2006 erklärte Josep Lluis Carod-Rovira, der frühere Präsident der größten separatistischen Partei Kataloniens, der Esquerra Republicana de Catalunya (Republikanische Linke Kataloniens – ERC):“Die ERC strebt nicht nach einem neuen Regionalstatut, sondern nach einem Staat… Wir wissen, dass wir mit 16 Prozent nicht die Mehrheit der Wähler hinter uns haben, aber wir sollten allmählich darauf hinarbeiten.“
In den sechs Jahren seitdem hat die Unterstützung für die Forderung nach Unabhängigkeit rapide zugenommen. 2010 waren fast 24 Prozent der Katalanen für die Unabhängigkeit. Eine Umfrage hat vor Kurzem ergeben, dass heute in einem Referendum 51 Prozent für die Lostrennung von Spanien stimmen würden.
Am 11. September nahmen 1,5 Millionen Menschen – das ist ein Viertel der Bevölkerung – an einer von der katalanischen Nationalversammlung organisierten Demonstration teil. Sie fand unter dem Motto „Katalonien, ein neuer Staat in Europa“ statt. Seitdem hat die katalanische Regionalregierung, die Generalitat, angekündigt, am 25. November vorgezogene Neuwahlen abzuhalten. Die Generalitat wird von der rechtsgerichteten Partei Convergència i Unió – CiU (Katalanische Konvergenz- und Einheitspartei)gestellt. Die von der Volkspartei (PP) geführte nationale spanische Regierung hatte zuvor einen Fiskalpakt abgelehnt, der der Region größere Kontrolle über die Steuergesetzgebung zugestehen sollte.
Die Regionalregierung verabschiedete eine Resolution, nach der voraussichtlich 2014 ein Referendum über die Selbstbestimmung stattfinden soll. Artur Mas, der Präsident der Region, erklärte: Wenn die spanische Regierung (das Referendum) autorisiert, umso besser … Wenn uns die spanische Regierung jedoch den Rücken zuwendet und das Referendum oder eine andere Form der Abstimmung nicht autorisiert, nun gut, dann machen wir das trotzdem.“
Arbeiter und Jugendliche sollten nicht glauben, dass die Unabhängigkeit Kataloniens ihren Interessen dienen würde. Derartige Vorstellungen haben angesichts des weltweiten Niedergangs des Kapitalismus nach dem Ausbrechen der Wirtschaftskrise 2008 an Unterstützung gewonnen. Überall auf der Welt hat die Bourgeoisie auf die Krise mit einer sozialen Konterrevolution gegen die Arbeiterklasse reagiert. Alle Parteien und Teile des politischen Establishments aller Länder, einschließlich Kataloniens, verfolgen die gleiche gegen die Arbeiterklasse gerichtete Politik.
Spanien hat einen dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit, Armut und sozialen Ungleichheit erlebt. Die PP-Regierung und ihre sozialdemokratische Vorgängerin der Sozialistischen Partei (PSOE) haben ein drakonisches Sparpaket nach dem anderen durchgesetzt. Dadurch traten Kürzungen im Gesundheitswesen, bei der Bildung und sozialen Dienstleistungen, Steuererhöhungen und gegen die Arbeitenden gerichtete Gesetze in Kraft. Die verschuldeten Regionalregierungen haben sich dieser Politik angeschlossen. Allein Katalonien hat drei Sparpakete in Höhe von fünf Milliarden Euro verabschiedet.
Die herrschende Elite Kataloniens behauptet, die Kürzungen wären nicht notwendig gewesen, wenn Katalonien, die bei Weitem reichste der siebzehn autonomen Regionen Spaniens, die allein für etwa 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steht, nicht den übrigen Teil Spaniens subventionieren müsste. Sie verfolgt die Absicht, einen neuen kapitalistischen Ministaat zu schaffen, um in ihrem eigenen Interesse, nicht in dem der Arbeiter, die ärmeren Regionen loszuwerden. Sie möchte einen größeren Anteil an der Ausbeutung der Arbeiterklasse durch die transnationalen Konzerne für sich sichern, indem sie die Steuern für Unternehmen senkt und die Sozialausgaben zusammenstreicht.
