Europa

Was steckt hinter der Aufschwungseuphorie?

In Paris und Berlin bemühen sich Politiker und einige Medien, Aufschwungseuphorie zu verbreiten. "Der härteste Absturz seit dem Zweiten Weltkrieg ist zu Ende, der Alptraum vorüber", schreibt Torsten Riecke im Handelsblatt. Mit einem "kräftigen Zuwachs von 0,3 Prozent" sei die Wirtschaft im zweiten Quartal "aus der Schockstarre erwacht" - und das "schneller als gedacht". 2010 könnte Deutschlands Konjunktur, nach Meinung von Riecke, "um gute zwei Prozent wachsen".

Im Wirtschaftsraum der 16 Euroländer sei "die Rezession vor ihrem Ende", schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung. "Dank der Schwergewichte Deutschland und Frankreich" sei die Wirtschaftsleistung im Euroraum im zweiten Quartal dieses Jahres "nur noch leicht gesunken". Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ging lediglich um 0,1 Prozent gegenüber dem Vorzeitraum zurück, nach einem Minus von 2,5 Prozent im ersten Vierteljahr, wie Eurostat Ende vergangener Woche in Brüssel bekannt gab.

Die französische Finanzministerin Christine Lagarde (UMP) hatte bereits vor der offiziellen Veröffentlichung der BIP-Daten in einem Radio-Interview gesagt, dass die französische Wirtschaft im Frühjahr "überraschend stark gewachsen" sei.

Gesteuert wird die Aufschwungseuphorie vor allem von Sprechern der Finanzelite und Börsianern, die die Stimmung der Anleger verbessern wollen. "Analysten setzen auf Erholung", titelt die Financial Times Deutschland und schreibt: "Krise war einmal: Börsenexperten bewerten die Aussichten für die deutsche Wirtschaft so optimistisch wie seit 2006 nicht mehr. Die Erholung an den Finanzmärkten und die guten Konjunkturdaten wirken als Stimmungsaufheller." Das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) teilt mit, dass der deutsche Aktienindex DAX trotz starker Schwankungen deutlich ansteige.

Der zur Schau gestellte Wirtschafts-Optimismus der Finanzelite hat einen sehr einfachen Grund. Die Regierungen in den europäischen Hauptstädten und allen andern Ländern haben die Banken mit frischem Geld aus den Staatskassen der jeweiligen Länder versorgt. Hunderte von Milliarden Euro wurden den großen Finanzinstituten auf Kosten der Steuerzahler zur Verfügung gestellt, ohne weitergehende Auflagen, und ohne auch nur einen einzigen Verantwortlichen für das Finanzdesaster der vergangenen Monate zur Rechenschaft zu ziehen.

Nicht nur haben die Banken den Regierungen die Rettungspakete diktiert, sie verdienen auch noch sehr gut daran. Denn die Milliarden, die die Regierung bereitstellt, werden wiederum bei den Großbanken aufgenommen, von diesen verwaltet und mit hohen Zinsen und Gebühren belegt.

Nicht eine einzige Partei in Europa, den USA oder sonst einem Land hat es gewagt, der selbstherrlichen Macht der Banken, die den Staatshaushalt als Selbstbedienungsladen betrachten, entgegenzutreten. Niemand war oder ist bereit, einer Finanzoligarchie die Stirn zu bieten, die die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrunds getrieben hat und nun die Krise nutzt, um die Bereicherungsorgie auf Kosten der Bevölkerung noch zu steigern.

Alle Parteien und Gewerkschaften liegen vor der Finanzoligarchie flach auf dem Bauch und bieten sich als Erfüllungsgehilfe an. Das ist es, was die Wirtschaftsvertreter in Politik und Medien ermutigt, und was sie frohlocken lässt. Sie wissen sehr wohl, dass die Wirtschaftskrise nicht vorbei ist und die großen Probleme einer weltweiten Rezession gerade erst begonnen haben. Aber der Einfluss der Banken und Wirtschaftsverbände auf die Regierungen hat so stark zugenommen, dass sie überzeugt sind, die Lasten der Krise in vollem Umfang auf die Bevölkerung abwälzen zu können.

Sie betrachten die Krise als Chance, um Sozialstandards abzubauen und zu zerschlagen, die in den großen Klassenkämpfen des vergangenen Jahrhunderts mit Opfern und Entbehrungen errungen wurden. Daher ihr Optimismus trotz der bekannten "Negativ-Indikatoren" (Süddeutsche Zeitung) der Krise.

Im Vorjahresvergleich liegt die deutsche Wirtschaftsleistung noch immer um sieben Prozent niedriger. Das Auslaufen der Abwrackprämie wird in wenigen Monaten den Niedergang der Produktion in der Auto- und Zulieferindustrie stark beschleunigen. Die Auswirkungen auf die Stahl-, Metall- und Chemieindustrie sind bekannt.

