In Deutschland sind fast sechs Millionen Menschen arbeitslos, rund 2,5 Millionen mehr, als die offizielle Statistik zählt.
Die Arbeitslosigkeit ist und bleibt eine der wichtigsten Kennzahlen, die das Ausmaß und die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die arbeitende Bevölkerung verdeutlicht. Dementsprechend werden die offiziellen Statistiken seit Jahren frisiert, um das Ausmaß von Arbeitslosigkeit und Armut zu verschleiern.
"Die deutsche Wirtschaft befindet sich in der schwersten Rezession seit Bestehen der Bundesrepublik", so die Bundesagentur für Arbeit (BA). Die Wirtschaftskrise zeige "deutliche Spuren auf dem Arbeitsmarkt". Dass sich die Arbeitslosigkeit im Juli dennoch "saisonbereinigt" verringert hat, "kann nicht als Trendumkehr bewertet werden".
Die Zahl der arbeitslos Gemeldeten ist von Juni auf Juli um 52.000 auf 3,46 Millionen Menschen gestiegen. Im Jahr zuvor waren 250.000 Arbeitslose weniger gezählt worden.
Die saisonbereinigten Zahlen weisen hingegen einen Rückgang der Arbeitslosigkeit im Juli um 6.000 aus. In den letzten Monaten waren selbst diese bereinigten Zahlen gestiegen, zuletzt im Juni um 27.000.
Da sich auch die Gesamtzahl aller Erwerbstätigen verringert hat, stieg die offizielle Arbeitslosenquote für die Bundesrepublik leicht auf 8,2 Prozent. In Ostdeutschland gelten rund dreizehn Prozent als arbeitslos. Wie schon seit Jahrzehnten sind Ausländer besonders von Arbeitslosigkeit betroffen. Ihre Arbeitslosenquote beträgt fast siebzehn Prozent.
"Saisonbereinigt" heißt, dass all jene Kündigungen heraus gerechnet werden, die in dieser Jahreszeit üblich sind. So werden z. B. die Kündigungen im Bau vor dem Winter heraus gerechnet, da man davon ausgeht, dass die Bauarbeiter im Frühjahr wieder eingestellt werden. Im Sommer kündigen viele Unternehmen ihre Beschäftigten, oder befristete Arbeitsverträge laufen aus. Nach den Betriebs-, bzw. Schulferien werden sie dann wieder eingestellt. Auf diese Weise sparen die Unternehmen, oder auch die Kommunen und Länder (etwa im Falle von Lehrern), indem sie ihre Beschäftigten zum Arbeitsamt schicken.
Die BA kann aber nicht umhin, zu berichten, dass der Rückgang im Juli vor allem mit einem Sondereffekt zusammenhänge, der die Folge einer "Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente" sei. Ansonsten wäre die Arbeitslosigkeit auch saisonbereinigt um 30.000 gestiegen.
Mit der "Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente" ist die Streichung einiger Maßnahmen gemeint. Zusätzlich sind bei dieser "Neuausrichtung" auch gleich wieder die Kriterien geändert worden, nach denen ein Arbeitsloser auch als solcher in der Statistik auftaucht.
So sind seit Jahresbeginn 370.600 Arbeitslose in eine von mehreren neuen "Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung" gesteckt worden und gelten somit nicht mehr als arbeitslos.
Außerdem werden nicht hinzugezählt:
- 176.000 Arbeitslose, die etwa nur eine kurze Fortbildung durchlaufen oder arbeitsunfähig geschrieben sind.
- 658.000 Arbeitsuchende, ABM-Kräfte, Umschüler und Ältere im Vorruhestand, sowie Menschen, die beispielsweise in einen Ein-Euro-Job gezwungen wurden (was rund die Hälfte dieser Gruppe betrifft).
- 232.000 Arbeitslose, die u. a. als Existenzgründer versuchen, ihre Arbeitslosigkeit zu überwinden, oder Ältere in Altersteilzeit.
Weitere Gruppen werden in der Statistik nicht berücksichtigt. So tauchen etwa Arbeitslose ab 58 Jahren, die mindestens ein Jahr lang Arbeitslosengeld II (Hartz IV) bezogen, aber kein Jobangebot erhalten haben, nicht mehr als Arbeitslose auf. Auch Arbeitslose, denen das Arbeitslosengeld verweigert wird, weil sie irgendwelchen Auflagen nicht gefolgt sind, werden nicht mitgezählt. Es gibt zahlreiche Berichte, dass die Behörden gezielt schikanöse Anforderungen stellen, die kaum zu erfüllen sind, um Kürzungen durchzusetzen.
Kurzarbeiter werden ebenfalls nicht hinzugerechnet. Deren Zahl verdeutlicht aber das wahre Ausmaß des Produktionseinbruchs und lässt Schlüsse auf das Anwachsen der Arbeitslosigkeit im Herbst zu. Unternehmen und Bundesregierung drängen darauf, Entlassungen bis nach der Bundestagswahl Ende September aufzuschieben.
Nach neusten Zahlen überwiesen die Arbeitsagenturen im März Kurzarbeitergeld an rund 1,3 Millionen Arbeiter. Diese Menschen erhielten damit nur noch 67 Prozent ihres Lohns. Gesicherte Zahlen von den darauf folgenden Monaten liegen noch nicht öffentlich vor, doch Monat für Monat gehen Hunderttausende neue Anträge über Kurzarbeiter ein. Bei einem durchschnittlichen Arbeitszeitausfall von über einem Drittel entsprächen die Zahlen für März laut BA 435.000 Vollzeit-Stellen.
Alles in allem sind fast sechs Millionen Menschen in Deutschland ohne Arbeit. "Im Juli erhielten 5.19982.000 erwerbsfähige Menschen Lohnersatzleistungen [Arbeitslosengeld I] oder Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts [Arbeitslosengeld II]", schreibt die BA in ihrem Monatsbericht für Juli 2009. Doch nur etwa die Hälfte von ihnen wird auch als arbeitslos gezählt. Im März bezogen 6,1 Millionen Menschen Leistungen der BA, 53 Prozent wurden in der Statistik als Arbeitslose gezählt.
Das ständige Frisieren der Arbeitsmarktstatistiken dient einzig und allein der Beruhigung der Bevölkerung. Noch versucht die Bundesregierung das wahre Ausmaß der Krise zu verschleiern, etwa indem sie die Zeit, in der man Kurzarbeitergeld erhalten kann, von sechs auf 24 Monate erhöht. Nach der Bundestagswahl am 27. September werden die Unternehmen ihre bereits geplanten Entlassungen verkünden.
Die Arbeitslosigkeit - zumindest die reale - wird dann drastisch steigen. Wegen der massiv genutzten Kurzarbeit und der gestiegenen Arbeitslosigkeit erwartet die Bundesagentur in diesem Jahr ein Defizit von über sechzehn Milliarden Euro, im kommenden Jahr sogar von zwanzig Milliarden Euro. Die Bundesregierung hat aber den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung, den Arbeiter und Unternehmen je zur Hälfte zahlen, bis Ende 2010 auf 2,8 Prozent des Bruttolohns festgeschrieben, um die Unternehmen zu entlasten. Die Defizite bei der Bundesagentur für Arbeit werden die Arbeitslosen mit entsprechenden Kürzungen bezahlen.
Nach der Bundestagswahl werden Kürzungen durchgesetzt werden, gegen die die Hartz-Reformen und die Agenda 2010 von SPD-Kanzler Gerhard Schröder harmlos erscheinen werden.