Die Arbeiterklasse hat wiederholt nicht nur in Spanien, sondern in ganz Europa gezeigt, dass sie bereit ist, dagegen zu kämpfen und dass sie danach strebt, ihre Reihen gegen den gemeinsamen Feind zu schließen. Eine solche Aktionseinheit ist die entscheidende Voraussetzung für jeden wirksamen Widerstand gegen das Großkapital und seine Parteien. Daher ist eine politische Opposition gegen den Separatismus erforderlich. Genau so muss aber auch jede Identifizierung mit dem kapitalistischen Nationalstaat ausgeschlossen werden.
Für die Krise des Nationalstaats muss eine progressive Lösung gefunden werden. Diese liegt nicht in der Auflösung existierender Staaten in kleinere und weniger lebensfähige Einheiten, die sich an der Ethnizität, der Kultur, Religion oder Hautfarbe orientieren. Die Nationalstaaten müssen durch eine rationalere und übergreifendere Form der Wirtschaft und der gesellschaftlichen Organisation ersetzt werden, die den wirtschaftlichen Realitäten der globalisierten Produktion besser entsprechen würde.
Niemals war es dringender nötig oder gab es stärkere Argumente für die Einheit der Arbeiterklasse und die Perspektive eines revolutionären Sturzes des spanischen Kapitalismus und der Europäischen Union und für die Bildung der Vereinigten Sozialistischen Staaten Europas.
Der katalanische Separatismus hat ohne eigenes Zutun Unterstützung in der Bevölkerung gefunden. Grund dafür ist der Verrat der Gewerkschaften und der sich als „links“ bezeichnenden Parteien. Die Gewerkschaften haben angesichts der wiederholten Versuche der Arbeiterklasse, Widerstand gegen die Kürzungen zu leisten, hohle Proteste organisiert, aber mit der Regierung und den Unternehmern den Arbeitsmarkt-„Reformen“ zugestimmt. Sie verurteilten die Aktionen der Fluglotsen zur Verteidigung ihrer Löhne und Arbeitsbedingungen. Sie standen auf der Seite der PSOE-Regierung, als diese die Fluglotsen der Kontrolle des Militärs unterstellte. Die Gewerkschaften haben zahllose Streiks der Arbeiter im öffentlichen Dienst isoliert und die Bewegung der asturischen Bergarbeiter in eine Sackgasse geführt. In Katalonien unterstützten sie die Forderung nach einem Fiskalpakt und die Demonstration vom 11. September.
Da eine revolutionäre sozialistische Alternative und Führung fehlt und der Klassenkampf unterdrückt wird, haben Rückschläge, Enttäuschungen und Frustration die Bedingungen dafür geschaffen, dass reaktionäre Alternativen aller Art Gehör finden. Deren Hauptfunktion ist die Spaltung der Arbeiterklasse und die Verhinderung einer revolutionären Mobilisierung.
Die Bewegung M-15 (die Indignados) war von Forderungen wie “Keine Politik” beherrscht und brach infolgedessen zusammen. Einige ihrer Führer beginnen jetzt erfolgreich selbst Karriere in der bürgerlichen Politik zu machen. Gerade haben sie an einem „sehr positiven“ Treffen mit Abgeordneten in Deutschland teilgenommen.
Ein ähnliches Bestreben, gesellschaftlich und finanziell vorwärts zu kommen, steht hinter der Masse der kleinbürgerlichen katalanischen Gruppierungen, die die „Unabhängigkeit“ propagieren. Sie versuchen, dem Separatismus ein fortschrittliches Ansehen zu verleihen. Ihr Ruf ist „Unabhängigkeit und Sozialismus“ (mit immer stärkerer Betonung auf Unabhängigkeit) in den „katalanischen Ländern“. Damit meinen sie die Regionen von Valencia, die Balearen, Westaragonien, Andorra und das südfranzösische Département Pyrénées-Orientales. Das Recht auf „nationale Selbstbestimmung“ wird als eine Art marxistischer Grundsatz beschworen, ohne die Veränderungen der Weltwirtschaft und die Erfahrungen mit den nationalen Befreiungsbewegungen des 20. Jahrhunderts in Betracht zu ziehen.
