Seit der Ford-Konzern Ende Oktober letzten Jahres angekündigt hat, sein Werk im belgischen Genk 2014 zu schließen, bemühen sich die drei im Betrieb vertretenen Gewerkschaften einen Arbeitskampf zu unterdrücken.
Die Nachricht der Schließung war bei den 4.600 Arbeitern des Fordwerks wie auch den rund 5.000 Beschäftigten der davon betroffenen Zulieferbetriebe auf Wut und Empörung gestoßen. Doch die Gewerkschaften akzeptierten von Beginn an die Schließungspläne und kündigten lediglich einen „teuren Sozialplan“ an.
Rohnny Champagne, der regionale Vorsitzende des sozialdemokratischen Gewerkschaftsverbands ABVV-Metaal, versprach, „unsere Haut in den Verhandlungen teuer zu verkaufen“. Wobei der Gewerkschaftschef nicht seine eigene Haut, sondern die der Arbeiter verkauft.
Viele Arbeiter lehnten einen solchen Ausverkauf ab und organisierten spontane Arbeitsniederlegungen. Daraufhin intensivierten die Gewerkschaften ihre Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung – neben der ABVV sind auch noch die liberale ACV und die christliche ACLVB im Werk vertreten. Sie nahmen sofort Verhandlungen mit dem Konzern auf und verlangten von den Arbeitern ultimativ, die Arbeit wieder aufzunehmen. Trotzdem kam es immer wieder zu spontanen Protesten und Produktionsunterbrechungen.
Daraufhin verabredeten Gewerkschaften und Geschäftsführung folgendes Vorgehen: Bereits nach dem ersten Treffen wurden die Verhandlungen für gescheitert erklärt und eine staatliche Vermittlungsstelle unter Leitung des Bürgermeisters von Genk eingesetzt. Um weitere Streiks und Proteste zu verhindern, stimmte die Gewerkschaft für den ganzen Dezember Kurzarbeit zu. Die Arbeiter mussten währenddessen auf 40 Prozent ihres Lohns verzichten.
Innerhalb der Belegschaft wurde in dieser Zeit lebhaft über die Notwendigkeit eines Streiks und den „Verrat der Gewerkschaften“ diskutiert. Ende des Jahres erhielten die Arbeiter dann Briefe des Schlichters, in denen sie dazu aufgefordert wurden, über einen Arbeitskampf zu entscheiden.
Die Arbeiter hatten drei Möglichkeiten der Stimmabgabe: 1. Für einen Streik; 2. für die Produktion von 1.000 Autos am Tag plus einen Brutto-Gehaltsbonus von 40 Prozent für die Restlaufzeit des Werks; 3. für die Produktion von 950 Autos pro Tag mit einem Brutto-Gehaltsbonus von 25 Prozent.
In einem beiliegenden Begleitschreiben warnte Ford, dass im Falle eines Streiks weder Lohn, noch staatliche Leistungen, noch Unterstützung aus der Streikkasse gezahlt würden.
Die Gewerkschaften widersprachen nicht. Offensichtlich war die Vorgehensweise abgesprochen. Die Arbeiter waren empört. Die Erpressung war offensichtlich, und die Modalitäten der Abstimmung öffneten Manipulationen und Fälschungen Tür und Tor. Einige Arbeiter berichteten, dass sie keine Unterlagen erhalten hätten, andere erhielten dafür mehrere Abstimmungszettel.
Um an der Abstimmung teilzunehmen, mussten die Arbeiter auch nicht ins Werk und sich durch den Werksausweis identifiziere. Sie konnten den Abstimmungszettel einfach zurücksenden oder im Werk abgeben.
Die Gewerkschaften stimmten diesem Vorgehen zu und machten unmissverständlich klar, dass sie einen Streik ablehnen. Ihr Ziel war es, die Auseinandersetzung vom Betrieb in die Gerichte zu verlagern. Sie erklärten, man müsse auf die Gerichte vertrauen. Sie warfen Ford Vertragsbruch vor, weil die Gewerkschaften erst vor zwei Jahren – ohne die Ford-Belegschaft zu befragen – eine 12-prozentige Lohnkürzung gegen eine Beschäftigungsgarantie bis 2020 vereinbart hätten.
Das Ergebnis der Abstimmung vom 7. Januar ließ dann die Wut der Arbeiter erneut hochkochen. Trotz der massiven Drohungen stimmten knapp 47 Prozent für Streik. Doch die Gewerkschaften zählten die Ergebnisse der beiden anderen Voten zusammen und kamen so auf 53 Prozent der Belegschaft, die angeblich für die Wiederaufnahme der Arbeit gestimmt hätten.
Wütenden Arbeitern erklärten die Gewerkschaftsfunktionäre, die Abstimmunsfarce sei ein „demokratischer Entscheid“, den alle zu akzeptieren hätten. Dies provozierte heftige Proteste, vor laufenden Fernsehkameras verbrannten Arbeiter ihre Gewerkschaftsjacken.
Insbesondere die Arbeiter der Zulieferbetriebe fühlten sich allein gelassen und ohne die Unterstützung der Fordarbeiter dem Druck ihrer Konzerne ausgeliefert. Während das Durchschnittsalter der Fordarbeiter nach dem ständigen Arbeitsplatzabbau der vergangenen Jahre inzwischen bei rund 49 Jahren liegt, sind die Arbeiter in den Zulieferbetrieben wesentlich jünger. Zudem sind die überwiegend aus der Türkei und Marokko stammenden Arbeiter nicht so gut ausgebildet. Während die Gewerkschaften also die älteren Fordarbeiter mit dem Versprechen auf Vorruhestandsregelungen und hohe Abfindungen ruhig zu stellen versuchen, erschien dies den Arbeitern in den Zulieferbetrieben wie ein Hohn.