Bisher wurde die Massenarbeitslosigkeit durch eine mehrmalige Verlängerung der Kurzarbeiterregelung verschleiert. Wenn die gegenwärtig 1,4 Millionen Kurzarbeiter sich in die Arbeitslosenschlangen einreihen, wird die offizielle Arbeitslosigkeit auf fünf Millionen ansteigen. Bereits jetzt bieten die Gewerkschaften und Betriebsräte bei jeder Gelegenheit Lohnsenkung und Abbau der tariflichen Standards an. Doch die Niedriglöhne senken auch die Steuereinnahmen und erhöhen den Druck auf die Sozialkassen.

Nicht nur Italien, Spanien und Großbritannien, sowie eine Reihe Länder in Osteuropa stehen am Rande des Staatsbankrotts. Auch in Deutschland und Frankreich nimmt die Staatsverschuldung dramatische Auswirkungen an. Am Anfang der Woche gab der Bund der Steuerzahler bekannt, dass seiner Berechnung nach die deutschen Staatsschulden im Laufe diesen Jahres um insgesamt 140 Milliarden Euro wachsen werden.

Nimmt man die Kreditmarktschulden von Bund, Ländern und Gemeinden inklusive der Extrahaushalte, wie zum Beispiel dem Finanzmarktstabilisierungsfonds, beträgt die gegenwärtige Schuldenlast bereits 1.600 Milliarden Euro. Allein die Zinsen dafür belaufen sich in diesem Jahr auf rund 71 Milliarden Euro.

Unter diesen Bedingungen bedeutet die von der Regierung beschlossene "Schuldenbremse", die durch die Zusammenarbeit aller Bundestagsparteien in der Verfassung verankert wurde, dass jede zukünftige Regierung drastische Einschränkungen der öffentlichen Ausgaben durchsetzen wird. Alle im gegenwärtigen Bundestagswahlkampf gemachten Versprechen werden dieser Schuldenbremse zum Opfer fallen, sobald die Wahlurnen am 27. September geschlossen sind.

Die Demagogie vom Ende der Wirtschaftskrise dient auch dazu, die Arbeiterklasse einzulullen und ruhig zu halten, während gleichzeitig soziale Angriffe vorbereitet werden, die alles in den Schatten stellen, was bisher an Sozialkürzungen stattgefunden hat.

Einen kleinen Einblick in das was kommt gewährte das so genannte "Guttenberg-Papier", das vor einigen Tagen bekannt wurde. Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hatte unter der Überschrift "Vorschläge für eine nachhaltige Industriepolitik" einige soziale Grausamkeiten aufgelistet, wie sie von den Wirtschaftsverbänden angesichts der Krise gefordert und in den Ministerien bereits vorbereitet werden. Im Wahlkampf spricht aber niemand darüber.

In dem 52-seitigen Papier, über das die Frankfurter Rundschau berichtete, wird die steuerliche "Entlastung von Unternehmen", "Senkung der Lohnnebenkosten", "Flexibilisierung des Arbeitsmarktes" und, in verklausulierter Form, Abbau des gesetzlichen Kündigungsschutzes, Einschränkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und andere Maßnahmen aufgelistet.

Wirtschaftsminister zu Guttenberg verkörpert die Arroganz und Selbstherrlichkeit der Finanzoligarchie und mit seinen 38 Jahren auch die politische Unerfahrenheit einer Generation von Politikern, die davon überzeugt ist, dass es ohne größere Problem möglich sei, die arbeitende Bevölkerung auf das soziale Niveau des 19. Jahrhunderts zurückzudrängen.

Doch es gibt auch mahnende Stimmen, die vor den sozialen Konsequenzen dieser Politik warnen. So schrieb Die Zeit in ihrer jüngsten Ausgabe einen Artikel unter der Überschrift "Die unterschätzte Gefahr". Darin heißt es:

"Endlich der Aufschwung! 'Investmentbanker stellen einen Aufwärtstrend fest', steht in der New York Times. 'Weiterer Fortschritt in der Geschäftswelt', berichtet das Wall Street Journal. 'Ökonomen sehen Zeichen einer Erholung', 'Kräftiger Aufstieg an den Börsen', melden andere. ... Die Schlagzeilen wirken vertraut in diesem August 2009 - doch sie stammen aus dem Jahr 1931. Sie wurden mitten in der Großen Depression der USA gedruckt, in der schwärzesten Wirtschaftsperiode des 20. Jahrhunderts also.

Mutmacher in den Wirtschaftsstatistiken, Rallyes an den Aktienmärkten und euphorische Kommentare der Sachverständigen gab es damals immer wieder. Sie fanden nur stets ein rasches Ende. Eine nachhaltige Erholung erlebten die Wirtschaft und die Börsen erst von 1933 an - auf Basis einer dramatisch geschrumpften Realwirtschaft."

Und - so fügen wir hinzu - unter Bedingungen einer faschistischen Diktatur, die die Arbeiterklasse zerschlug und den Zweiten Weltkrieg vorbereitete, der vor genau 70 Jahren begann und ganz Europa und einen Großteil der Welt in Schutt und Asche legte.

Auch heute bildet die Propaganda vom Ende der Krise die Begleitmusik für das Herannahen gewaltiger sozialer Konflikte.

Siehe auch:
Deutschland: Sechs Millionen Arbeitslose - drastischer Anstieg der Kurzarbeit
(5. August 2009)
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