Es stimmt, dass Lenin die Losung der Selbstbestimmung in das Programm der Bolschewiki aufgenommen hat. Er bestand dabei darauf, dass dies – und zwar ausschließlich – das Recht auf Lostrennung und die Bildung eines eigenen Staates bedeute. Allerdings wurde diese Forderung immer als ein Mittel der Opposition der Bolschewiki gegen die russischen Regierungen angesehen, die versuchten, die „einverleibten Nationen“ mit militärischer Gewalt im Reich des Zaren zu halten. Die Forderung zielte auf die Überwindung der wechselseitigen Animositäten zwischen den Arbeitern aus verschiedenen Nationen und den Einfluss der kleinbürgerlichen Nationalisten.
Lenin lehnte das Programm und die Auffassungen von kulturell-nationaler Autonomie des österreichischen Sozialdemokraten Otto Bauer ab, der separate Schulen und sogar separate demokratische Parteien für die verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen forderte. Lenin bemühte sich, die Hindernisse für einen gemeinsamen Kampf gegen die Bourgeoisie zu überwinden, und versuchte nicht, neue zu errichten, wie es die pseudolinken Gruppierungen tun.
In Spanien waren der katalanische und baskische Nationalismus immer vor allem Bewegungen der Intelligenz, die am Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden. Diese suchte in der Bauernschaft Unterstützung gegen die Vorherrschaft des Großkapitals und die staatliche Bürokratie zu gewinnen. Jedes Mal, wenn sich eine revolutionäre Bewegung entwickelte, versuchten diese Elemente sie zurückzuhalten und zu ihrem eigenen Vorteil auszunutzen.
Als 1931 die Diktatur von General Miguel Primo de Rivera fiel, und die Spanische Revolution sich anbahnte, erklärte die Baskische Nationalistische Partei (PNV) offen, dass es ihr Ziel sei, „die Arbeiterbewegung und die Möglichkeit einer Revolution aufzuhalten.“ Sie forderte von ihren Mitgliedern „absolute Enthaltung von einer Teilnahme an jeder Klassenbewegung und, wenn nötig, die Befehle der Behörden zu beachten“.
In Katalonien stimmten 99 Prozent der Wähler 1931 in einem Referendum für ein Autonomiestatut. Trotzdem beharrte Leo Trotzki darauf, dass dieser scheinbar aus vollem Herzen akzeptierte katalanische Nationalismus durch die Arbeiter „nur die Schale ihrer sozialen Rebellion“ sei.
Auch Trotzki unterstützte das Recht auf Selbstbestimmung, einschließlich der Bildung separater Staaten, aber er sagte, es sei nicht die Rolle der Marxisten, ihre Schaffung zu befürworten. Das Gegenteil sei der Fall. Marxisten hätten die Aufgabe, zu erklären, die größten Vorteile für Wirtschaft und Kultur bringe die „wirtschaftliche Einheit des Landes mit umfassender Autonomie der nationalen Distrikte.“
In seiner Perspektive der Permanenten Revolution beharrte Trotzki darauf, dass in Ländern mit einer verspäteten kapitalistischen Entwicklung „die volle und wirkliche Lösung ihrer demokratischen Aufgaben und des Problems ihrer nationalen Befreiung nur denkbar ist mittels der Diktatur des Proletariats als des Führers der unterdrückten Nation und vor allem ihrer Bauernmassen.“
Unter dem Einfluss des Stalinismus und seiner Theorie des “Sozialismus in einem Land” wurde diese Perspektive – der die Bolschewiki im Oktober 1917 folgten – abgelehnt. Die Stalinisten nahmen stattdessen eine „Theorie der zwei Stufen“ an. Damit rechtfertigten sie die Zusammenarbeit der jeweiligen kommunistischen Parteien mit bürgerlichen Kräften und die politische Unterordnung der Arbeiterklasse unter diese. Dies drückte sich in ihrer Volksfrontpolitik aus, die 1935 zum Programm der Kommunistischen Internationale erhoben wurde sowie in der Volksfrontregierung im darauffolgenden Jahr in Spanien, an der sich die PSOE, die ERC und die Kommunistische Partei (PCE) beteiligten.
