Am 28. Januar stimmte der Bundestag mit deutlicher Mehrheit einer Verlängerung des Afghanistan-Mandats um weitere zwölf Monate zu. Die deutsche Kriegsbeteiligung geht damit ins zehnte Jahr.
420 Abgeordnete stimmten für die Mandatsverlängerung, 43 enthielten sich, 116 votierten dagegen. Neben der Regierungskoalition aus Union und FDP stimmte auch die überwiegende Mehrheit der SPD-Fraktion für die Verlängerung. Ein Großteil der Grünen-Fraktion enthielt sich, während die Abgeordneten der Linkspartei geschlossen mit „Nein“ stimmten.
Die Abstimmung im Parlament steht in umgekehrtem Verhältnis zur Stimmung in der Bevölkerung. In jüngsten Umfragen sprachen sich über 70 Prozent der Befragten gegen den Krieg aus. Nach dem Massaker von Kunduz, als der deutsche Oberst Georg Klein am 4. September 2009 einen Bombenabwurf auf Tanklastwagen befahl, und damit auf einen Schlag 142 Afghanen, darunter viele Zivilisten und Kinder, getötet wurden, nahm die Antikriegsstimmung noch weiter zu.
Um die Bevölkerung zu beruhigen, betonen Politiker und Medien die Möglichkeit eines baldigen Truppenabzugs, der nun erstmals im neuen Mandat enthalten ist. Demnach könnten bereits Ende 2011 die ersten Bundeswehr-Soldaten aus Afghanistan abgezogen werden. Die letzten Kampftruppen sollten das Land dann bis Ende 2014 verlassen.
Besonders die SPD begründete ihre Zustimmung zur Mandatsverlängerung mit der so genannten „Abzugsperspektive“. Unter dem Jubel der SPD-Fraktion bezeichnete Außenminister Westerwelle (FDP) den geplanten Truppenabzug als „Zäsur“. Doch im Antrag zur Mandatsverlängerung wird nur davon gesprochen, dass Ende des Jahres mit dem Abzug deutscher Truppen begonnen werden kann, „soweit die Lage dies erlaubt, und ohne dadurch unsere Truppe oder die Nachhaltigkeit des Übergangsprozesses zu gefährden“.
Die Entscheidung darüber, wie die Sicherheitslage einzuschätzen ist, und ob ein Truppenabzug möglich ist, trifft das Militär, nicht das Parlament. Und selbst wenn der Abzug tatsächlich begonnen wird, ist das Ende der Truppenpräsenz noch keineswegs in Sicht. Die Forderung der SPD nach Abzug bis 2014 betrifft nur die Kampftruppen. Die Mehrzahl der Soldaten sind aber reguläre Truppenverbände. Was mit ihnen passieren soll, bleibt völlig offen. So hat auch US-Präsident Obama im vergangenen Jahr die letzten „Kampftruppen“ aus dem Irak abgezogen – und noch immer sind Zehntausende amerikanische Soldaten auf irakischem Boden stationiert.
In Wahrheit ist die „Abzugsperspektive“ direkt mit einer Intensivierung des Kriegs verbunden, um, – wie von Seiten der Militärs argumentiert wird – die Bedingungen für einen Abzug zu schaffen. So war es auch im vergangenen Jahr in Bezug auf die US-Truppen in Afghanistan. Erst verkündete Präsident Obama, die amerikanischen Soldaten würden in den nächsten Jahren sukzessive abgezogen, dann verstärkte er massiv die Truppen.
Der Krieg am Hindukusch eskalierte in den letzten Monaten mehr und mehr, die Zahl der toten Zivilisten, Soldaten und Aufständischen stieg rapide an. Auch im deutschen Einsatzgebiet im Norden nahmen die Kämpfe stark zu. Entsprechend dem amerikanischen Konzept für Aufstandsbekämpfung sollen Bundeswehrsoldaten gemeinsam mit afghanischen Polizei- und Militäreinheiten die Region „freikämpfen“, während Spezialkräfte der USA Jagd auf aufständische Führer machen.
