Nokia kündigt Schließung des Werks in Bochum an

Der Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze erfordert eine internationale Strategie

Am 15. Januar hat der weltgrößte Handy-Hersteller Nokia bekannt gegeben, dass er sein Werk in Bochum bis Mitte des Jahres schließen wird. Insgesamt 4.300 Arbeitern und Arbeiterinnen droht der Verlust des Arbeitsplatzes. Das Bochumer Werk ist hinter Opel der größte industrielle Arbeitgeber der Ruhrgebietsstadt.

Neben den 2.300 Arbeitern von Nokia sind auch die 1.000 Leiharbeiter betroffen, die seit Jahren im Bochumer Nokia-Werk vorwiegend in der Produktion eingesetzt waren. Weitere 1.000 Menschen bei den Zulieferbetrieben und 200 Beschäftigte der Deutschen-Post-Tochter DHL, die für den Versand der Mobiltelefone zuständig ist, müssen den Verlust ihres Arbeitsplatzes befürchten.

"Der Standort ist im internationalen Vergleich nicht wettbewerbsfähig", begründete Veli Sundbäck, Aufsichtsratschef von Nokia-Deutschland die Entscheidung. Die Produktion soll in die anderen europäischen Werke in Finnland, Ungarn, vor allem aber in die neue Fabrik im rumänischen Cluj verlagert werden, die bereits die Produktion aufgenommen hat.

Sundbäck bestätigte zwar, dass "die Arbeitskosten weniger als fünf Prozent der Produktionskosten ausmachen." Allerdings seien sie immer noch zehnmal so hoch, wie in Rumänien.

Der eigentliche Hintergrund ist wohl eher, dass Nokia im internationalen Konkurrenzkampf - die Preise für Handys sind in den vergangenen Jahren radikal gesunken - auf so genannte "Industrial Villages" setzt. Das heißt, Nokia will die Produktionsstandorte dort aufbauen, wo sich ihre Zulieferer für die Vorprodukte befinden oder umgekehrt. Bei den Zulieferern soll der Anteil der Personalkosten weit höher als bei Nokia selbst sein. Diese haben offensichtlich erklärt, dass sie die von Nokia aufgezwungenen niedrigen Preise in Deutschland nicht halten können.

"Der Markt verändert sich rasant und Nokia ist darauf angewiesen, seine Standorte laufend zu hinterfragen", erklärte dies Sundbäck. Mehrere Zulieferer hätten wegen der hohen Kosten keine Möglichkeit gesehen, nach Bochum zu kommen. Im rumänischen Cluj ist die enge Zusammenarbeit zwischen Nokia und den Zulieferern in einem "Industrial Village" gegeben.

Nokia hatte die fallenden Profitraten im Handy-Geschäft bislang mit einer Ausweitung seiner Produktion kompensiert. Im dritten Quartal 2007 produzierte Nokia 112 Millionen Handys, so viele wie die Konkurrenten Motorola, Samsung und Sony Ericsson zusammen. Das entspricht einem Weltmarktanteil von rund 38 Prozent. Nokia hatte denn auch in diesem dritten Quartal des letzten Jahres einen Rekordumsatz und -gewinn vermeldet. Der Umsatz kletterte auf 12,9 Milliarden Euro, 28 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Der Reingewinn betrug 1,56 Milliarden Euro.

Die Börse reagierte auf den Nokia-Beschluss zur Schließung des Standorts in Bochum mit einem Kursanstieg von mehr als einem Prozent.

Mit Nokia verlässt der letzte Handy-Hersteller Deutschland als Produktionsstandort. Vor gut einem Jahr hatten durch die Insolvenz von BenQ-Mobile rund 3.000 Menschen der ehemaligen Siemens-Handysparte ihren Job verloren. Motorola hatte letztes Jahr seine UMTS-Produktion aus Flensburg nach China verlegt und das Logistik-Zentrum geschlossen. Hier verloren mehr als 3.000 Arbeiter ihren Arbeitsplatz.