In Katalonien versuchte die Volksfrontregierung die Situation der Doppelherrschaft zu beseitigen, die sich nach dem Putsch General Francisco Francos gebildet hatte. Sie machte sich daran, das Zentrale Komitee der Antifaschistischen Milizen aufzulösen, die zum wichtigsten Machtorgan in der Provinz geworden waren. Sowohl die Partei der marxistischen Einheit (POUM) unter Führung von Andres Nin als auch die anarcho-syndikalistische Nationale Arbeiterkonföderation (CNT) schlossen sich der Generalitat an und verrieten so den Arbeiteraufstand vom Mai 1937. Sie erlaubten der Regierung, Barcelona zu besetzen und die besetzten Güter und Fabriken der Bourgeoisie zurückzugeben. Nur die Anhänger Trotzkis riefen zu einer Einheitsfront von Anarchisten und der POUM und der Bildung von Sowjets auf, um die sozialistische Revolution durchzuführen.
Während der Diktatur der Falangisten (1939- 1975), annullierte Franco die Autonomiestatuten und verbot jeglichen Ausdruck katalanischer oder baskischer Identität. Diese Maßnahmen führten 1959 zur Bildung der Baskischen Heimats- und Freiheitspartei (Euskadi ta Askatasums – ETA), einer Abspaltung der dahinsiechenden PNV. Etwas später im gleichen Jahrzehnt begann die ETA mit der Ermordung von Repräsentanten der Polizei und des Militärs, um Franco die Unabhängigkeit abzuringen.
In den letzten Jahres des Franco-Regimes befürwortete die PCE eine versöhnlerische Politik des „Vergebens und Vergessens“ gegenüber den Faschisten und verhandelte hinter verschlossenen Türen über einen „friedlichen Übergang“ vom Faschismus in eine kapitalistische Demokratie.
Das Ergebnis dieser Absprachen und der Unterdrückung der revolutionären Gefühle der Arbeiterklasse in der Nach-Franco-Ära war die Verfassung von 1978, durch die eine halbföderale Struktur geschaffen wurde, die das Land in siebzehn autonome Regionen aufteilte. Das diente dazu, eine Abrechnung mit dem Faschismus zu verhindern und in Schichten der Bourgeoisie und des Kleinbürgertums eine soziale Basis für das neue Regime zu schaffen. Die führenden katalanischen Parteien, darunter die PCE, die PSOE und die CiU akzeptierten diese Autonomievorschläge.
Wie das Internationale Komitee der Vierten Internationale analysiert hat, hat die Entwicklung der globalisierten Produktion in der gegenwärtigen Periode „einen objektiven Anstoß zur Entstehung eines neuen Typs von nationalistischen Bewegungen gegeben, welche die Zerstückelung existierender Staaten anstreben. Das global mobile Kapital hat kleineren Regionen die Möglichkeit verschafft, sich direkt an den Weltmarkt anzubinden. Hongkong, Singapur und Taiwan sind zu einem neuen Entwicklungsmodell geworden. Eine kleine Küstenenklave, die über die entsprechenden Transportverbindungen, die Infrastruktur und ein Angebot an billigen Arbeitskräften verfügt, kann sich als attraktiver für das multinationale Kapital erweisen als ein großes Land mit einem weniger attraktiven Hinterland.“ (siehe Globalisierung und internationale Arbeiterklasse)
Während der Jahrzehnte von 1980 bis 2000 war der Chef der in Katalonien regierenden Convergència i Unió (CiU – Katalanische Konvergenz- und Einheitspartei) Jordi Pujol 1960 zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil er das Singen der verbotenen Hymne Cant de la Senyera (Lied der Fahne) organisiert hatte. Nach seiner vorzeitigen Entlassung machte sich Pujol daran, „das Land aufzubauen“, wobei er das Ziel verfolgte, ein föderales Spanien zu schaffen, das Katalonien „als ein Land“ anerkennen würde.