Um diese Kriegsrealität zu vertuschen, bemühten sich die Sprecher der Regierungskoalition, wie auch von SPD und Grünen, den angeblich humanitären Charakter des Militäreinsatzes zu betonen. Mehrmals wurde die „militärische Absicherung des zivilen Aufbaus“ beschworen. Doch die Fakten sprechen eine völlig andere Sprache. Seit Kriegsbeginn haben sich die Lebensbedingungen der afghanischen Bevölkerung deutlich verschlechtert.
Ein UNO-Bericht über die Lage in Afghanistan beinhaltet das Folgende: Die Zahl der Menschen die in Armut leben, ist von 33 auf 42 Prozent gestiegen. Die Zahl der Unterernährten stieg von 30 auf 39 Prozent. In Slums leben nicht mehr 2,4 Millionen, sondern mit 4,5 Millionen fast doppelt so viele Menschen. Zugang zu sanitären Einrichtungen haben nicht mehr 12 Prozent, sonder nur noch 5,2 Prozent der Bevölkerung. Gleichzeitig nahm die Opiumgewinnung und damit die Macht der Warlords deutlich zu. Die Anbaufläche der Mohnfelder ist von 131.000 auf 193.000 Hektar gestiegen.
Kein Redner im Parlament, auch nicht Gregor Gysi, der für die Linkspartei sprach und einige der UNO-Zahlen vortrug, machte auf den Widerspruch zwischen der Kriegsrealität und dem ursprünglichen Einsatzmandat aufmerksam. Das ursprüngliche Mandat, das seit 2001 ohne große Beanstandungen jährlich verlängert wurde, sieht als Auftragsziel die „Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit“ vor – im Rahmen einer „Friedens- und Aufbaumission“.
Mittlerweile haben der frühere Bundespräsident Hort Köhler, Verteidigungsminister von Guttenberg und Bundeskanzlerin Angela Merkel davon gesprochen, dass es sich bei dem Militäreinsatz um Krieg handelt. Doch über einen Kriegseinsatz hat der Bundestag nie abgestimmt. Ein solcher Einsatz ist im jetzt verlängerten Mandat überhaupt nicht vorgesehen. Das heißt: Was die Bundeswehr in Afghanistan tatsächlich praktiziert, hat keine Institution je demokratisch legitimiert.
Als Horst Köhler im vergangenen Mai davon sprach, dass es in Afghanistan in Wirklichkeit um die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands geht, die auch mit militärischen Mitteln durchgesetzt werden müssten, begann in Politik und Medien ein regelrechtes Trommelfeuer gegen ihn. Zu groß war die Angst, dass die Wahrheit hinter der Kriegspropaganda sichtbar wird.
Doch nun spricht Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ohne Umschweife davon: „Die Sicherung der Handelswege und der Rohstoffquellen ist ohne Zweifel unter militärischen und globalstrategischen Gesichtspunkten zu betrachten. […] Ohne Zweifel ist auch die Energieversorgung eine wesentliche Komponente bei den Veränderungen im internationalen Kräftegleichgewicht.“
Afghanistan steht dabei im Zentrum der westlichen Interessen. Das Land am Hindukusch liegt an einer strategisch wichtigen Stelle, um den Zugang zu den zentralasiatischen Öl- und Gasvorkommen zu gewährleisten. Im Land selbst „entdeckten“ amerikanische Forscher 2008 zudem größere Vorkommen an so genannten „seltenen Erden“, die für die Herstellung von High-Tech-Produkten unerlässlich sind.
Demgemäß ist auch Deutschland bestrebt, sich einen Platz unter den Profiteuren dieser Rohstoffe zu sichern. Der Abzug der niederländischen Truppen im vergangenen Jahr diente als willkommener Anlass, die Zahl der deutschen Soldaten und Polizisten für 2010 zu erhöhen. In diesem Jahr wird das Kontingent an Polizeiausbildern nochmals aufgestockt.
SPD und Grüne unterstützen diese Politik. Sie versuchen lediglich, den Krieg, der unter einer rot-grünen Regierung begonnen wurde, in der Öffentlichkeit mit angeblichen Verbesserungen in Afghanistan zu rechtfertigen. Besonders die SPD versucht das Mandat immer noch als „Friedens- und Aufbaumission“ zu verkaufen.