Spaltung der Beschäftigten nach Nationalität

Politiker und Gewerkschaften versuchen nun, die Tatsache, dass Nokia umfangreiche Steuergelder einkassiert hat, auszunutzen, um von ihrer eigenen Politik abzulenken und die Beschäftigten des Nokia-Konzerns zu spalten.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) eilte sofort nach Bochum wie schon im Herbst 2006 nach Kamp-Lintfort. Er entrüstete sich über Nokia und versprach den versammelten Arbeitern Hilfe. Nokia müsse sich fragen, ob die Arbeiter in Rumänien genauso pünktlich und zuverlässig arbeiteten wie in Bochum, sagte Rüttgers. Nokia nannte er außerdem eine "Subventionsheuschrecke".

Nokia, seit Ende der 1980er Jahre in Bochum, hat allein zwischen 1995 und 1999 rund 60 Millionen Euro an Fördermitteln vom Land Nordrhein-Westfalen kassiert. Vom Bund flossen von 1998 bis 2007 weitere 28 Millionen Euro als "Forschungsgelder" in die Kassen des Welt-Konzerns.

Die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU) will prüfen, ob Nokia zur Rückzahlung von 17 Millionen Euro Fördergeld gezwungen werden kann. Diese hatte Nokia 1999 mit der Auflage erhalten, bis zum 15. September 2006 mindestens 2.856 Arbeitsplätze in Bochum sicherzustellen.

Das Ministerium schließe nicht aus, dass vor Ablauf der Frist die Zahl der Stellen darunter gelegen habe, erklärte Thoben. Das ist reine Augenwischerei. Dieses Manöver soll nur davon ablenken, dass seit Jahren den Konzernen Millionen an Steuergeldern in den Rachen gestopft wird.

Thoben und Rüttgers sind es auch, die nun Rumänien und Ungarn für die gleiche Politik anklagen, die alle deutschen Politiker seit Jahren verfolgen. Für den Aufbau des neuen Standortes in Rumänien seien wohl ebenfalls öffentliche Mittel in Millionenhöhe - in diesem Fall von der Europäischen Union - an Nokia geflossen, betonte Rüttgers. Und die ungarische Regierung fördere High-Tech-Ansiedlungen mit 50 Prozent.

Die Rolle von Gewerkschaft und Betriebsrat

Die Gewerkschaft IG Metall und der Betriebsrat schicken sich an, die gleiche Rolle zu übernehmen, wie schon vor gut einem Jahr bei der Abwicklung der Handy-Produktion von BenQ in Kamp-Lintfort. Der aufmerksame Beobachter scheint den gleichen Film vor Augen zu haben.

Zunächst heucheln alle Empörung. Die Erste Bevollmächtigte der IG Metall Ulrike Kleinebrahm, die auch Mitglied des Aufsichtsrats von Nokia Deutschland ist, spricht von einer "Katastrophe für Bochum". Es sei überhaupt nicht nachvollziehbar, dass ein Unternehmen, das hier so viel Geld verdiene, den Standort schließt.

"Eiskalt", nannte die Betriebsratsvorsitzende Gisela Achenbach den Plan Nokias.

Guntram Schneider, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds in NRW sagte: "Es ist nicht nur ökonomisch unsinnig, sondern auch sozial unverantwortlich, die Arbeitsplätze bei Nokia einer globalen Konzernstrategie zu opfern."

Der IG Metall-Bezirksleiter für NRW Oliver Burkhard warf dem Nokia-Management "Gewinnsucht zu Lasten der Menschen" vor. Er sprach von "bodenloser Sauerei" und einem "Schlag ins Gesicht der Menschen, die tagtäglich gute Arbeit am Standort Bochum machen".

Diese Jammer-Rhetorik der Betriebsräte und Gewerkschafter ergibt sich direkt aus ihrer feigen Unterordnung unter die bestehenden kapitalistischen Verhältnisse und ihrer opportunistischen Politik. Unter keinen Umständen wollen sie einen prinzipiellen Kampf gegen das Profitsystem führen und bieten sich der Unternehmensführung seit Jahr und Tag als Vermittler an, der immer neue Zugeständnisse in Form von Sozialabbau und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen durchsetzt.

So hatte Nokia bereits im Herbst 2001 Teile der Bochumer Produktion nach Ungarn und Fernost verlagert. Damals wurden 340 der 3000 Stellen mit dem Segen des Betriebsrats gestrichen. "Wir waren Vorreiter in Schichtmodellen und hätten das auch packen können", so ein Betriebsrat. Laut Aussagen von Nokia-Beschäftigten habe man manchmal 13 Tage am Stück arbeiten müssen.