Als Präsident der Generalitat von 1980 bis 2003 schloss er Abkommen mit jeder Partei, die gerade an der Regierung war, ob mit den Sozialdemokraten von der PSOE oder der konservativen PP, um von Madrid wirtschaftliche Zugeständnisse zu erhalten. Seine Rolle während dieser Jahre wurde so geschätzt, dass er von der patriotischen und monarchistischen Zeitung ABC zum „Spanier des Jahres“ erklärt wurde.
In den 1990er Jahren wurde mit der Europäischen Union der größte Binnenmarkt der Welt geschaffen, um mit den Vereinigten Staaten konkurrieren zu können. Eine gemeinsame Währung sollte geschaffen und die Grundlage für die Expansion nach Osteuropa gelegt werden. Mit dem Aufstieg der Billiglohn-Reservoire von China und Indien setzte die herrschende Elite Europas in zunehmendem Maße auf die Senkung des Lebensstandards der Arbeiterklasse und die Kürzung der Sozialausgaben, um die europäischen Konzerne in die Lage zu versetzen, auf dem Weltmarkt zu konkurrieren. Pujol war zusammen mit Premierminister José Maria Aznar von der PP einer der wichtigsten spanischen Politiker, die den führenden europäischen Politikern versicherten, dass Spanien die Maastricht-Kriterien der Finanzdisziplin und der Liberalisierung der Wirtschaft einhalten würde.
Bei den Wahlen von 1999 verlor die CiU ihre absolute Mehrheit in der Generalitat, aber Pujol wurde mit den Stimmen der PP als Präsident wiedergewählt. Bestandteil dieses Abkommens war, dass die CiU ihre Forderung nach mehr Autonomie und einem neuen Finanzabkommen fallen ließ. Hauptnutznießer der gegen die Regierung gerichteten Stimmungen war die Schwesterpartei der PSOE, die Katalanische Sozialistische Partei (Parti Socialist de Catalunya—PSC), die begrenzte Reformen versprochen hatte.
Der Verlust der absoluten Mehrheit für die CiU wurde in der Öffentlichkeit als Bedrohung der Stabilität Spaniens angesehen. Ein Leitartikel in der rechtsgerichteten Zeitung El Mundo warnte: “Der alte eher moderate Nationalismus schwindet heute dahin. Bis vor Kurzem haben die beiden wichtigsten Strömungen des Nationalismus Kataloniens und der Basken, die CIU und die PNV ungeachtet ihres gelegentlichen – nie sehr ernstgemeinten – Getöses eine ehrenwerte Rolle gespielt, um die zentrifugalen Kräfte, die in ihren Regionen existieren, zurückzuhalten und in demokratische Bahnen zu lenken. Es ist nicht zu bestreiten, dass sich alle ungeachtet steigender oder sinkender Sympathiewerte bemühten, auf der Grundlage der Koexistenz vernünftig vorwärtszukommen. Aber in letzter Zeit werden sehr beunruhigende Töne angeschlagen.“
Pujol erklärte kürzlich in einem Interview in der Financial Times: „Bis zum Jahr 2000 versuchten wir eine Politik der nationalen und der sprachlichen Identität zu verfolgen, aber wir taten dies innerhalb des Rahmens von Spanien … Wir haben beim Übergang (zur Demokratie) in Spanien einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Stabilität geleistet.“
In dieser Zeit wuchs die spanische Wirtschaft um drei bis vier Prozent im Jahr, was zweimal so hoch war wie der europäische Durchschnitt. Dadurch wurde das Land zu achtstärksten Wirtschaftsnation der Welt. Das war auch die Zeit, in der die Esquerra Republicana de Catalunya (ERC) begann, den Separatismus zu propagieren. Sie argumentierte damit, dass Katalonien durch seine Steuern die armen agrarischen Regionen Südspaniens finanziere. Bei den Wahlen von 2003 nahm der Anteil der Wählerstimmen der ERC auf 16.5 Prozent zu, womit sich die Zahl ihrer Sitze auf 23 fast verdoppelte. Sie ging dann eine Koalition mit der PSC und der Initiative für die Grünen Kataloniens (ICV, Zusammenschluss kleinbürgerlicher „Linker“ und Stalinisten) ein, womit eine 23-jährige Regierungszeit der CiU endete.
