die „Integration der nationalen Armeen“ zu einer europäischen Armee vor, die in riskante Regionen intervenieren kann.
Sollte noch jemand Zweifel daran haben, dass es der “Liste Tsipras” darum geht, Renzis verhasste Demokraten und andere diskreditierte sozialdemokratische Parteien in Europa zu stärken, betonen ihre Vertreter immer wieder ihre Bereitschaft, mit deren Spitzenkandidaten Martin Schulz zusammenzuarbeiten.
Der wohl prominenteste Vertreter der Liste in Italien, Nichi Vendola, erklärte auf dem SEL-Parteitag Ende Januar, ein Sieg von Tsipras werde das Lager von Schulz stärken. Er gab die Parole aus: „Mit Tsipras, aber nicht gegen Schulz; mit Tsipras, um Schulz entgegen zu kommen.“ Dann dankte er „dem Führer der europäischen Sozialdemokratie, Martin Schulz, aus tiefstem Herzen für den schönen Brief, den er uns geschickt hat“.
Vendola machte auch deutlich, dass er politische Prinzipien grundsätzlich ablehnt. Mit Tsipras sei er sich darüber einig, dass „Parteien, die an ideologischer Orthodoxie und Nostalgie kranken, nicht unsere Weggefährten“ sein können, sagte er.
Alexis Tsipras’ offizieller Vertreter, Argyrios Panagopoulos, der im Nordwesten Italiens kandidiert, äußerte die Hoffnung, „dass die Liste ‚Das andere Europa mit Tsipras‘ auch der Demokratischen Partei nützlich werden kann und sie dazu drängt, aus der Abhängigkeit der Banken herauszutreten“. Um im nächsten Atemzug hinzuzufügen, dass auch die „Liste Tsipras“ das Diktat der Banken akzeptiert: „Wir lügen die Leute nicht an: Wir haben allen gesagt, dass sie das, was sie in der Krise verloren haben, nicht mehr zurückbekommen.“
Die „Liste Tsipras“ ist eine rein bürgerliche Partei, die das riesige Vakuum auf der Linken auszufüllen versucht. Die Bourgeoisie fürchtet, dass dieses Vakuum durch eine revolutionäre Politik gefüllt wird. Tsipras hat sich in Griechenland als ihr getreuer Handlanger bewährt, nun versuchen sie, ihn in einem anderen Land einzusetzen, dessen Wirtschaft vor dem Zusammenbruch steht.