Am Donnerstag kündigte der finnische Nokia-Konzern die Schließung des Handy-Werks in der Nähe der rumänischen Stadt Cluj zum Jahresende an. Die Produktion war erst vor drei Jahren von Bochum dorthin verlagert worden.
2.200 Arbeiter verlieren mit der Stilllegung des rumänischen Werks ihren Arbeitsplatz, die Leiharbeiter sofort und die festangestellten Arbeiter bis Ende des Jahres. Die Entscheidung des international agierenden Nokia-Konzerns wird die Arbeitslosigkeit und weit verbreitete Armut in der Region weiter in die Höhe treiben.
Die Arbeiter waren am 29. September von der Werksleitung telefonisch zu einer Versammlung einberufen und dort über das Aus für ihre Arbeitsplätze informiert worden. Der von der Firmenleitung beauftragte Sicherheitsdienst securitas versuchte sie vor den Medien abzuschirmen, um zu verhindern, dass sie ihre Wut zum Ausdruck brachten.
Eine Nokia-Arbeiterin berichtete dem Sender Realitatea TV nach der Versammlung: „Die Leute waren schockiert, einige haben geweint.“
Der Zeitarbeiter Albert Badiu sagte Reportern des heutejournals, das festangestellte Personal werde noch bis Ende des Jahres arbeiten und bis März 2012 bezahlt. „Für die vielen Zeitarbeiter wie mich wird es nichts geben!“
Weiter berichtete Badiu: „Der Witz ist, heute war kein einziger Gewerkschaftsvertreter da. Das war alles abgesprochen. Alle haben extra Urlaub genommen. Jetzt, wo Hilfe notwendig war, ist uns auch noch die Gewerkschaft in den Rücken gefallen.“
Das Nokia-Werk in Jucu bei Cluj war erst Anfang 2008 errichtet worden. In den Standort sollten rund 60 Millionen Euro investiert werden, davon 20 Millionen Euro Subventionen des rumänischen Staats, der sich von der Ansiedlung des Nokia-Werks Investitionen von weiteren Zulieferern und anderen Konzernen erhoffte.
Das Werk bei Cluj übernahm die Handy-Produktion aus Bochum (Nordrhein-Westfalen), wo nach heftigen Protesten der Belegschaft 2.300 Arbeitsplätze vernichtet worden waren. Die Entscheidung war in Bochum auch deshalb auf große Erbitterung gestoßen, weil Nokia kurz vorher noch Umsatzzuwächse und einen Milliardengewinn verkündet hatte.
Von der Nokia-Konzernleitung wurde die Produktionsverlagerung damals mit dem starken Konkurrenzkampf auf dem weltweiten Markt für Mobiltelefone und den wesentlich niedrigeren Lohnkosten in Rumänien gerechtfertigt. Doch aus den großen Plänen von Nokia für die Fabrik in Rumänien ist kaum etwas geworden.
Der Konzern hatte ursprünglich bis zu 4.000 Arbeitsplätze versprochen, die in dem sogenannten Nokia Village entstehen sollten. 2009 waren aber nur 1.400 Arbeiter und Arbeiterinnen fest angestellt, bei einem durchschnittlichen Monatslohn von 220 Euro, der Hälfte des landesüblichen Durchschnittslohns. Dazu kamen je nach Auftragslage einige Hundert Zeitarbeiter, die jederzeit wieder entlassen werden konnten. Zu den niedrigen Löhnen gesellten sich schwierige Arbeitsbedingungen und extra lange Schichtdienste, um Zubringerdienste für die Arbeiter einzusparen.
Die Schließung des Werks begründet das Nokia-Management nun mit wirtschaftlichen Problemen auf dem Markt für Mobiltelefone sowie der Verlagerung des Marktes für einfache Nokia-Handys, die in Cluj aus importierten Fertigteilen zusammengebaut werden, nach Asien. Deshalb solle auch die Fertigung dorthin verlagert werden. Die Entscheidung, das Werk in Rumänien zu schließen sei „schmerzhaft, aber notwendig“.
Nokia hat in den letzten Jahren stark an Marktanteilen verloren. Ein Grund ist, dass inzwischen in Westeuropa statt einfacher Handys hauptsächlich Smartphones verkauft werden, bei denen Nokia den technischen Anschluss verpasst hat. Auch bei einfachen Telefonen hat der einstige Weltmarktführer gegenüber asiatischen Konkurrenten wie Samsung, LG und neuen chinesischen Produzenten verloren. Nach Angaben des Marktforschungsinstituts Gartner betrug der Weltmarktanteil von Nokia bei einfachen Mobiltelefonen im zweiten Quartal dieses Jahres nur noch 23 Prozent gegenüber 31 Prozent im Vorjahr.