2005 wurde ein neues Statut der katalanischen Regierung verfasst, dem zufolge Katalonien mehr Befugnisse erhielt und zu einer Nation erklärt wurde, wenn auch innerhalb Spaniens. Das wurde von der nationalen PSOE Regierung unter Premierminister José Luis Zapatero abgeschwächt, der versuchte, gleichzeitig die gemeinsamen Interessen der spanischen Bourgeoisie zu wahren und unvermeidbare Zugeständnisse zu machen.
Die PP versuchte, die Regierung von Zapatero zu stürzen, und mobilisierte Kräfte wie die Kirche, die Vereinigung der Opfer des Terrorismus und Elemente innerhalb des Militärs gegen Bestrebungen, Frieden mit der baskischen Partei Heimat und Freiheit (Euskadi ta Askatasuna – ETA) und dem neuen katalonischen Statut zu schließen. Boykottaktionen gegen katalanische Produkte wurden organisiert. Das Statut und die Verordnung, dass die Unterrichtung der katalanischen Sprache in öffentlichen Schulen Vorrang haben müsse, wurden vor das Verfassungsgericht gebracht. Die rechten Medien brachten Berichte, dass spanisch sprechende Menschen in Katalonien verfolgt würden.
2010 erklärte das Verfassungsgericht, dass die Hälfte des Statuts nicht der Verfassung entspreche und urteilte, die Sprachen-Verordnung für die Schulen sei illegal. Dies gab dem katalanischen Nationalismus neue Nahrung.
Neue Parteien, wie die Candidatura d’Unitat Popular (CUP), die Solidaritat Catalana per la Independència, die vom früheren Präsidenten des FC Barcelona Joan Laporta gegründet wurde, die Reagrupament Independentista und die Jugendorganisation Arran entstanden und erklärten, dass es Katalonien ohne Spanien besser gehen würde. Sogar Pujol beklagte, „dass Katalonien sich vom spanischen Staat nichts mehr erhoffen“ könne.
Die ex-linken Parteien, darunter En Lucha, Revolta Global und El Militante berufen sich auf die große Zahl von Demonstranten vom 11. September, um ihren eigenen Forderungen nach Separatismus Nachdruck zu verleihen. Sie schreiben die Unabhängigkeitsforderung der Arbeiterklasse zu und bezeichnen sie als „gerecht“ und als „demokratische Stimmung“. Sie wenden sich gegen alle Bemühungen, den politischen Einfluss der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Strömungen auf die Arbeiterklasse zurückzudrängen und behaupten stattdessen, dass der nationale Separatismus eine neue Grundlage für den „Sozialismus“ schaffen könne. Auf diese Weise fesseln sie die katalanische Arbeiterklasse an die Bourgeoisie und schreiben jede Möglichkeit eines gemeinsamen Kampfs der Arbeiterklasse in Spanien und international für den revolutionären Sturz der Bourgeoisie ab.
Die britische Socialist Workers Party erklärt in dem Artikel “Es ist Zeit für die Forderung nach einem Referendum über die Selbstbestimmung”: “Wir Anti-Kapitalisten begreifen den spanischen Staat als Werkzeug der Klassenherrschaft und wir haben kein Interesse an seiner Einheit. Wir verteidigen die Unabhängigkeit Kataloniens unter dem Blickwinkel, den rückschrittlichen spanischen Staat zu schwächen, der auf der Verweigerung sozialer und nationaler Rechte beruht.“
En Lucha will den Nationalismus in Katalonien stärken, um die nationalistische Bewegung in den angrenzenden katalanisch sprechenden Gebieten in Spanien und Frankreich zu schüren. Die Bewegung schürt den Nationalismus sogar in Gebieten, in denen er sehr schwach ist oder gar nicht existiert. In Andalusien ruft sie nach dem „Recht auf Selbstbestimmung des Volkes gegen die Unterentwicklung Andalusiens, für eine Agrarreform und die Wiederbelebung und Verstärkung der vielen positiven Aspekte der andalusischen Kultur.“
Anlässlich der katalanischen Wahlen von 2010 machte En Lucha zusammen mit Izquierda Anticapitalista (IA), der spanischen Sektion des pablistischen Vereinigten Sekretariats (VS), in der Koalition von unten (Des de Bais) eine Kampagne für eine katalanische Republik. Das VS geht zurück auf die Spaltung der Vierten Internationale von 1953 und wurde geführt von Michel Pablo und Ernest Mandel.