Ein daraufhin gegründetes Aktionskomitee aus Beschäftigten der Zulieferbetriebe und Fordarbeitern beschloss am 9. Januar, erneut zu streiken. Dieses Komitee wurde politisch von gewerkschaftlichen Vertrauensleuten der maoistisch-stalinistischen Partej van de Arbeid (PvdA) angeführt. Das Aktionskomitee blockierte mehrere Werkstore bei Zulieferbetrieben und bei Ford, wobei es zu Handgreiflichkeiten zwischen Arbeitern und Streikenden kam. Dies führte im Januar zu erheblichen Produktionsausfällen.
Von den geplanten 1.000 Autos pro Tag konnten im Januar nur 8.000 gebaut werden. Um zu verhindern, dass der Produktionsausfall durch Autos von der Halde ausgeglichen wird, werden die 7.000 fertig produzierten Autos, die auf dem Werksgelände stehen, bewacht und als Faustpfand in den Verhandlungen benutzt. Das war eine der Forderungen, die das Aktionskomitee aufgebracht hatte.
Geschäftsführung und Regierung setzten massiv Polizei ein, um die Blockaden aufzulösen. Streikposten, die Arbeiter daran hinderten, das Werk zu betreten, wurde mit 1.000 Euro Geldbuße gedroht. Die Medien und die Gewerkschaften hetzten gegen die Streikenden.
Letztlich wurde der Streik, den das Aktionskomitee bis zum 21. Januar mit einigen hundert Beschäftigten führte, von den Gewerkschaften isoliert und ausgeblutet. Sie verweigerten den Streikenden die Auszahlung von Streikgeld und setzten sie so unter enormen Druck. Zudem versuchten sie, die Streikfront zu brechen, indem sie den Beschäftigten der Zulieferbetriebe versprachen, sie mit in die laufenden Verhandlungen einzubeziehen. Sie sollten im Sozialplan die gleichen Bedingungen wie die Fordarbeiter erhalten.
So von allen Seiten zermürbt, waren die streikenden Arbeiter schließlich gezwungen, den Streik abzubrechen. Für die neun Tage Streik mussten sie zwei Urlaubstage einsetzen. Für die restlichen sieben Tage versprach die Regierung die Zahlung von Kurzarbeitergeld.
Das Versprechen, die Beschäftigten der Zulieferbetriebe mit in die Verhandlungen über Sozialpläne und Abfindungsregelungen einzubeziehen, zog der Vorstandsvorsitzende von Ford Europa, Stephen Odell, nach dem Ende des Streiks kurzerhand wieder zurück.
Die Entwicklung der vergangenen drei Monate bei Ford in Genk hat deutlich gemacht, dass die Arbeiter nicht nur mit dem internationalen Automobilhersteller konfrontiert sind, sondern vor allem mit den eigenen Gewerkschaften.
Viele Arbeiter haben das sehr stark empfunden. Als die Auseinandersetzung zu eskalieren drohte und ein offener Konflikt zwischen der Belegschaft und den Gewerkschaften auf der Tagesordnung stand, griffen die Maoisten der PvdA mit ihren 80 Vertrauensleuten bei Ford ein. Ihre Verherrlichung eines inhaltlich nicht näher definierten „Kampfes“, der in der Form radikal erscheinen mag, diente in Wirklichkeit dazu, die Wut der rebellierenden Arbeiter aufzufangen und sie wieder der Autorität der Gewerkschaften unterzuordnen.
Der einzige inhaltliche Unterschied zwischen der offiziellen Haltung der Gewerkschaft und ihnen war ihre Forderung, dass alle Ford-Arbeiter bis 2020 ihren Lohn fortgezahlt bekommen, auch wenn das Werk Ende 2014 schließe. Das würde Ford ungefähr ein Viertel des Gewinns aus dem Jahr 2011 kosten, rechneten sie vor. Mit anderen Worten, auch sie haben in Wirklichkeit die Schließung schon längst hingenommen.
Sie arbeiteten im Aktionskomitee, um einen politischen Bruch mit den Gewerkschaften zu unterbinden. „Die gewerkschaftlichen Vertrauensleute hatten nicht zum Ziel, außerhalb der Gewerkschaften tätig zu werden“, erklärte der PvdA-Vorsitzende der Provinz Limburg Stany Nimmegeers gegenüber der WSWS und fügte hinzu: „Das war aber die Gefahr.“
Andere PvdA-Mitglieder betonten, sie strebten den gewerkschaftlich organisierten Kampf an, „denn nur Einigkeit macht stark“. Die „Einigkeit“ der PvdA bedeutet die Unterordnung der Arbeiter unter die Gewerkschaften, selbst wenn diese wie in Genk die Arbeiter in Zusammenarbeit mit dem Ford-Management ausverkaufen. Letztlich hat die PvdA den Gewerkschaften ermöglicht, die Arbeiter vorerst kalt zu stellen und die Kontrolle zu behalten. Das Aktionskomitee hat sich inzwischen aufgelöst.