Die Vermutung des Leiharbeiters Albert Badiu, dass zwischen Gewerkschaft und Geschäftsleitung alles abgesprochen war und die Arbeiter jetzt allein ihrem Schicksal überlassen werden, ist naheliegend.
Alin Tise, der Vorsitzende des Regionalparlaments in Cluj, berichtete unter Berufung auf das Nokia-Management, dass die Entscheidung zur Werksschließung bereits im Februar gefallen sei. Es ist wahrscheinlich, dass die Gewerkschaftsvertreter – wie bei der Werksschließung in Bochum vor dreieinhalb Jahren – in diese Pläne eingeweiht waren und sie vor den Arbeitern verheimlichten.
In Bochum hatten die Betriebsräte und die Gewerkschaftsfunktionäre der IG Metall Empörung geheuchelt und Widerstand angekündigt, als im Januar 2008 die Stillegungspläne für das Handy-Werk bekannt wurden, von denen neben 2.300 Festangestellten auch über 1.000 Leiharbeiter sowie zahlreiche weitere Beschäftigte in Zulieferbetrieben betroffen waren. Doch dann hatten sie jeden ernsthaften Arbeitskampf sowie eine Standort- und länderübergreifende Solidarisierung verhindert.
Bereits als im Herbst 2006 BenQ, das die Handy- und Telefonsparte von Siemens übernommen hatte, Insolvenz anmeldete und über 3.000 Arbeiterinnen und Arbeiter ihren Arbeitsplatz verloren, hatte die IG Metall lediglich symbolische Proteste in Form von Mahnwachen und Fackelzügen organisiert.
Bei Nokia ergänzte sie diese Proteste dann durch Boykott-Aufrufe. Nokia-Handys wurden medienwirksam eingesammelt und zerstört und alle möglichen Schimpfworte gegen das Nokia-Management gerichtet. Auch nationalistische Untertöne gegen rumänische Arbeiter fehlten auf den Kundgebungen nicht.
Nach einer großen Demonstration mit 15.000 Teilnehmern gegen die Schließung des Nokia-Werks in Bochum setzten IG Metall und Betriebsrat dann alles daran, jede weitere Mobilisierung zu verhindern, und handelten hinter dem Rücken der Arbeiter die Bedingungen für die Schließung des Werks in Bochum aus: Beschäftigungsgesellschaften, Versprechen auf Ersatzarbeitsplätze, Abfindungen. Trotzdem sind viele ehemalige Nokia-Arbeiter heute noch arbeitslos.
Die World Socialist Web Site trat damals für den Aufbau unabhängiger Aktionskomitees und eine internationale sozialistische Strategie ein. Eine solche Strategie ist jetzt angesichts der Stillegungspläne von Nokia umso dringender. Nicht nur das Werk im rumänischen Cluj ist von Stillegungsplänen betroffen. Nach Angaben des Konzerns stehen auch die Produktionsstätten im finnischen Salo, im ungarischen Komarom und in Reynosa in Mexiko auf dem Prüfstand.
Außerdem verlieren weltweit 1.300 Beschäftigte der Navigationssparte „Location & Commerce“ ihren Job. Die Sparte soll auf die Standorte Berlin, Boston und Chicago konzentriert werden. Die Werke in Bonn und Malvern (USA) stehen vor der Schließung.
Die Entlassungen und Stilllegungen sind Bestandteil eines verschärften Sparprogramms des Nokia-Konzerns, der bereits im Frühjahr den Abbau von 4.000 Stellen verkündet hatte, um über eine Milliarde Euro an Kosten einzusparen.
Weitere Arbeitsplätze sind bei dem Gemeinschaftsunternehmen Nokia Siemens Networks (NSN) gefährdet. Es war im April 2007 durch die Fusion von Teilen des Telekommunikationsbereichs von Siemens und Nokia gebildet worden und erbringt mit über 70.000 Mitarbeitern in 150 Ländern Dienstleistungen für etwa 600 Netzbetreiber.
Nach Schätzungen des manager magazins hat NSN einen Jahres-Umsatz von 12,8 Milliarden Euro und erzielt dabei fast 200 Millionen Euro Verlust. Ursprünglich sollte das Unternehmen verkauft werden, was aber nicht gelang. Jetzt wollen Nokia und Siemens mit einer neuen Runde von Kostensenkungen, Entlassungen und Portfolio-Ausdünnung NSN wieder profitabel und verkaufsfähig machen.
Siehe auch:
Der Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze erfordert eine internationale Strategie
IG Metall und Nokia-Betriebsrat verkünden endgültiges Aus für Bochumer Werk
NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) diffamiert rumänische Arbeiter