Im Sommer vergangenen Jahres wurde bekannt, dass der Verleiher Albecon Arbeitskräfte an Nokia zu besonders unwürdigen Bedingungen ausleiht. Diese Leiharbeiter wurden zwar als Vollzeitkräfte beschäftigt, erhielten aber Verträge nur über 110 und neuerdings gar nur über 60 Stunden im Monat. Normal sind bei Vollzeit monatlich 152 Stunden. Statt der sowieso schon niedrigen 1.121,76 Euro Brutto bekamen Leiharbeiter im Extremfall nur 442,80 Euro Brutto. Nokia beschäftigte in Bochum zuletzt 1.000 solcher Leiharbeiter.

All das ist den Gewerkschaftern und Betriebsräten seit langem bekannt, getan dagegen wurde nichts.

Wenn die IG Metall nun erklärt, sie wolle um den Erhalt der Arbeitsplätze kämpfen, so dürfen die Nokia-Beschäftigten ihr auf keinen Fall Glauben schenken. Sie wird zwar Demonstrationen und Proteste organisieren, ein Solidaritätszelt errichten, Mahnwachen und vielleicht sogar einen Streik organisieren. Aber alles nur mit der Haltung des Bittstellers gegenüber der Konzernleitung, um letztlich einen Sozialplan oder eine Beschäftigungsgesellschaft für die Entlassenen zu erreichen. IG Metall und Betriebsrat sitzen nicht zufällig im Aufsichtsrat. Sie sind Handlanger der Unternehmensleitung und damit Bestandteil der Front, mit der die Nokia-Beschäftigten konfrontiert sind.

Ein ernsthafter und prinzipieller Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze erfordert einen scharfen politischen Bruch mit den opportunistischen Standpunkten der Sozialpartnerschaft, wie sie von der Gewerkschaft und den Betriebsräten vertreten werden.

In diesem Zusammenhang müssen einige wichtige Fragen gestellt werden.

Wenn Betriebsräte und Gewerkschaftsvertreter behaupten, sie hätten wie die Belegschaft "auch erst am Dienstagmorgen" von der Entscheidung erfahren, ist das schlicht gelogen. Derartige Unternehmensentscheidungen werden frühzeitig in Führungsgremien diskutiert.

Im Dezember 2004 veröffentlichte die IG Metall einen Bericht unter der Überschrift "Unternehmensmitbestimmung bei Nokia - Gut arrangiert". Er beginnt mit den Worten: "Bei seinen Tochterfirmen in Deutschland hat sich der finnische Telekommunikationskonzern Nokia mit der deutschen Unternehmensmitbestimmung gut arrangiert. Der Aufsichtsrat entscheidet hier sogar über die Arbeitsbedingungen."

Wenn 2004 im Rahmen der Mitbestimmung über die Arbeitsbedingungen verhandelt wurde, dann wurde 2007 auch frühzeitig über die Stillegungspläne gesprochen.

Jürgen Ulber vom IG Metall-Vorstand, Ulrike Kleinebrahm die Erste Bevollmächtigte der IG Metall Bochum und der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Werner Hammer sitzen gemeinsam mit anderen Gewerkschaftern als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat von Nokia.

Wann wurde der Aufsichtsrat von der Unternehmensentscheidung in Kenntnis gesetzt? Warum wurde die Belegschaft nicht zu diesem Zeitpunkt informiert? Wer sitzt im Wirtschaftsausschuss des Betriebsrats? Wann wurde diese Gremium informiert? Wurde Stillschweigen vereinbart und warum?

Medienberichten zufolge wurde die Entscheidung zur Schließung des Werks von der Nokia-Zentrale in Finnland schon vor Weihnachten getroffen. Die Nokia-Belegschaft in Bochum hat speziell in den Wochen vor Weihnachten noch Sonderschichten geleistet. Offensichtlich haben Geschäftsführung, IG Metall und Betriebsrat stillgehalten, um die Produktion für das Weihnachtsgeschäft nicht zu gefährden.

