Die Europäische Linke hat am Sonntag in der Berliner Volksbühne eine Veranstaltung zur Vorbereitung der kommenden Europawahl durchgeführt.
Zuvor hatten die Führer der deutschen Linkspartei an der Gedenkstätte für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die am 15. Januar 1919 ermordet wurden, rote Nelken und Kränze niedergelegt. Sie pflegten damit ein jährliches Ritual, das auf die KPD der Weimarer Republik und auf die DDR zurückgeht. Waren früher Walter Ulbricht und Erich Honecker zur Gedenkstätte für die beiden ermordeten Revolutionäre gepilgert, tun dies heute Gregor Gysi, Katja Kipping und Oskar Lafontaine.
Dabei haben die einen wie die andern nicht das Geringste mit den beiden Geehrten gemein. Luxemburg und Liebknecht waren revolutionäre Sozialisten, die lieber für ihre Überzeugung ins Gefängnis gingen, als sich dem Druck des politischen Gegners zu beugen. Ulbricht und Honecker waren dagegen stalinistische Lakaien, und ihre Nachfolger in der Linkspartei sind bürgerliche Politiker, die längst Teil des Berliner Machtapparats sind.
Die Europa-Versammlung in der Volkbühne war von demselben Schwindel geprägt wie die Luxemburg-Liebknecht-Kundgebung. Obwohl die Redner die Europäische Union teils heftig kritisierten, diente sie dazu, die EU zu verteidigen.
Vorausgegangen war eine öffentliche Auseinandersetzung über den Entwurf des Europawahlprogramms der Linkspartei. Fraktionschef Gregor Gysi und andere Vertreter des rechten Parteiflügels hatten sich öffentlich von einer Passage des Programmentwurfs distanziert, die die EU als „neoliberale, militaristische und weithin undemokratische Macht“ bezeichnet und die „Raubzüge der Großbanken, den Bürokratismus und die Unersättlichkeit der Rüstungskonzerne“ verurteilt. Dieser Absatz geht auf den sogenannten „linken“ Parteiflügel um Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine zurück.
Auf der Veranstaltung in der Volksbühne beteuerten nun sämtliche Redner – auch Lafontaine und Wagenknecht – ihre Unterstützung für die EU. Ihre Kritik ziele nicht auf die Abschaffung der EU, sondern lediglich auf eine Veränderung ihrer Politik, versicherten sie.
Gregor Gysi versprach, die Linke wolle „dafür kämpfen, dass die europäische Idee wieder attraktiv wird“. Sie wolle die EU nicht abschaffen, sondern „grundsätzlich verändern, demokratischer machen, friedlicher machen und sozialer machen“.
Oskar Lafontaine nannte es absurd, der Linken Europafeindlichkeit zu unterstellen. „Wir sind die wahren Europäer, die anderen verstoßen gegen den Geist Europas“ sagte er. „Und in diesem Sinne werden wir den Wahlkampf führen.“
Der Parteivorsitzende Bernd Riexinger versicherte der Berliner Zeitung: „Die EU ist für uns im positiven Sinn ein politischer Gestaltungsraum, den wir besser machen wollen, sozialer und gerechter.“
Sahra Wagenknecht erklärte, wer anti-europäischen Ressentiments entgegenwirken wolle, müsse sich für andere europäische Verträge und eine andere europäische Integration einsetzen.
Der nationale Sekretär der französischen Kommunistischen Partei und Vorsitzende der Europäischen Linken, Pierre Laurent, verkündete: „Die Stunde der Linken ist gekommen“. Er versprach eine „neue Ära sozialer, demokratischer und ökologischer Errungenschaften für die europäischen Völker“ und rief zur Sammlung aller Kräfte hinter Alexis Tsipras auf, dem Führer der griechischen Koalition der Radikalen Linken (SYRIZA), der für den Vorsitz der Europäischen Kommission kandidiert. Tsipras, der ursprünglich ebenfalls in Berlin sprechen sollte, verteidigt die Mitgliedschaft Griechenlands in der EU, obwohl deren Spardiktat für Millionen Griechen Arbeitslosigkeit und bittere Armut bedeutet.
Die Versammlung in der Volksbühne hat deutlich gezeigt, weshalb Die Linke die EU kritisiert. Es geht ihr nicht darum, dieses undemokratische Werkzeug europäischer Wirtschafts-, Finanz- und Großmachtinteressen abzuschaffen, sondern es gegen die wachsende Opposition breiter Bevölkerungsschichten zu verteidigen. Zu diesem Zweck schürt sie die Illusion, die EU ließe sich in ein Mittel des gesellschaftlichen Fortschritts verwandeln.
Die verschiedenen Parteiflügel teilen sich dabei die Arbeit. Während Lafontaine und Wagenknecht die Kritik an der EU in den Vordergrund stellen, versichert Gysi den herrschenden Kreisen in Brüssel und Berlin die unbedingte Loyalität der Partei. Dabei verfolgen alle dasselbe Ziel: Die Verteidigung der EU und ihrer Institutionen gegen die wachsende gesellschaftliche Opposition.
Ein Papier zur Wahlstrategie der Linkspartei, das der Vorstand am kommenden Wochenende beraten will, spricht dies unmissverständlich aus. Die EU sei „in weiten Teilen ihrer Mitgliedsstaaten in eine tiefe Legitimationskrise geworfen“, zitiert das Parteiblatt Neues Deutschland das Strategiepapier. Auch die Wähler der Linken treibe diese Skepsis um. Unter diesen Umständen sei „die Linke in Europa gefordert, den Kampf um die Europäische Union aufzunehmen“.
In diesem Kampf um die Europäische Union seien etwas radikalere Phrasen durchaus angebracht, heißt es weiter. Da „der Wunsch nach Alternativen und die Kritik an der EU überdeutlich zu spüren“ seien, lege man sich „mit den Herrschenden an“. Die Linke wolle im Wahlkampf auf eine „klare Sprache“ setzen und „ruhig mal etwas radikalere Forderungen aussprechen“.
Das sind die Worte skrupelloser politischer Zyniker. Die Vertreter der Linken wissen ganz genau, dass die EU weder durch eine „klare Sprache“ noch durch „etwas radikalere Forderungen“ zu verändern ist. Sie ist keine wertneutrale Instanz, die demokratisch kontrolliert und beeinflusst werden kann. Sie dient den europäischen Großmächten, Konzernen und Banken als Schaltzentrale für ihre Angriffe auf soziale und demokratische Rechte, Staatsaufrüstung und Militarismus.
Die Linke verteidigt die EU nicht, weil sie Illusionen in ihre Reformierbarkeit hat, sondern weil sie dieselben gesellschaftlichen Interessen vertritt, wie die EU. Sie ist eine rechte, bürgerliche Partei, die lediglich linke Phrasen drischt, um die zunehmende Opposition gegen die EU zu verwirren und zu ersticken.
Die einzige Möglichkeit, der EU entgegenzutreten, ist die gemeinsame Mobilisierung der europäischen Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms. Die Partei für Soziale Gleichheit (Deutschland) und die Socialist Equality Party (Großbritannien) treten in ihrem gemeinsamen Aufruf zur Europawahl gegen die EU und für Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa ein. Die Linke lehnt dies vehement ab.