Die katalanische Sektion von IA, Revolta Global –Esquerra Anticapitalista; (Globale Revolte – antikapitalistische Linke) fordert in ihrer Erklärung „Nach dem 11.S.[eptember]: die Katalanische Republik ist die Zukunft. Keine Kürzungen!“ ein sofortiges Referendum.
Die Demonstration vom 11. September wird als Beginn des Prozesses bezeichnet, der “zur Charta einer Katalanischen Republik mit eigener Souveränität führt, die selbst entscheidet, welche Beziehungen sie mit den übrigen Völkern Europas und der Welt haben will“.
IA wie auch En Lucha verbrämen ihre Begeisterung für die Schaffung unzähliger Ministaaten und die Aufsplitterung der Arbeiterklasse mit Ratschlägen an die katalanische Bourgeoisie, mehr „sozialen Inhalt“ in ihre Forderung nach Unabhängigkeit zu legen. Wenn dies nicht geschehe, „besteht ein Risiko, dass die Demagogie der PP und von Ciutadans de Catalunya [eine rechte katalanische Partei] in weiteren Teilen der katalanischen Gesellschaft Einfluss gewinnt. Dann könnte sich die Arbeiterklasse weniger mit der nationalen Forderung identifizieren, was zur Polarisierung im nationalen Konflikt in den Arbeitervierteln führen könnte.“
Nach Meinung der IA soll also das Mittel gegen Nationalismus sein, dass die Arbeiter sich stärker dem Nationalismus zuwenden! Sie ruft dazu auf, am 25. November für die bürgerliche CUP zu stimmen und behauptet, dass diese „ein Programm des Durchbruchs und der gesellschaftlichen Veränderung“ präsentiere und „einige Kandidaten sich stärker sozialen Kämpfen gewidmet“ hätten.
El Militante, die frühere spanische Sektion der Internationalen Marxistischen Tendenz [in Deutschland Der Funke], nutzt die Demonstration vom 11. September, um die Gewerkschaftsbürokratie zu stärken. Sie anerkennt, dass die „Gewerkschaften und die linken Parteien nicht in der Lange waren, einen Weg im Kampf gegen die Angriffe und Kürzungen zu weisen. Mangels Alternativen wurde das teilweise mit dem Eintreten für Unabhängigkeit bemäntelt. Auch hätten „die Führer der CCOO und der UGT [Gewerkschaften] …entscheidende Punkte wie den Fiskalpakt und die Demonstration“ verteidigt. Aber dann behaupten sie, dass „die Gewerkschaften jetzt wegen der Massenunterstützung für die Unabhängigkeit gezwungen sein werden, zum Kampf aufzurufen“. „Die katalanische Arbeiterklasse wird mächtig und voll Wut antworten und viel weiter gehen als nur die Kürzungen abzulehnen: Sie wird die gesamte kapitalistische Ordnung in Frage stellen“.
Das Hohe Lied der Ex-Linken auf den Separatismus im Namen der Selbstbestimmung ignoriert die Erfahrungen der spanischen und der internationalen Arbeiterklasse mit bürgerlich nationalistischen Bewegungen.
Das größte tragische Ereignis war Jugoslawien, wo die ex-stalinistischen Bürokraten und kommunalistischen Bewegungen einen Bruderkrieg anzettelten, der darauf abzielte, den Balkan und Osteuropa fest unter die Herrschaft der imperialistischen Mächte zu bringen, die sie im Kampf unterstützten und Bomben auf Belgrad regnen ließen. Heute lebt die Arbeiterklasse in zunehmender sozialer Verelendung in ethnisch gespaltenen Staaten, die vom Imperialismus dominiert werden. Dies dient im Gegenzug als Hebel, um den Lebensstandard der Arbeiter im restlichen Europa zu senken.