Was die Grünen betrifft, so wies ihr verteidigungspolitischer Sprecher Omid Nouripour im Bundestag auf die verbesserte Schulbildung hin, ließ dabei jedoch unerwähnt, dass jedes dritte afghanische Mädchen keine Möglichkeit hat, überhaupt eine Schule zu besuchen. Mit ihrer Stimmenthaltung haben die Grünen deutlich gemacht, dass sie trotz wachsendem Druck aus den eigenen Reihen nicht bereit sind, gegen den Krieg Stellung zu beziehen. Sie hatten 1998 mit der Zustimmung zum Kosovokrieg den Eintritt in die Bundesregierung erkauft und drei Jahre später als Regierungspartei die Entsendung der Bundeswehr nach Afghanistan organisiert.
Die Linke spielt eine üble Doppelrolle: Pazifismus in Worten und Kriegskollaboration in Taten. Sie sieht ihre Aufgabe vor allem darin, als verlässliche Staatspartei den wachsenden Widerstand in der Bevölkerung aufzufangen. Weil sie weiß, dass es auf ihre Stimmen nicht ankommt, spricht sie sich lautstark gegen den Krieg aus. Was davon zu halten ist, zeigt eine kürzlich veröffentlichte WikiLeaks-Depesche. Demnach versicherte Gysi dem amerikanischen Botschafter Philip Murphy in Berlin, die Linke habe die Forderung nach der Auflösung der Nato nur erhoben, um den linken Parteiflügel ruhig zu stellen.
Die Linke ist mit vier Parteifunktionären im Verteidigungsausschuss vertreten und arbeitet loyal in diesem Gremium mit, in dem alle parlamentarischen Beschlüsse über Ausrichtung, Finanzen und Truppenstärke des Mandat – von der Öffentlichkeit streng abgeschirmt – vorbereitet werden. Ihre Informationen aus diesem Ausschuss nutzt die Linke nicht für eine Mobilisierung der Bevölkerung gegen den Krieg, sondern beruft sich auf ihre Schweigepflicht.
Die wachsende Intensität des Krieges schlägt sich derweil auch bei den deutschen Soldaten nieder. Die Zahl der Soldaten mit posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), also tiefgreifenden psychischen Schäden, hat sich seit 2006 verzwölffacht. Allein im letzten Jahr wurden 655 Fälle gemeldet – und die Dunkelziffer dürfte noch um einiges höher liegen.
In diesem Zusammenhang ist auch die Rolle der jüngst aufgedeckten Skandale um die Bundeswehr beachtlich. So wurden mehrere dutzend Briefe von Soldaten aus Afghanistan an ihre Angehörigen in Deutschland widerrechtlich geöffnet. Einige Umschläge kamen ohne Inhalt zu Hause an.
Zwar bestreitet das Verteidigungsministerium jegliche Zensurvorwürfe. Zu Denken gibt jedoch die Tatsache, dass es – soweit bisher bekannt – ausschließlich Feldpost von Fallschirmjägern aus der Kaserne Seedorf in Niedersachsen war, die geöffnet wurde. Deren Einheit ist in Afghanistan auf einem abgelegenen Außenposten stationiert und ständig an Gefechten beteiligt. Die von ihr besetzte Region Char Darrah gilt als schärfster Brennpunkt im deutschen Einsatzgebiet. Allein im letzten Jahr fielen vier ihrer Soldaten in Afghanistan.
Auch der Tod des 21-jährigen Hauptgefreiten, der im Dezember beim Waffenreinigen entgegen ersten Angaben durch die Kugel eines Kameraden getötet wurde, sowie die Meutereivorwürfe auf dem Segelschulschiff „Gorch Fock“ erregten Aufsehen.
Es wird immer deutlicher, dass ein Grund für die fortgesetzte Beteiligung am Krieg in Afghanistan darin besteht, die Bundeswehr von einer territorialen Verteidigungsarmee in eine aggressive Eingreiftruppe zu verwandeln, die überall auf der Welt, aber auch gegen Proteste und Aufstände im eigenen Land, eingesetzt werden kann.