Dass ein neues Werk in Rumänien gebaut wird, war seit geraumer Zeit bekannt. Seit Monaten sind deutsche Nokia-Beschäftigte regelmäßig nach Rumänien geflogen, um dort das Werk mit aufzubauen. Auf Fragen der Beschäftigten wurde auch von Betriebsräten behauptet, die neue Fabrik in Rumänien werde errichtet, um steigende Produktionszahlen zu ermöglichen.

Dabei gab es schon im März vergangenen Jahres Meldungen in Rumäniens Medien, in denen Nokia-Vizechef Raimo Puntala, der Bezirksratspräsident von Cluj, Marius Nicoara, und Rumäniens Premierminister Calin Popescu-Tariceanu gemeinsam den Bau der Nokia-Fabrik und "15.000 Arbeitsplätze" im "Nokia Village" ankündigten.

Als die Bochumer Beschäftigten am Dienstag aus den Radio-Nachrichten von der Werksschließung hörten, schlug eine Welle der Empörung und Wut hoch. Doch als sie am Mittwoch spontan in Streik traten und eine Kundgebung vor dem Werk organisierten, zu der auch viele Arbeiter und Arbeiterinnen aus anderen Bochumer Werken kamen, warnten der Betriebsrat und die IG Metall vor "unüberlegten Aktionen" und sorgten dafür, dass am nächsten Tag die Arbeit wieder aufgenommen wurde. Am Tag danach wurden Tausend Leiharbeiter von der Nokia-Geschäftsführung mithilfe von Sicherheitspersonal am Eintritt ins Werk gehindert. Reaktion der Gewerkschaft und Betriebsräte: Null.

Schon jetzt zeichnet sich der gleiche Ausverkauf wie bei BenQ in Kamp-Lintfort ab.

Am gestrigen Freitag sprachen Wirtschaftsministerin Thoben, Vertreter der IG Metall sowie der Stadt Bochum bereits über Sozialpläne für die Beschäftigten, die Gründung einer Transfergesellschaft und finanzielle Hilfen des Landes. Genau so wurde der Kampf bei BenQ abgewürgt.

Mehr als die Hälfte der in die Qualifizierungsgesellschaft übergetretenen 1.756 BenQ-Arbeiter aus Kamp-Lintfort habe nach einem Jahr noch keinen neuen Job gefunden, berichtete die Transfergesellschaft PEAG.

Wie schon bei BenQ arbeiten zahlreiche Männer und Frauen über viele Jahre und Jahrzehnte bei Nokia, teilweise sind es Eheleute, die jetzt gemeinsam ihre Arbeit verlieren. Zudem ist unter den Nokia-Beschäftigten auch manch ehemaliger BenQ-Arbeiter, der nun das gesamte Drama innerhalb von anderthalb Jahren zum zweiten Mal durchmachen muss.

Um die Arbeitsplätze zu verteidigen, müssen die Nokia-Arbeiter Lehren aus der Schließung des BenQ-Werks in Kamp-Linfort ziehen und den Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze selbst in die Hand nehmen. Bleibt der Widerstand unter Kontrolle der IGM-Funktionäre ist er bereits jetzt zum Scheitern verurteilt.

Es ist notwendig eigene, von der Gewerkschaft unabhängige, Aktionskomitees aufzubauen, die an die Tradition der Arbeiterräte anknüpfen und betriebs- und länderübergreifende Kampfmaßnahmen gegen die angekündigte Schließung organisieren. Die Nokia-Beschäftigten, einschließlich der Leiharbeiterkollegen, müssen Verbindung zu den Arbeitern an allen anderen Standorten aufbauen.

Neben Finnland, Rumänien und Ungarn lässt Nokia noch in Großbritannien, Südkorea, China, Indien, Mexiko und Brasilien produzieren. Die dortigen Belegschaften sind die Verbündeten der Bochumer Nokia-Arbeiter, nicht die Landesregierung, die SPD, die Gewerkschaften oder der Betriebsrat.

Gleichzeitig muss in den Aktionskomitees über eine internationale Strategie diskutiert werden, die die Bedürfnisse der Belegschaften an allen Standorten höher stellt als die Profitinteressen der Konzerne. Nur auf einer solchen Grundlage können die Arbeitsplätze verteidigt werden.

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